Nochmals: der Tauf- oder Heidenstein bei Lauterhofen.

von Anton Bär. *)

Eine starke Stunde südwestwärts von Kirchberg, nahe den Dörfern Lauterhofen und Obercrinitz, liegt auf jetzt abgeholztem Boden ein Denkzeichen längst verschwundener Zeiten, der den Umwohnern wohlbekannte Tauf- oder Heidenstein. Der Stein, ein mächtiger Granitblock von unregelmäßiger Gestalt, läßt auf den ersten Blick erkennen, daß er von Menschenhänden bearbeitet ist und dieserhalb gewissen Zwecken dienlich war. Seine Eigenthümlichkeiten bestehen in einer kreisrunden, trichterförmigen Vertiefung auf der oberen Fläche und aus mehreren rings um die Vertiefung angebrachten nischenförmigen Aushöhlungen, von denen jedoch nur noch Überreste wahrzunehmen sind. Daß der Stein seine Form in sehr alter Zeit empfangen haben mag, deutet der Name Heidenstein schon an; daß er nicht landwirtschaftlichen oder gewerblichen Zwecken, sondern jedenfalls dem religiösen Kultus einer einst hier seßhaften Bevölkerung dienstbar gewesen sein dürfte, ist ziemlich zweifellos. Ob aber dieser Kultus auch die Taufe in sich schloß, ob überhaupt der Taufgebrauch jemals an seiner Stätte in Übung war, läßt sich aus mancherlei Gründen bezweifeln.

Wer soll hier getauft haben? Die in hiesiger Gegend nach einander auftretenden Völker waren in den ersten christlichen Jahrhunderten zunächst die Hermunduren, dann, nach ihrem Verschwinden, von dem sechsten bis in das zehnte Jahrhundert der eingewanderte slavische Stamm der Sorben-Wenden und nach deren Niederwerfung, vom zehnten Jahrhundert ab, abermals die Deutschen. Die Hermunduren und ihre nach dem heutigen Vogtland hinaus seßhaften Nachbarn, die Narisker, führten ein umherschweifendes Leben, ein Nomadenleben im wahren Sinne des Worts und nahmen sich wohl kaum Zeit und Mühe, zur Verehrung ihrer Götter einen Stein von solchem Umfang und von solcher Arbeit herzurichten, wie unser Tauf- oder Heidenstein es ist. Nicht sehr stark an Zahl und nur von der Jagd, dem Fischfang und von der Viehzucht lebend, zogen sie nach kurzem Verweilen von einem Gebiete in das andere. Sie kannten den Gebrauch der Taufe nicht, sie waren Heiden und verschwanden im Verlaufe der Völkerwanderung aus den hiesigen Gegenden. Ihnen kann also wohl kaum die Gestaltung des Steines zugeschrieben werden, es sei denn, daß sie denselben als Zisterne benutzt haben. Dem widerspricht jedoch die Form, namentlich die zu geringe Vertiefung und der Umstand, daß es der nächsten Umgebung nicht an fließendem Wasser fehlt und jedenfalls vor Jahrhunderten noch weit weniger gefehlt haben wird, weil damals Axt und Pflugschar nur da und dort und in viel geringerem Umfange im Walde vordrang, als dies in unserer Zeit geschieht.

