Das Dorf Reitzenhain als Sommer-Luftkurort

Unter diesem Titel liegt ein Schriftchen vor mir, auf welches ich die Freunde unseres Gebirgs aufmerksam mache. Als ich vor 16 oder 17 Jahren, von Komotau kommend, die Gegend von Sebastiansberg, Satzung, Steinbach und Reitzenhain zum erstenmal durchwanderte, ahnte ich wohl kaum, daß dieselbe später wiederholt ein Zielpunkt meiner Gebirgswanderungen werden würde. Sie ist es in den letzten drei Jahren dreimal geworden, und nach jeder Tour dorthin bin ich von den ausgedehnten grünen Waldungen und der frischen, reinen Bergluft erquickt worden; eine biedere naturwüchsige Bevölkerung, der rege Grenzverkehr in Reitzenhain selbst und das böhmische, oder doch nach böhmischer Art gebraute Bier trugen ebenfalls das ihrige dazu bei. Außerdem verleihen noch die auf der Kammhöhe und deren Nähe ausgedehnten Moore mit ihren Sumpfkieferbeständen der Gegend für alle diejenigen einen Reiz, welche es gelernt haben, auch in der sogenannten Ärmlichkeit der Natur Schönheiten zu entdecken, welche der fruchtbaren Ebene und den Vorbergen fehlen.

In Reitzenhain nun, welches nahe dem Gebirgskamme auf einer Meereshöhe von 775 Meter an der Chemnitz-Komotauer Bahn gelegen, hat Herr Eduard Franke ein Kurhaus gebaut. Dazu veranlaßt wurde derselbe durch Chemnitzer Ärzte, die den Ort wegen seiner durch die hohen und ausgedehnten Waldungen bedingten gesunden Luft nebst deren Feuchtigkeitsgraden für einen geeigneten Sommer-Kurort sowohl für Reconvalescenten, als auch für alle diejenigen erklärten, welche an Katarrh, der Athmungswerkzeuge, Luftröhrenphthisis im ersten Stadium und Lungenemphysem bei schwacher Herzthätigkeit leiden. Das genannte Schriftchen enthält die durchschnittlichen Beobachtungsergebnisse der meteorologischen Station Reitzenhain aus den Jahren 1864 bis 1877 und wird von dem Besitzer des Kurhauses gern an diejenigen versendet werden, welche sich weiter darüber orientieren wollen. An das Haus, 5 Min. vom Bahnhofsgebäude entfernt, stößt unmittelbar der Nadelwald, und von dem Garten aus, welcher bei meinem Besuche zu Ostern d. J. von dem Besitzer eingerichtet wurde, führen verschlungene Sandwege mit Ruheplätzen durch den Wald; eine nahe Anhöhe ermöglicht einen weitreichenden Umblick. Wir freuen uns gar sehr dieser Schöpfung, da dieselbe gewiß mit dazu beitragen wird, unserm Gebirge immer mehr Anerkennung zu verschaffen. Die Preise der Zimmer in dem Kurhause variieren nach der Größe, eventuell der Mitbenutzung der Kammern incl. Bett zwischen 4,50 Mark und 9 Mark pro Woche. Der Preis für die Kost, welche zum Frühstück aus Kaffee, Cacao oder Milch, aus Mittagskost nach böhmischer Küche und Abendbrot besteht, wird sich gegen 3 Mark für den Tag stellen. Eine kleine Hausapotheke ist bereits vorhanden, und bei plötzlichen Erkrankungsfällen kann die Hülfe des Bahnarztes, resp. des Arztes in Marienberg in Anspruch genommen werden. Sobald als thunlich will Herr Franke auch die nahen eisenhaltigen Moorlager zu Bädern ausnutzen. Für Unterhaltung bei ungünstiger Witterung ist bereits durch Billard u. s. w. gesorgt.

Nachdem ich auf unsern jungen Sommer-Luftkurort Reitzenhain, von dem aus man leicht Ausflüge nach Böhmen (Komotau), in die schönen Thäler der schwarzen Pockau und Preßnitz unternehmen kann, aufmerksam gemacht habe, füge ich zum Schluß noch die Bitte an alle mit Unternehmungsgeist beseelten Freunde des sächs. Erzgebirges bei, in ähnlicher Weise, wie Herr Franke es gethan, zu schaffen. Wir besitzen auf unserm vaterländischen Gebirge noch gar viele einzeln gelegene Gehöfte und Ortschaften, die sehr wohl Kurorte werden könnten. Reine Luft, frisches Quellwasser, Milch und einfache Kost, freundliche Gesichter und eine schöne Natur sind vorhanden. Was wollen wir mehr? Ich las kürzlich wieder eine Stelle in H. Heines Sagen, Märchen und Bildern aus dem Harze (Leipzig 1878), worin von den westlichsten und ältesten der sieben Bergstädte des Oberharzes, Grund, gesagt wird, daß dasselbe vor ungefähr 25 Jahren mit seinen einstöckigen und mit Schindeln gedeckten Hütten einen höchst melancholischen Eindruck gemacht habe. Und jetzt ist es ein Kurort, dessen ältere Häuser ein freundliches Ansehen erhalten haben, dessen neue Häuser geschmackvoll gebaut sind und dessen stufenförmige Fußpfade bequemen, breiten Wegen mit Bäumen, Ruhebänken und dergl. wichen. Kann es an nicht wenigen Orten des bisher noch so sehr vernachlässigten Erzgebirgs nicht ähnlich werden? Die Hand ans Werk gelegt, Erzgebirger! Fangt bescheiden an, baut aus, schafft Sommerfrischen und Kurorte und werdet nicht mutlos, wenn Eure Arbeit nach dieser Richtung hin nicht in dem ersten Jahre sofort belohnt wird.

Dr. Köhler.

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 1. Jg. Nr. 5 v. 15. Mai 1881, S. 42 – 43