Erzgebirgische Sagen.

Unweit der freundlichen Stadt Zöblitz im sächsischen Erzgebirge an den Ufern der roten Pockau liegen die Ruinen der alten Burgen Ober- und Niederlauterstein. Mit Wehmut betrachtet der Wanderer diese Trümmer der Vorwelt, die ehemaligen Wohnungen gewaltiger, berühmter Geschlechter. Die Burg Oberlauterstein, ¼ Stunde westlich von Zöblitz über dem rechten Pockauufer auf einer felsigen Bergecke, wurde schon im Jahre 1430 von den Hussiten, die eben von der Verwüstung der Schneeberger Bergwerke herkamen, geschleift. Das Schloß Niederlauterstein, nur einige Minuten unterhalb davon am linken Pockauufer, erhielt sich über 200 Jahre länger. Nachdem es im Jahre 1559 Kurfürst August von Kaspar von Berbisdorf gekauft und zum Sitz eines Amtes bestimmt hatte, wurde es im März 1639 als am Gründonners- und Charfreitag Banners Scharen die ganze Umgegend (Zöblitz, Olbernhau) verwüsteten, von drei Schwedischen Reitern in Brand gesteckt und nun von seinen Bewohnern verlassen. Die Ruinen des Schlosses Niederlauterstein gehören zu den schönsten des Gebirges, und vieles erzählt man sich von der früheren Erbauern und Besitzern desselben, den Grafen von Berbisdorf, von denen einer 1530 bei einem Brande im Schlosse auf schreckliche Weise sein Leben verlor. Es war Georg von Berbisdorf, ein gebrechlicher Greis von 90 Jahren. Um ihn vom Flammentode zu retten, wollte man ihn, in Tücher gewickelt, zu einem der Fenster herablassen, allein die in der Eile nicht festgeknüpften Knoten lösten sich und der unglückliche Alte wurde an den Felsen zerschmettert. Schauerliche und liebliche Volkssagen bieten die Trümmer beider Burgen dar; möge es hier in diesen Blättern gestattet sein, daß ein Sohn des Gebirges, der seine glückliche Jugendzeit in der Nähe dieser Ruinen verlebte, einige, wenn auch abergläubische Sagen, wie sie ihm in seiner Jugend oft von alten Leuten erzählt worden sind, der Vergessenheit entreißt.

I.

Die Burg Oberlauterstein ist im Hussitenkriege geschleift worden. In den noch längere Zeit stehenden Überresten wohnten Berggeister und Zwerge, welche sich nicht mit einander vertrugen, sich stets zankten und des Nachts einen furchtbaren Lärm verursachten, so daß die Wanderer oft auf den Gedanken kamen, es donnere daselbst. Da kam einst aus dem Bayerlande ein Geisterbanner, ein Feilenhauer von Profession, in diese Gegend. Es war ein langer, hagerer Mann mit zerlumpten Kleidern, als Geisterbanner gesucht hier und da, gefürchtet aber von jung und alt. Der Amtmann im Schlosse Niederlauterstein bat ihn, die Geister in der Ruine Oberlauterstein zu bannen, denn sie ließen auch ihn nicht ungeneckt. Der Feilenhauer versprach alles und hielt auch Wort. In einer finsteren Nacht nahm er seine Beschwörungen vor, pfiff drei Mal ganz laut, und die unruhigen Geister krochen allzumal in den vorgehaltenen Ranzensack. Diese Geister trug der Mann in der folgenden Nacht im Ranzen, wie eine Partie junger Katzen, in die entferntere Ruine des Raubschlosses am Katzenstein, wo sie sich nun unter dunklen Fichten die Zeit mit Würfel- und Kartenspiel vertrieben. Als jedoch die Ruinen des Raubschlosses immer mehr zusammenbrachen, hatten die gebannten Geister nicht alle mehr Platz und zogen aus. Nicht selten zeigen sie sich jetzt noch in der Nähe des alten Oberlauterstein in feuriger Gestalt. Die Gattinnen dieser Geister heißen Klageweibel. Sie zeigen den nahen Tod der Bewohner an und haben ihren Sitz auf den sumpfigen Wiesen von Ansprung. Zuweilen erscheinen sie auch in Zöblitz in Gestalt kleiner Kinder, bittere Thränen vergießend.

II.

Ein Holzhauer aus Zöblitz arbeitete einst, vielleicht vor 300 Jahren, in der Nähe des Oberlauterstein. Es war Abend geworden, und eben wollte er nach Hause gehen. Da trat aus einer verfallenen Burgmauer ein Mann in alter Rittergestalt hervor. Hinter ihm eröffnete sich eine große Höhle; in dieser brannte ein helles Feuer, und deutlich sah der bestürzte Waldarbeiter eine Braupfanne voll rotglühendes Gold. Der alte Ritter winkte ihm freundlich und reichte dem Holzhauer einen ordinären Ziegelstein hin. Schüchtern griff der Mann darnach. Sogleich geschah ein Donnerschlag; die ganze Erscheinung war im nu verschwunden, und der Arbeiter stand im Finstern, den Ziegelstein in der Hand haltend. Er ging nach Hause; aber da ihm der Ziegelstein zu schwer wurde und er sich nicht mit dem unnützen Gute herumtragen und zu Hause auslachen lassen wollte, so warf er ihn ins Gebüsch. „Nun, Mann, wie siehst Du nur aus?” fragte ihn zu Huse mürrisch und spottend die Frau; „Du glänzt ja, als wenn Du vergoldet wärst am Ärmel.” Der Mann sah nach und erblickte den puren reinsten Goldstaub an den Händen und seinen Kleidern. Nun erzählte er seine Geschichte am Schloßfelsen. Am andern Morgen suchte er bei guter Zeit nach dem weggeworfenen Steine mit Weib und Kindern. Allein umsonst; den edlen Stein hat niemand wieder gesehen.

