Weihe des Königin Carola-Aussichtsturmes auf dem Scheibenberge am 2. September 1891.

Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 11. Jahrgang. No. 9 v. September 1891, S. 83 – 85.

Das schön gelegene Städtchen Scheibenberg hat am 2. September einen Feiertag erlebt, der mit seinem so herrlichen Verlaufe noch lange in der Erinnerung aller Teilnehmer bleiben wird. Ein Doppelfest war es, zu welchem das Städtchen den Rahmen bildete: Die Wiederkehr unseres nationalen Festtages und die Weihe des aus städtischen Mitteln auf dem gleichnamigen 805 m hohen Berge errichteten Aussichtsturmes, welchem man mit Genehmigung unserer allverehrten Landesmutter den Namen Königin Carola-Aussichtsturm beigelegt hat. Die ganze Bewohnerschaft des Ortes und viele Personen der näheren und weiteren Umgebung nahmen mit Herz und Hand teil an der Feier. Bereits am Vorabend wurde das Fest durch feierliches Glockengeläute angekündigt, und am Morgen des Sedantages selbst wurden die Bewohner durch die munteren Marschweisen des hiesigen Musikchors angenehm überrascht. Von 12 bis 1 Uhr folgte abermaliges Festgeläute, und bald darauf entwickelte sich auf den Straßen und Plätzen Scheibenbergs ein Leben, wie es dieses stille Landstädtchen sonst wohl selten sieht. Ein leuchtender Punkt in allen der eigentlichen Weihe vorangehenden und dieselbe charakterisirenden Veranstaltungen war der Festzug.

Ein wunderbar herrlicher, sonnenbeglänzter Septembertag lieh dem Aufzuge nach dem Berge besondere Weihe; von den Häusern der Stadt wehten Flaggen und Fahnen und ein lebendigbewegter Menschenstrom ergoß sich über die den Zug aufnehmenden Straßen, so daß bald viele Hunderte den Weg, welchen derselbe nahm, umsäumten.

Der Weiheakt wurde durch den allgemeinen Gesang eines Festliedes eingeleitet. Die Begrüßungsansprache hielt Herr Bürgermeister Kegler. Wir hörten aus derselben heraus, daß der Gedanke, auf dem Scheibenberge einen Turm zu errichten, bereits am 80jährigen Wettinjubiläum gefaßt worden ist, vernahmen ferner, mit viel Schwierigkeiten das Komitee zu kämpfen hatte, ehe das schöne Werk begonnen werden konnte, daß Herr Bürgermeister Kegler aber, welcher sich übrigens namentlich verdient um das zu stande gekommene Projekt gemacht, die regste Unterstützung bei der Einwohnerschaft gefunden hat. Mit starkem Opfermut hielt das Komitee die Sache fest und arbeitete unablässig an dem Zustandekommen. Nun, alle, welche zu dem schönen Gelingen mit beigetragen, können jetzt stolz sein auf das schöne Werk, welches den kommenden Geschlechtern bis in fernste Zeiten von ihren Vorfahren erzählen wird.

Seinen nächsten Gedanken richtete der Herr Redner auf den dreieinigen Gott, welchem er dankte für den gelungenen Bau, er drückte ferner seine dankbare Freude über die huldvolle Genehmigung des dem Turme beigelegten Namens aus, dankte ferner Herrn Fabrikbesitzer Hertel in Werdau für das dem Turme geschenkte goldbronzene Medaillonbild Ihrer Majestät der Königin und dem Erzgebirgszweigvereine für das Fernrohr. Der Redner begrüßte die Anwesenden im Namen der Stadtgemeinde und endete mit einem Hoch auf den Förderer von Kunst und Wissenschaft, von Handel und Industrie, Se. Majestät unsern König Albert und dessen hohe Gemahlin, Ihre Majestät die Königin Karola, in welches man begeistert einstimmte. Als nächster Redner betrat der Ortsgeistliche, Herr Pastor Pretzsch, die Tribüne. Mit den Worten apostolischer Weisung:

„Alles, was ihr thut, mit Worten oder mit Werken,
Das thut Alles in dem Namen des Herrn Jesu
Und danket Gott und dem Vater durch ihn”

beginnend, erflehte er zunächst Gottes Segen über das in majestätischer Größe vor uns stehende Werk. „Mir ist nun der ehrenvolle Auftrag geworden”, so fuhr der Herr Redner fort, „im Namen Gottes das Wort der Weihe über diesen Aussichtsturm zu sprechen, und dabei auch den Gedanken Ausdruck zu geben, die uns vor der noch verschlossenen Pforte dieses Bauwerkes bewegen”. Er that dies, indem er redete von der Geschichte, die dieser Berg uns erzählt, von der Aussicht, die dieser Turm uns erschließt und von den Wünschen, die dieser Tag in uns erweckt.

