Die ehemaligen Zinnseifen im Erzgebirge.

Von Dr. Köhler.

Dem Besucher unserer erzgebirgischen Thäler, besonders in der Gegend von Eibenstock, oder demjenigen, welcher vom Auersberge nach der Johanngeorgenstädter Straße abwärts steigend die wenigen Häuser von Sauschwemme berührte, oder der von den Försterhäusern nach Gottesgab wanderte, werden die zum Teil recht ansehnlichen Haufwerke von Steingeröllen und Geschieben aufgefallen sein, welche sich Moränen ähnlich oder wie riesige, mit spärlichen Pflanzenwuchs bedeckte Grabhügel daselbst auftürmen. Es sind dies die Überreste eines sehr alten, ja vielleicht des ältesten Bergbaues in unserem oberen Gebirge.

Diese Raithalden, wie jene Anhäufungen genannt werden, sind von der Arbeit des Zinnseifens, d. h. Auswaschens des Zinnerzes aus taubem Trümmergestein übrig geblieben, und ihre Anzahl war vor mehreren Jahrzehnten, als man noch nicht viele derselben eingeebnet hatte, eine bedeutend größere.

Auf diese alte Zinngewinnung weisen auch mehrere Ortsnamen, wie Seiffen, Seifen, Seifenbach, Trinkseifen und Streitseifen hin, denn letztere lassen vermuten, daß die Gründung der genannten Orte durch Zinnwäscher veranlaßt worden ist.

Zinnerze führend sind in unserm Gebirge der Granit und dann vornehmlich die denselben umgebenden Schiefer, ferner Turmalinschiefer und greisenartige Gangbegleiter, und daher fanden sich diese Erze auch in denjenigen Trümmergesteinen, welche durch die Arbeit des Wassers und der Atmosphäre aus ihnen hervorgegangen sind.

Befinden sich also die Raithalden im Gebiete des Granits, so bestehen sie aus eckigen Brocken oder Gerröllen dieses Gesteins oder dessen kleinkörnigen Bestandteilen Quarz und Feldspat, untermischt mit thoniger Erde und Glimmerblättchen. Im Gebiete der Schiefer bestehen sie vorherrschend aus scharfkantigen oder an den Rändern abgerundeten Geschieben, und endlich sind sie aus Granitgeröllen und Schiefergeschieben gemengt, wenn ihnen das Material von beiden Gesteinen zugeführt wurde.

Außerdem enthalten sie noch Gangstücke von Quarz, teilweise mit schwarzem Turmalin oder Schörl verbunden, Geschiebe von Turmolinschiefer, sowie Stücke von aus der Grenzzone gegen den Granit stammende Andalusitglimmerfels.

Selbstverständlich sind sämtliche Raithalden bereits durchwühlt worden und nicht mehr in ihrer ursprünglichen Lagerung erhalten. Durch Zuführung von Wasser wurde aus ihnen nicht nur das Zinnerz, sondern auch die Feinerde ausgeschieden, so daß die durch Einebnung alter Halden gewonnenen Wiesen nur bei ausreichender Bewässerung einen guten Futterertrag liefern. Nur ein einziges, noch gänzlich unversehrtes Seifenlager war bei Hengstererben durch die Gewerken Tröger Vater und Sohn aufgefunden worden, so daß Professor Gustav Laube (Geol. des böhm. Erzgebirges I. S. 78) darüber mitteilen konnte, wie der Zinnstein darin ganz fein verteilt vorgekommen und durch Absumpfen in Form eines ungleichkörnigen Schliches gewonnen worden sei. Die größeren Körner, welche in dem Lager vorkamen und nur selten die Größe einer Erbse erreichten, waren abgerundete oder scharfkantige Trümmer, welche von dem sie begleitenden Schörl sehr schwer zu unterscheiden waren.