Die nach der Bezwingung der Sorben im zehnten Jahrhundert einrückenden Deutschen kamen schon als Christen und kannten und übten, obwohl ihr Kultur noch mit vielen Gebräuchen und Anklängen aus der Heidenzeit durchsetzt war, bereits den Gebrauch der Taufe. Vielleicht also formten sie den Stein zu gottesdienstlichen Zwecken, vielleicht fanden hier wohl gar, wie dies ja auch anderwärts vorkam, wo deutsche Kraft das Heidentum bezwungen hatte, Massentaufen der unterjochten Sorben statt? Auch dieser Ansicht ist wenig Glauben beizumessen. Bei dem Andrängen und den fortdauernden Kämpfen mit den Deutschen kam den Slaven gewiß die Überzeugung, daß das von ihnen bis an die weiße Elster und die Saale besetzte Gebiet für die Dauer nicht zu halten sei. Als sie endlich nach hartem Ringen und nach manchem blutigen Zusammenstoß — ein solcher soll der Sage nach auch in der Gegend von Lengenfeld, Plohn und Hirschfeld vorgekommen sein — vollständig unterlegen waren, floh ihre Masse hinter den schützenden Elbstrom und nur ein Teil nahm das Joch auf sich, fortan als Hörige und Leibeigene unter den Deutschen zu leben. Diese zurückgebliebenen und zerstreut wohnenden Landbauern zu einer gemeinsamen Taufe zu vereinen und dazu erst einen Stein mühsam herzurichten, das unterließen ganz gewiß die Deutschen. Selbst von der nunmehr hier festsitzenden germanischen Bevölkerung dürfte die Taufe bei dem Stein kaum zur Ausführung gekommen sein. Wo deutsche christliche Stämme ehemals slavische Gebiete besetzt hielten, da schritten sie, um ihre Herrschaft und das Christentum in der unterlegenen Bevölkerung zu befestigen, überall zum Bau von Burgen und Kirchen. Mochte ein solcher Kirchenbau nur langsam vor sich gehen, mochten die Mittel dazu oft nur spärlich fließen, mochte er auf einen größeren oder geringen Umfang berechnet gewesen sein, es wurde gebaut, auch hier im Wiesenburger Burggebiete schon frühzeitig gebaut, wie dies aus dem hohen Alter mehrerer Kirchen zu erkennen ist, und hier, im bescheidenen Kirchlein oder in der Kapelle, innerhalb ihres geweihten Raumes, fanden die Gottesdienste und die Übungen der kirchlichen Gebräuche statt; niemals aber mehr im Walde, in den ehemaligen Götterhainen oder an anderen Malstätten aus der Heidenzeit. Der Stein ist demnach auch von den Deutschen bei Taufhandlungen wohl kaum in Gebrauch genommen worden.

Aber er führt den Namen Taufstein, und eine vor einigen Jahrzehnten veröffentlichte Sage läßt sogar bei ihm einen christlichen Priester, Namens Johannes, die umwohnende slavische Bevölkerung taufen. Hierauf ist zu bemerken: Von der Sage ist in hiesiger Gegend vor ihrer Veröffentlichung so gut wie gar nichts bekannt gewesen, und was den Namen Taufstein betrifft, so kann dieser möglicherweise von dem Umstande herrühren, daß das Volk in der trichterförmigen Vertiefung auf der Oberfläche des Steines eine Ähnlichkeit mit dem oberen Teile eines Taufsteins oder einer Taufschüssel finden zu können meinte.

Alles deutet vielmehr darauf hin, daß derselbe, mag er einem kirchlichen Gebrauche gedient haben oder nicht, seine Gestalt wahrscheinlich in der Sorbenzeit und von den Sorben empfangen hat. Bei der Besitznahme des von den Hermunduren verlassenen Landes waren Angehörige des Sorben-Wendenstammes von der Zwickauer Niederung die Mulde herauf bis in die Kirchberger Gegend gekommen; dies bekunden geschichtliche Nachweise, selbst die auf slavischen Ursprung hindeutenden Ortsnamen Wendisch-Rottmansdorf, Planitz, Culitzsch, Nieder- und Obercrinitz. Für erwähnte Gegend bezeichnet die Lage dieser Dörfer die Grenze, bis zu welcher die Slaven gedrungen waren. Jedenfalls hielt dieses schwarzhaarige, dunkeläugige Volk andere nach der Mulde einmündende Thäler weiter nach dem Gebirge hinauf besetzt. Einzelne mögen wohl auch in den höchsten Gebirgslagen ihre Hütten errichtet, den dem Walde abgerungenen Boden emsig gepflegt und dabei ihren Bienenstock fleißig besorgt haben, aber größere slavische Ansiedlungen dürften im höheren Gebirge nur wenige entstanden sein.