Die Geschichte, die dieser Berg erzählt, reicht weit in die Vorzeit zurück, die mächtigen Basaltsäulen an der Nordostseite des Berges und diejenigen, welche über den ganzen Berg verstreut sind, erzählen uns von einer Zeit, da diese Gegend noch von keines Menschen Fuß betreten war, da die Thäler noch durchströmt waren von brausenden tosenden Wasserfluten, aus dem Gipfel aber dieses wie der benachbarten Berge von dichten Rauchwolken umsäumte Feuergarben zum Himmel aufloderten, aus dem von unterirdischen Stößen erzitternden Berge mit titanhafter Gewalt mächtige Felsblöcke gleich wie leichte Spreu weit umherschleudernd. Der ganze Strich von Eibenstock über das Gebirge hin bis Jöhstadt wurde bezeichnender Weise die wilde Ecke genannt. Eine Reise über unser jetzt so schönes, von Touristen gern aufgesuchtes Gebirge war auch noch nach Austoben der Naturgewalt mit Leibes- und Lebensgefahr verbunden. Raubritter, Wegelagerer, Buschklepper und anderes Gesindel an den Waldgrenzen, dazu Bären und Wölfe und giftiges Getier in den Wäldern machten den Übergang über unser Gebirge nach Böhmen hinein zu einem tollkühnen Wagnis. Erst Anfang des 16. Jahrhunderts begann hier und auf dem Scheibenberge ein regeres Leben. Im Jahre 1515 hatte der Fundgrübner Kaspar Klinger in Elterlein einige reiche Silbergänge in dem Scheibenberge entdeckt. Viele Bergleute, namentlich aus Annaberg, zogen in Folge dessen nach dem nahen Dorfe Scheibe, um hier Bergbau zu treiben. Im Jahre 1522 ließen sodann die Herren Ernst und Wolf von Schönburg die Stadt anlegen, eine Stadt freilich, deren Häuser so leicht aus Holz gebaut waren, daß sie mittels einer auf dem Rathaus aufbewahrten Winde von einem Ort zum andern bewegt werden konnten. Zu verwundern war es deshalb nicht, daß schon 7 Jahre nach ihrer Erbauung fast die ganze Stadt wieder abbrannte.

Im Jahre 1639 suchte man auf dem Berge eine Zufluchtsstätte vor der in der Stadt grassierenden Pest, in Angst- und Notzeiten versammelte man sich wiederholt zu frommer Andachtsübung, auch vor 60 Jahren, im September, zur Feier des Konstitutionsfestes, hielt man auf dem Berge eine gottesdienstliche Abendfeier ab etc. Des Ferneren beschrieb der Herr Redner die Aussicht, die der Turm uns erschließt. Hier erheben sich z. B. die Nachbarberge: Pöhlberg, Bärenstein, Spiegelwald und der Greifenstein, dort grüßen uns die beiden höchsten Berge Sachsens, der Fichtelberg und der Auersberg, schon weit drin im Böhmerlande ragen der Haßberg und der Spitzberg empor. Am Fuße gelegen sieht man die freundliche Nachbarstadt Schlettau, von den Sorbenwenden erbaut, im Hussitenkriege 1429 fast gänzlich zerstört. Hier zieht sich hin das gewerbefleißige Crottendorf, dessen Namen in die vorchristliche Zeit zurückweist auf Crode, den Priester des Götzen Croon, dessen Bild und Altar im Thale gestanden haben sollen. Am Schatzenstein gelegen, grüßt freundlich herüber das schöne Städtchen Elterlein, bis zu seiner Zerstörung durch die Hussiten Quedlinburg am Walde geheißen und seinen neuen Namen führend von dem Altärlein, welches dort in einer Kapelle stand und an welchem täglich ein Mönch aus dem Kloster zu Grünhain eine Messe lesen mußte. Hier ragen aus dem Walde die am Fürstenbrunnen gelegenen Gebäude hervor, wo am 8. Juli 1455 der Köhler Schmidt den Prinzen Albrecht befreite und den Ritter Kunz v. Kauffungen gefangen nahm. Ferner streift unser Blick in das Mittweidaer Thal, wo uns die Türme von Schwarzenberg grüßen, dessen Entstehung weit in das erste Jahrtausend nach Chr. Geb. zurückreicht.