Es mögen nach den Angaben älterer Beobachter in den Seifen des Eibenstocker Granitgebietes auch größere Zinngraupen (bis zu 1 cm) vorgekommen sein. Die Verteilung des Zinns in den alluvionischen, seltener diluvialen Anschwemmungen der Thäler war eine ziemlich ungleichmäßige, was bereits vor mehr als hundert Jahren den Freiberger Professor Charpentier (Mineralogische Geographie der Chursächs. Lande, Leipzig 1778 S. 274) zu folgender Erklärung veranlaßte:

„Man will besonders wahrgenommen haben, daß in den Gegenden, wo die Thäler ihre Richtung ändern oder eine sogenannte Krümme machen, die Geschiede von reinem Zinnstein in größerer Menge gefunden worden sind, und daselbst den austräglichsten Seifenbergbau gegeben haben. Diese Beobachtung läßt sich mit der Natur der Seifengebirge ganz wohl vereinigen. Sind sie durch die Wirkung einer Flut oder Ueberschwemmung entstanden, so mußten sich die schweren Teile dabei immer am langsamsten bewegen. Wenn nun die Richtung ihres Laufes sich änderte und eine Krümme machte, wobei die fortgerissenen Geschiede einen neuen Widerstand fanden, so hörte die Bewegung der schwersten leichtlich auf, und also waren die Zinngeschiede und kleinen Zinngräupchen gewiß die ersten, die sich, anstatt dieser veränderten Richtung zu folgen, zu Boden setzten und bei mehr aufeinander folgenden sich in einer solchen Krümmung anhäuften, wodurch denn gar leicht dergleichen wahrgenommene reiche Punkte in den Seifengebirgen entstanden sein mögen.“

Von der Arbeit des Zinnwäschers schrieb bereits 1562 Mathesius in Joachimsthal: „An solche Seifen führet man die Wasser und sticht Modt (Torf oder torfähnliche Masse) und Werg (vielleicht Heidekraut?) darein, das gehet in Schlamm weg; was grob ist, wirft man mit der Reutgabel aus, der gute Stein setzt sich zu Boden, den hebt man und machet ihn über der Schaufel rein, daraus wird ein geschmeidig Zinn, das einen sehr schönen Spiegel hat.“ Und der bereits genannte Charpentier bemerkt, daß diese Arbeit eine der beschwerlichsten sei und den Arbeiter nicht nur nötige, den ganzen Tag im Wasser zu stehen, sondern dabei noch alles Ungemach der Witterung, Regen, Wechsel von Wärme und Kälte u. s. w. zu ertragen. Aber so wenig Vorteile auch die Seifenarbeit versprach, so war sie in früherer Zeit doch lohnend genug, ja es wurden sogar einzelne verlassene Seifen wieder mit Nutzen aufgesucht.

Obschon sich die meisten Seifen in den kleineren Thälern und zwar vorzugsweise an deren unteren Enden, stellenweise selbst weiter oben befanden, wo die Einsenkung des Bodens nur eine flach muldenförmige ist, so wurde doch auch in breiteren Flußthälern, z. B. dem der Mulde, und vereinzelt auf der Höhe, wie bei Seifen in B., Zinnerz aus dem Gebirgsschutte ausgewaschen. Außer Zinnstein fand man da und dort in den Seifen Eisensteingeschiede und Wolfram, ferner verschiedene Edelsteine, z. B. Topas, Opal und Beryll, letztere hauptsächlich im Denitzgrunde bei Eibenstock; ja mehrfach wird auch des Goldes als eines Nebenproduktes gedacht. So fand man 1733 auf Hans Christoph Ungers 100 Lachter Seifengebirge am Auersberge ein Goldkorn von 13 Aß Gewicht, das in demselben Jahre dem Kurfürsten bei der Huldigung in Freiberg überreicht wurde. Engelschall erzählt in seiner 1723 erschienenen Chronik von Johanngeorgenstadt von Goldkörnern und Goldflitschen im Pechhöfer Wasser, Steinbache und Schwarzwasser und daß ein Bergmann aus letzterem dem Kurfürsten Johann Georg II. eine halbe Federkiel voll Goldsand dargereicht habe. Auch Mathesius führt in seiner Sarepta wiederholt das Vorkommen von Goldflittern und Körnern in Zinnseifen an, und ebenso gedenkt Christian Lehmann in seinem Historischen Schauplatze des „goldkörnichten“ Sandes am Kühnbache über der Zwittermühle und in den Seifen bei der Plattner Farbemühle.

