Ein Vorschlag zur Güte, zugleich als Neujahrsgruß an meine Erzgebirgsvereins-Genossen.

Wenn irgend etwas den Deutschen vor anderen Völkern auszeichnet, so ist es seine innige Liebe zur Natur; kein Volk reist so des reinen Naturgenusses wegen, wie der Deutsche. Der Franzose fliegt von einer Weltstadt, von einem Weltbade zum andern, um zu genießen: was dazwischen liegt, ist ihm gleich, kaum eines Blickes wert; darum geht er auch meist des Nachts, beim künstlichen Lichte seinem Vergnügen nach. Der Engländer durchzieht gelangweilt die Welt; kaum daß er es zu einem gedehnten „wonderful” bringt, und um ihm dieses zu entlocken, muß schon der Vesuv speien oder sonst ein Wunder los sein. Nur der Deutsche reist mit Gemüt und Seele und zieht göttliche Freuden aus jedem Baum, jedem Fels und jedem murmelnden Bächlein. Und der Inbegriff davon ist der Gebirgsvereinler.

Man sollte darum glauben, du begegnest da und dort recht oft einem solchen Wanderer und nichts wäre dem Deutschen mehr ans Herz gewachsen als die Wanderei!

Da irrst du aber gar sehr lieber Freund; weder begegnest du einem Wanderer noch liest du von einem solchen; was du so naiv und deutsch bist für einen Wanderer zu halten, das ist gar kein Wanderer, i Gott bewahre! das ist Monsieur le „Touriste”! Und wenn der Herren „Touristen” mehrere beisammen sind und haben sich an Gottes ewig schöner Natur erquickt, dann erheben sie die Gläser und — lassen die Wanderei leben? abermals Gott bewahre, das Glas gilt der edlen „Touristik” oder wenn’s hoch geht „Touristerei” (damit wenigstens ein deutscher Schwanz daran hängt) und willst du etwa ausgelacht werden, so sprich nur davon, daß vom wanderischen Standpunkte dies ein Unsinn ist, man wird dich bald belehren, daß der gute Deutsche dies einen „touristischen” Standpunkt nennt.

O, du armer Deutscher! also gerade für das, was so recht dir allein gehört, was dich so himmelhoch über andere Völker erhebt, dafür wendest du mit offenhafter Fremdwörtersucht die Sprache deines Erbfeindes an?

Nun schämst du dich wohl? Mit Recht! Geh‘ in dich und thu‘ diese fremde Narrenjacke ab, nimm das deutsche so schöne Wort für den deutschen Zug deines Gemüts und geh als

froher Wanderer
auf die Wanderung,
erhebe dein Glas auf die edle Wanderei und rühme die Gauen deines Vaterlandes in wanderischer Hinsicht!

Ihr aber, Ihr Brüder im Gebirgsverein, reicht mir die Hand zum Werke, thut ab das fremde nirgends unpassendere Wort und helft mir unser gutes deutsche Wort zu Ehren bringen, wie ja jetzt so manches andere zu Ehren gebracht worden ist. Beschließt einmütig, daß kein Gebirgsvereinsmitglied mehr das Fremdwort gebrauche, und in wenigen Jahren wird es vergessen und das deutsche allenthalben eingebürgert sein. Zu Ehren unseres deutschen Vaterlands, das wir immer und überall, und besonders durch „deutsches Wort” am rechten Ort hochhalten wollen:

Hoch die Wanderei!

Ludwig Lamer, Hainsberg.

Die Organe der Gebirgsvereinewerden um Verbreitung dieses Aufrufs gebeten!

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 3. Jg. No. 1, v. 15. Januar 1883, S. 2.