Im Osten, über Annaberg hinwegsehend, bemerken wir die Straße nach Hilmersdorf, wo 1634 die Sachsen gegen die Kaiserlichen fochten. Über die Höhe von Dörfel hinaus erkennt man bei klarem Himmel das Schloß Augustusburg, die Leuchte des Erzgebirges, wo schon im Jahre 790 von Kaiser Karl dem Großen eine Burg gegen die widerspenstigen Sachsen erbaut worden war, wo später das gefürchtete Raubschloß Schellenberg stand, bis 1568 Kurfürst Vater August das gegenwärtige Schloß mit seinen stattlichen vier Türmen erbaute.

Indem der Redner nun über die Wünsche, die der Weihetag in uns erweckt, sprach, wendete er zunächst unsere Gedanken auf Gott, ihm dankend, daß er das schöne Bauwerk trotz mannigfacher Gefahr ohne Unfall hat vollenden lassen. Im weiteren Verlaufe drückte er den Wunsch aus, daß der Turm dazu beitragen möge, den Sinn für die Naturschönheit in uns rege zu halten, daß er in uns stärken möge die ohnehin in der Brust des Erzgebirgers unvertilgbare Liebe zur Heimat, daß er stets auf gesegnete Fluren blicken, und endlich eine Anziehungskraft ausüben möge auf die Bewohner der weitesten Umgegend, damit hierdurch auch der Stadt ein immer regerer Verkehr erwachse. Möge der Herr vor allem auch segnen Ihre Majestät, die Königin Carola, deren Bild und Namen dieser Turm nun tragen darf.

Der Herr Redner weihte den Turm im Namen des allmächtigen Gottes zu einer Stätte der Erhebung, da unsere Seele beim Blicke auf die sich vor uns ausbreitende Gottesnatur sich andachtsvoll emporschwingt zu Himmelshöh’n, preisend den Herrn, den mächtigen König der Ehren; zu einer Stätte der Erholung, da wir nach den Mühen und Beschwerden dieses Lebens zur neuen Arbeit neue Kräfte sammeln und unter den Sorgen des Lebens Trost uns holen im Aufblicke zu dem, der durch seine Huld und Kraft alles wirket, thut und schafft und zu einer Stätte der Erinnerung für die nach auswärts Verzogenen, wie ein Wahrzeichen ihrer Heimat sie erinnernd an Glück und Leid der hier verlebten Zeit und ihre Herzen wieder und wieder hierher lenkend.

Herr Redner schloß mit ungefähr folgenden Worten: Gott, dem Allwaltenden befehlen wir nun dieses Bauwerk. Er erhalt’s, er behüt’s, noch den Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht.

Nach einem abermaligen Gesange überreichte nun der Baumeister, auf den Eingangsstufen zum Turm stehend, unter entsprechenden Worten den auf einem weißseidenen Kissen liegenden Schlüssel Herrn Bürgermeister Kegler, welcher die Pforte im Namen des dreieinigen Gottes öffnete. Viele hundert Personen bestiegen nun die zu dem einige 20 Meter hohen Turm führenden 103 Stufen, und allseitig war man überrascht von der Fernsicht, die sich den Blicken bot. — Wenn wir nun noch einiges über den Turm selbst sagen, so ist das nur Lobenswertes. Er präsentiert sich in seiner massiven Ausführung mit den bunten neben den Treppen angebrachten Glasfenstern würdig und wird hoffentlich seine Anziehungskraft nicht verfehlen. Schöne, mit gelbem Sand beschotterte, leicht passable Wege führen auf dem schattigen Berge nach allen Himmelsrichtungen. Orientierungstafeln machen auf die einzelnen Punkte, unter denen wir namentlich die Aussicht nach dem herrlich gelegenen Filzteich bei Schneeberg, sowie das herrliche Ostpanorama erwähnen, aufmerksam. Kurz, die ganze Anlage ist so geartet, daß der Berg von nun an wohl zu einem unserer besuchtesten Ausflugsorte zählen wird.

Die Ausführung des Turmes wurde von Herrn Baumeister Breitung-Annaberg übernommen, leider ging derselbe bald darauf mit Tode ab, weshalb ihn die Herren Baumeister Vogelsang-Schlettau und Steudel-Scheibenberg vollendeten. Die Herren C. Süß und Kantor Paufler hatten zu der Weihe je ein Tonwerk geschaffen, welche bei dem feierlichen Akt zum Vortrag gelangten. Hoffentlich wird die Stadt Scheibenberg in Bälde auch ein Bergrestaurant errichten, dessen Notwendigkeit wir bereits jetzt schon von vielen Besuchern aussprechen hörten. So kommt nun denn ihr Bewohner von nah und fern, erfreut euch an dem, was die Natur euch hier schönes erschließt.