III.

Am Sylvestertage nachts zwölf Uhr, wenn die Glocken zu Zöblitz das neue Jahr verkünden, erhebt sich mit dem ersten Glockenschlage der hohe Fels des Oberlautersteins und ein Zuschauer kann vom Thale aus die Braupfanne voll Gold betrachten und mittels eines wackern Geisterbanners heben. Mit dem letzten Glockenschlage verschließt sich die Höhle wieder, und die Braupfanne sinkt in die Tiefe.

IV.

In den unterirdischen Gewölben der Ruinen des Schlosses Niederlauterstein sollen 3 Kessel stehen, jeder eine Elle hoch und breit, mit lauter gemünztem Golde. In einem andern Kessel liegen Edelsteine, Kleinodien von unendlichem Werte und eine goldene Krone aus den Zeiten der böhmischen Lehnsherrschaft. Vor alten Zeiten ist ein Mönchlein aus Prag gekommen in schwarzen Kleidern, klein von Person und hinkend. Dieser hat den Schatz heben wollen. Als er aber im Gewölbe war und die Schätze bereits vor sich sah, schrie er vor Erstaunen. Die Gewölbe schlossen sich, und von ihren Kleinodien, sowie von dem mönchischen Geisterbanner hat niemand wieder etwas bemerkt.

V.

Einst hütete ein junger Hirt aus Lauterbach seine magere Herde bei der Ruine und legte sich auf den weichen warmen Rasen, um sich zu sonnen. Schon wollte er zu Mittag eintreiben, als er ein Geräusch hinter sich hörte. Er sieht sich um und erblickt eine Jungfrau, groß und stark, in einer Kleidung, wie sie jetzt niemand mehr trägt, beschäftigt Laub zusammen zu rechen. Freundlich kommt sie auf den Hirten zu, steckt ihm alle Taschen voll Laub und verschwindet, als er sich nach ihr umsieht. Voll Verwunderung und innerm Grauen treibt der Knabe seine Herde eilig nach Hause. Hier erzählt er seine Vision bei Tische, greift in die Tasche nach dem Laube und zeigt es vor. – Welch Wunder! Die Blätter hatten sich in eitel Gold verwandelt. Noch an diesem Tage gingen unsere Leute in die Gegend der Ruine, um Laub zu rechen. Sie brachten ganze Säcke davon nach Hause, aber es war und blieb Laub. Der Hirtenknabe kaufte später das Lehngericht in Lauterbach; aber die goldspendende Jungfrau hat er nie wieder gesehen.

VI.

Zu einer andern Zeit ging eine arme Frau, welche Beeren gesucht hatte, des Abends nach Zöblitz zu. Als sie die Ruine Lauterstein erblickte, sah sie auf der Höhe eine kleine Kapelle, deren Thüren offen standen. Neugierig stieg sie hinauf, setzte ihr Kind auf die Erde, ging in die Kapelle und erblickte hier in einem Kasten vor dem Altar gemünztes Gold. Sie raffte so viel davon in die Schürze, als sie tragen konnte; freudenvoll eilte sie damit nach Hause, ihr Kind und die Beeren vergessend. Nachdem sie das Gold aufgehoben, gedachte sie ihres armen Kindes. Als sie athemlos auf der Ruine ankam, war die Kapelle verschwunden, aber auch ihr Kind. Jammernd und klagend ging nun das arme Weib täglich zur Ruine; sie verwünschte das Gold und wollte es gar nicht wieder ansehen; das Liebste fehle ihr ja – ihr unschuldiges Kind. So trieb sie es Jahre lang. Als sie nach drei Jahren an demselben Tage abermals mit verweinten Augen die Mauern der Ruine anstarrte, siehe da zeigt sich die Kapelle wieder. Freudig eilte sie hinein und trifft vor dem Altare ihr Kind ruhig schlafend an. Mit Entzücken preßt sie es an ihr mütterliches Herz und eilt mit demselben, ohne an den Schatz in der Kapelle zu denken, nach Hause. Als sie den Berg herunter geht, sieht sie sich um; da steht wieder die graue Ruine da; die Kapelle ist verschwunden. Sie zog nun nach Böhmen, kaufte hier eine Grafschaft, legte ein Kloster an und that von ihren Schätzen den Armen viel Gutes.

Wenn diese Sagen dazu beitragen sollte, daß in dieser schönen Jahreszeit einige von den geehrten Lesern derselben den Wanderstab ergreifen und diese interessante Gegend aufsuchen, so hat der Erzähler damit seinen Zweck erreicht. Der Wanderer versäume aber nicht, vor dem Ersteigen der Ruinen im Bahnhofs-Restaurant in Zöblitz einzukehren, wo ihm Herr Morgenstern, dem hierdurch aus der Ferne ein herzliches Glückauf zugerufen wird, zur vorherigen Stärkung ein gutes „Böhmisches” recht gern kredenzt.

Wg.

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 2. Jahrgang. No. 5 v. 15. Mai 1882, S. 45 – 46.