Otto Delitzsch.

Am 15. September d. J. starb in Leipzig im 62. Lebensjahre der außerordentliche Professor an der Universität und Oberlehrer an der Realschule Dr. Otto Delitzsch. Sein Hinscheiden wird nicht bloß in den engeren Kreisen seiner amtlichen Lehrthätigkeit, sondern besonders auch von seinen Fachgenossen tief betrauert. Von Haus aus Theolog, wendete sich Delitzsch besonders nach seiner Anstellung an der Leipziger Realschule den geographischen Disciplinen zu, und aus seiner litterarischen Thätigkeit darin mag hier nur auf die 1869 begründete und beliebt gewordene Zeitschrift „Aus allen Weltteilen“ hingewiesen werden. Berufenere Federn haben bereits in verschiedenen Tages- und wissenschaftlichen Blättern auf die Verdienste Otto Delitzsch´s im Gebiete der Geographie hingewiesen, und die von ihm selbst im zehnten Jahrgange oben genannter Zeitschrift veröffentlichte biographische Skizze führt uns in ein stilles, anspruchsloses Gelehrtenleben ein, sie zeigt uns einen Mann, der „seine Freude allezeit am Lernen gehabt und dessen Arbeit auch nicht ohne Segen gewesen ist“. Was es uns aber insbesondere zur Pflicht macht, in diesen Blättern des Dahingeschiedenen zu gedenken, das ist seine Liebe zu unserem Erzgebirge, dem er auch durch seine Geburt (er wurde den 5. März 1821 in Bernsdorf bei Lichtenstein geboren) angehörte. Schon als Knabe durchwanderte er in der Ferienzeit manche Teile unseres Gebirgs und diese Anhänglichkeit hat er bis an sein Ende behalten. Gern verweilte er mit seiner Familie in dem schönen Wildenthal, am Fuße des Auersbergs, und von hier aus unternahm er als rüstiger Wanderer zahlreiche Ausflüge, welche ihm für seine bereits als Hauslehrer fleißig getriebenen naturhistorische, besonders botanischen Studien reiche Ausbeute eintrugen. Es ist zu bedauern, daß die im 5. Jahrgange (1874) der Monatsschrift „Aus allen Weltteilen“ in zwei Artikeln veröffentlichten „Bilder aus dem sächsischen Erzgebirge“ nicht in weitere Kreise gedrungen sind. In dem zweiten dieser Artikel, welcher die Überschrift trägt: „Der westliche Teil des Gebirges und seine Sommerfrischen“ hat bereits Delitzsch den Bestrebungen der Erzgebirgsvereine vorgearbeitet und so hat er uns, wenn auch nicht durch Mitgliedskarte, so doch durch seine Teilnahme, durch sein Eintreten für die Anerkennung unserer heimatlichen Gebirgsnatur angehört. Es sei gestattet, aus dem angezogenen Artikel nur einiges anzuführen. Nachdem Delitzsch auf die zahlreichen Sommerfrischen des Harzes und Thüringerwaldes hingewiesen, wendet er sich dem Erzgebirge zu und fragt, warum dasselbe fast gar nicht für den Zweck der Sommerfrischen besucht werde? Warum nicht? Er antwortet: „Etwa weil es an den nötigen Einrichtungen und Bequemlichkeiten fehlt? Diese sind auch im Harz und Thüringerwald erst durch den Zuzug von Fremden entstanden. Oder fehlt es an frischer Luft? Ich möchte im Gegenteil behaupten, daß das Erzgebirge mit seiner massiveren Erhebung, mit seiner durchschnittlich größeren Höhe über dem Meere, mit seinen ausgedehnteren Fichten- und Tannenwäldern ein gesunderer, frischerer Aufenthalt sei, als die genannten Gebirge. Es sind vielmehr zwei andere Ursachen. Die eine liegt in der Form des Gebirges, die andere in den Verkehrswegen.“ Delitzsch weist nun darauf hin, daß der Abfall nach Norden ein allmählicher ist, und darum treten dem von daher kommenden Besucher die Schönheiten der Gebirgsnatur nicht ohne Weiteres entgegen, sie sind über eine größere Landschaft zerstreut und wollen aufgesucht sein; auch fehlen dem Nordfuße jene zahlreichen anmutig gelegenen Ortschaften, wie sie der Harz und Thüringerwald bieten. Eisenbahnen nach den höheren Teilen des Erzgebirges sind erst später gebaut worden, so daß man früher nicht mit Bequemlichkeit und Leichtigkeit an die besonders schönen höher gelegenen Gebirgsorte gelangen konnte. „Es ist aber sicher,“ fügt Delitzsch weiter fort, „daß auch im Erzgebirge ein Anfang gemacht werden wird und muß. Unsere frischen, luftigen Bergeshöhen, unsere wasserreichen frischen Thäler, unsere balsamisch duftenden Wälder sind Schätze, welche für unsere und der Unsrigen Gesundheit ausgebeutet werden müssen, welche nicht ungesehen und ungenutzt liegen bleiben dürfen.“ Seitdem diese Worte niedergeschrieben wurden, ist es inbetreff der Anerkennung unsers Erzgebirgs etwas anders geworden; die Erzgebirgsvereine haben die Aufgabe übernommen, auf die schönsten Punkte ihres Bezirks, auf Orte, welche sich zu Sommerfrischen eignen, aufmerksam zu machen, sie suchen durch Bauten und Anlagen den Naturgenuß zu erhöhen, und sie weisen darauf hin, daß das Schöne, Herrliche der Gotteswelt nicht bloß in der Ferne, sondern auch auf Wanderungen durch das heimatliche Gebirge geschaut werden kann. Eine dankbare Erinnerung aber wollen wir, die wir diese Aufgabe uns gesetzt haben, unserm Vorläufer Otto Dietzsch noch in seinem Grabe bewahren; er hat gewiß, so dürfen wir wohl annehmen, während seines Lebens auch im persönlichen Umgange manchen Leipziger, der zu seiner Erholung wiederholt den Thüringerwald aufsuchte, auf die grünen Waldberge, die wechselvollen, von frischen Gewässern durchströmten Thäler und den seine eigentümlichen Reize besitzenden, mit ausgedehnten Mooren und der Sumpfkiefer bedeckten Hochkamm des Erzgebirgs aufmerksam gemacht.

Haben wir es leider unterlassen, ihm während seines Lebens zu danken, so wollen wir dies doch nach seinem Hinscheiden thun und besonders die Erzgebirger durch diese wenigen Zeilen auf sein Verdienst um die Anerkennung ihrer Heimat als Sommerfrisch und Wanderziel aufmerksam gemacht haben.

Dr. Köhler.

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 2. Jahrgang. No. 12 v. 15. Dezember 1882, S. 109 – 110.