Sehr zahlreich waren die Seifenwerke im Gebiete von Schneeberg-Eibenstock. Bei einzelnen derselben reichte der Anfang mehrere Jahrhunderte zurück. So erzählt z. B. Meltzer in der Schneeberger Chronik, daß im Jahre 1483 die Teichstätte über Zschorlau „bei den Seifen“ zur Anlage des Filzteiches verkauft wurde und daß man, als der Teich 1573 durch eine große Flut beschädigt worden war und einige Jahre lang wüste lag, wieder darin seifte; erst 1701 wurden viele alte Seifenhalden daselbst herausgeschafft. In Christian Stechers nur handschriftlich vorhandenem „bergmännischen Bericht oder brennenden Grubenlicht“ wird gesagt, daß die 1448 durch eine große Flut vernichteten Berggebäude unterhalb Zschorlau erst durch die in dem Grunde vorher schon vorhanden gewesenen Zinnseifen veranlaßt worden seien, man habe auch den ganzen Gößnitz-, Zschorl- und Riesengrund unter, durch und über Zschorlau nach und nach ausgeseift. Die Seifen erstreckten sich von da am Steinberge bis nach Burkhardtsgrün, wo sich das Thal immer mehr verflacht. Aus dem 600 Lachter Seifengebirge am Steinberge wurden nach den aktenmäßigen Angaben der Bergrevier-Rechnungsexpedition zu Schneeberg von 1752 bis 1817  334 Zentner Zinn im Werte von 9847 Thalern und außerdem noch 20000 Zentner Thon für die Blaufarbenwerke gewonnen. Dieses Seifenwerk war allerdings während der angeführten Zeit nur mit Unterbrechungen im Gange und man seifte daselbst „Flötze“ von 10 bis 40 Lachter Länge, ½ Lachter Breite und teilweise 3 Lachter Höhe aus.

Es dürfte vielleicht von Interesse sein, ein Beispiel aus den Kostenberechnungen für das Ausschmelzen des Zinnsteins zu erhalten. Im Quartal Trinitatis 1736 gewann man in den Burkhardtsgrüner Seifen aus 8¼ Zentner Zinnstein 4 Zentner 14½ Pfund reines Zinn, den Zentner im Werte von 25 Thalern. Später, in den Jahren 1753 und 1755 betrug der Preis für den Zentner daselbst gewonnenen Zinns 26 und 27 Thaler. Die Schmelzarbeit wurde in der Auer Hütte vorgenommen und es beliefen sich die Kosten wie folgt:

Aus chronikalischen Nachrichten von Georg Körner (Bockauische Chronik, 1763) und P. Öttel (Alte und Neue Hist. der Bergstadt Eibenstock, 1748) ist zu ersehen, daß man in den Seifen am Sosaer Bache von 1721 bis 1739, in welchem Zeitraume freilich nur mit Unterbrechungen gearbeitet wurde, 24 Zentner 88 Pf. (á Zentner 21 – 24 Thlr.) und in denen am Stinkenbache, welche bereits 1609 im Gange waren, von 1719 – 1765, wobei ebenfalls Unterbrechungen vorkamen, zusammen nur 12 Zt. 9 Pf. Zinn gewann. Am Rothenbache wurde von 1592 bis 1760, vielleicht auch noch später geseift; die Arbeit am Weinbächel begann schon 1682, und von den Seifen an der Bockau besitzen wir bereits Nachrichten aus dem 16. Jahrhundert, denn von 1523 bis 1531 wurden daselbst allein in Melchior Matthes Seifen 118 Zt. Zinn geseift, wovon der Zentner damals 9 alte Schock gegolten hat. Von Christian Kraußens Seifengebirge an der großen Bockau war die Ausbeute von 1668 bis 1670 438 Gulden 13 gr. 11 Pf., Melchior Weyrauchs tiefe Seifen gab von 1666 bis 1670 327 fl. 6 gr. 5 Pf. und Danitz Heyder Seifengebirge 1670 193 fl. 12 gr. Ausbeute. Im Marxbache bei Sosa gewann man in den Quartalen Luciae 1730 über ½ Zentner, 1732 über 2 Zt., 1734 über 3 Zt. und 1768 im Quartal Crucis über 2½ Zt. Zinn. Das Ausschmelzen geschah in der Eibenstocker Schmelzhütte. Der Preis des Zinns schwankte hier zwischen 24 und 25 Thlr. für den Zentner.

(Schluß folgt.)

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 9. Jg. Nr. 2 v. Februar 1889, S. 9 – 12.