Nun waren aber die Sorben-Wenden in ihren Sitten und in ihrer Lebensweise ganz anders geartet, als die vor ihnen hier heimisch gewesenen Hermunduren. Abgeneigt einem ruhelosen, arbeitsscheuen Wanderleben, liebten sie den Landbau und das enge Zusammenwohnen in Dörfern, aus denen an günstig gelegenen Stellen da und dort städtische Anlagen heraus wuchsen. Um die Niederlassungen rodeten sie den Wald und schufen diesen Boden zu Feldern und Weideplätzen um; weiter hinaus, in die Mitte der Besiedelungen, legten sie den Versammlungsort der Zubanien, das ist, den Sammelplatz der Gemeinden einer ganzen Landschaft. Hier fanden die Volksversammlungen, die Gerichtsverhandlungen und religiösen Feste statt. Außer Götterbildern zeigten diese Plätze als dauernde Einrichtung der Opferstein, der, wo er noch angetroffen wird, immer in derselben Form, nämlich mit einem mäßig breiten Rande und mit einer ziemlich großen trichterförmigen Vertiefung erscheint. Wenig breit war der Rand, damit über denselben der Kopf des Opfertieres oder der des herzugeschleppten Gefangenen gelegt und das aus dem durchschnittenen Halse fließende Blut in der Höhlung aufgefangen werden konnte. Die Opferungen geschahen gewöhnlich nach Sonnenuntergang unter vorhergehenden Ansprachen an das Volk und unter dem Anzünden der Opferfeuer.

Derartige Opfersteine finden sich noch da und dort in Gegenden, die ehemals von Sorben-Wenden besiedelt waren. Sind sie auch in ihrer äußeren Gestalt verschieden, so ist ihnen doch allen außer anderen Einzelheiten die trichterförmige Vertiefung auf der oberen Fläche eigentümlich. Da dieselben hierin unserem Taufstein oder Heidenstein vollkommen ähnlich sind, da ferner nachweislich Sorben am heutigen Crinitzbach hinauf gelebt haben und auch in der jetzigen Kirchberger Stadtflur zu finden waren, so ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß der in Rede stehende Stein ursprünglich kein Taufstein, sondern wahrscheinlich ein Opferstein der Sorben gewesen ist.

Entspricht diese Annahme den wirklichen Verhältnissen, dann hat der Stein, gleichsam als stummer Zeuge, das Getümmel mancher Versammlung und die Feier manches ernsten und frohen Festes gesehen. Wie laut wird zu diesen Zeiten der Jubel des Volkes erklungen sein, wie hell mögen da die Opferfeuer zum mächtigen Himmel geloht haben! Aber auch bei ernsten Vorkommnissen und Erledigung mancher politischen Angelegenheit wird hier das Sorbenvolk gar oft versammelt gewesen sein; besonders in der Zeit, seit welcher durch das ruhelose Anstürmen der Deutschen aller Besitz des mühsam bebauten Landes, Hütte und Feld, Eigentum und Leben immer gefährdeter erschien. Wie oft mögen in solchen Tagen die Aeltesten und Priester in ihren langen Linnengewändern an dem Stein gestanden und sich bemüht haben, durch Rede und Deutung günstiger Zeichen aus Opfern das Volk und seinen gesunkenen Mut aufzurichten und zu fernerem Widerstande zu stählen! — das alles ist nunmehr längst vorbei, längst vorüber; verschwunden ist das Sorbenvolk, verschwunden der Kultur, welcher hier ernste und heitere Feste feierte. Einsam liegt der Stein, und wäre er nicht übrig geblieben aus einer längst verklungenen Zeit, so würde hier außer einigen Ortsnamen kaum etwas daran erinnern, daß die Gegend einst die Heimat eines fremden Volkes war.

Anmerkung. Daß der Lauterhofener Taufstein aller Wahrscheinlichkeit nach ein Opferstein ist, wurde bereits von Dr. Köhler, Sagenbuch des Erzgebirges (Nr. 10, Anmerkung) ausgesprochen.

Die Schriftleitung.

*) Vergl. Dr. Wetzel: Der Taufstein bei Oberkrinitz. Glückauf! Jahrg. I. S. 58.

Quelle: Glückauf, Organ des Erzgebirgsvereins. No. 3 v. März 1891, S. 24 – 26.