Der Taufstein bei Oberkrinitz

Die Gegend, in welche uns heute der Leser folgen soll, bietet nur wenig an Naturschönheiten und ist, wenn auch sonst anmutig durch reizende Blicke in liebliche, saftig grüne Thäler und unterhaltend durch große Fernsichten durchaus nicht imstande, den Reizen des oberen Erzgebirges den Rang streitig zu machen. Wir meinen die Ausläufer des Erzgebirges nach dem Vogtlande zu, ein hügeliges, unebenes Terrain, dessen Felder die Bewohner nur dürftig ernähren und in dessen Dörfern sich in Ermangelung anderer Nahrungszweige das Spitzenklöppeln mehr als anderswo eingebürgert hat. Doch liegt es diesmal auch nicht in unsrer Absicht, die Schönheiten der Natur zu schildern, wir möchten vielmehr die Aufmerksamkeit auf einen anderen nicht minder interessanten Gegenstand lenken, auf ein Denkmal uralten Lebens, einen Ueberrest altheidnischen Cultus. Es ist dies der „Taufstein“ bei Oberkrinitz, einem Dorf im Amtsgerichtsbezirke Kirchberg, eine und eine halbe Stunde von letzterem Orte selbst entfernt. „Taufstein“ wird dieser große Granitblock allgemein in der Gegend genannt, und schon in früherer Zeit kannte man den Stein. Ueber den Ursprung des Namens gab uns ein mehr als siebenzigjähriger Greis folgende Erzählung.

Als vor langer, langer Zeit das Christentum sich auch in unserer Gegend Anhänger zu erwerben begann, konnte die Verehrung Gottes nur im Geheimen geschehen, da sonst die Priester der noch herrschenden heidnischen Religion den Christen ein sicheres Verderben bereitet hätten; besonders aber mußte die Taufe neu aufzunehmender Mitglieder geheim gehalten werden. Deshalb suchten die wenigen Christen einsame, tief im Wald versteckte Orte auf, wo sie ungesehen und unbemerkt die heilige Taufe vollziehen konnten. Zu diesem Zwecke wählten sich nun die Glabensgenossen große auf bewaldeten Anhöhen liegende Steine aus und arbeiteten in dieselben ein Becken zur Aufnahme des Wassers, drei Sitze für die drei Taufpaten und einen für den Täufling hinein. Der Stein werde von unsichtbaren Mächten beschützt, noch niemand habe das Becken vollständig ohne Wasser gesehen. Er habe einmal eines Abends als junger Bursch mit seinen Freunden das Wasser gänzlich ausgeschöpft, doch als sie am nächsten Morgen nachgesehen, sei eine größere Menge Wassers in dem Becken zu finden gewesen als vorher, obgleich es die ganze Nacht nicht geregnet habe. Schon oft hätten die Steinmetzen sich an den Stein gemacht, um ihn zu zerschlagen und zu verarbeiten, aber der „Uhâmel“ 1 habe sie stets auf den Arm geschlagen, so daß sie von der Arbeit haben abstehen müssen. Der Taufstein werde deshalb jetzt von ihnen in Ruhe gelassen.

So weit die Erzählung des Alten.

Dieser Stein ist jedoch keineswegs das, was diese Sage aus ihm macht. Wie es so oft geschehen, hat man auch hier die Denkmäler heidnischer Religion benutzt, um auf das Christentum bezügliche Traditionen an dieselben zu knüpfen, sei es, daß sich spätere Jahrhunderte die wiedergefundenen heidnischen Opferstätten überhaupt nicht anders haben erklären können, oder es sei, daß die christlichen Priester bei Auffindung dieser Steine die Gelegenheit ergriffen haben, zur Beseitigung der letzten Spuren heidnischen Götzendienstes den alten Ueberresten desselben eine christliche Deutung zu geben. Es bedarf auch gar keines Nachweises der Unwahrscheinlichkeit dieser Erzählung, wenn man die Heimlichkeit mit der Verarbeitung und Benutzung großer Granitblöcke in Verbindung bringt, und den Stein selbst näher betrachtet. Wie bereits erwähnt, ist derselbe ein großer Granitblock, ungefähr 4 Meter lang, zwei und einen halben Meter hoch, ebenso breit, und von unregelmäßiger Gestalt; er zeigt auf der unebenen Oberfläche eine große und fünf kleinere künstliche Vertiefungen, von welch‘ letzteren sich vier um die größere gruppieren, während die fünfte an der Rückseite des Steines angebracht ist, die große in der Mitte befindliche Vertiefung hat die Form eines großen Beckens, nach diesem öffnen sich zunächst drei kleinere sitzähnliche Aushöhlungen, und in eine von diesen wieder mündet ein noch kleinerer Sitz. Daß diese Aushöhlungen kein Spiel der Natur sind, ist deutlich aus der trotz der Verwitterung noch ersichtlichen Bearbeitung des Beckens und der Sitze zu erkennen; freilich sind schon hier und da teils durch Menschenhände, teils durch das Wetter Stücken losgebrochen und losgebröckelt und ist augenscheinlich das große Becken in früheren Zeiten nicht von derselben Tiefe gewesen wie heute. Das letztgenannte Becken hat eine nach Südost zu liegende Abflußrinne. Der Stein liegt auf einer unbedeutenden Anhöhe, gegenwärtig auf einer Waldlichtung. Es soll jedoch früher ein schöner Buchenbestand den Block umgeben haben. Zweifelsohne haben wir in dem Taufstein eine alte heidnische Opferstätte, einen Opferaltar vor uns, ähnlich wie die großen Opfersteine auf dem Fichtelgebirge, insbesondere wie der auf dem Nußhardt, von welchem uns Ludwig Zapf in No. 1890 des Jahrg. 1879 S. 233 der Illustrierten Zeitung eine Beschreibung giebt. Der Volksmund nennt ihn „des Teufels Rassierschüsseln“.

In der beiliegenden Zeichnung geben wir einen Abriß von dem Taufsteine bei Oberkrinitz. In der Mitte befindet sich das große Becken und um dasselbe herum liegen die kleineren Aushöhlungen, welche direkt in das große Becken münden, dergestalt daß, wenn man sich in eine der kleinen Vertiefungen setzt, die Füße in das Becken hängen. Die Sitze sind so groß, daß Kinder bis zu 10 Jahren bequem darin Platz nehmen können, während der auf die Rückseite des Steines befindliche Sitz einen etwas größern Umfang hat.

Sollten auch hier die heidnischen Urbewohner ihren Göttern Kinderopfer dargebracht haben? Gewiß könnte man dies mit demselben Rechte behaupten, mit welchem es von den Opfersteinen auf dem Fichtelgebirge behauptet wird. Doch bin ich zu wenig Archäologe, um irgend eine dahin gehende Behauptung oder Ansicht begründen zu können; ich will dies Berufeneren überlassen und mich damit begnügen, durch diese Zeilen auch nach außen hin eine Anregung zu einer näheren Besichtigung des beschriebenen Steines gegeben zu haben.

Dr. Paul Wetzel.

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 1. Jg. Nr. 7 v. 15. Juli 1881, S. 58 – 60

  1. „Uhâmel“ (Unheimel?) hier als Schutzgeist des Steines. — Mit dem Uhâmel drohen in der Gegend die Mütter den Kindern noch, um sie zur Ruhe zu bringen. ↩︎