Was sagen uns die slavischen Namen im sächsischen Erzgebirge und seinem nördlichen Vorgelände?

Von Lic. Dr. Bönhoff, Annaberg, jetzt Dresden.

Glückauf! Zeitschrift des Erzgebirgsvereins. 35. Jahrgang. Januar 1915. S. 8 – 10.

I.

In den folgenden Blättern soll eine systematische Ausdeutung aller slavischen Namen in unserem Erzgebirge versucht werden; denn eine bloße Aufzählung derselben würde langweilig wirken; es fände sonst gleichsam eine Inventarisierung statt, und trocken träte neben jeden Namen seine mehr oder minder sichere Deutung. Das möchte ich vermieden wissen und die Namen in einen organischen Zusammenhang mit Umgebung und Geschichte stellen. Um die in der Überschrift angezeigte Erweiterung unseres Forschungsgebietes zu rechtfertigen, stütze ich mich auf zwei ausschlaggebende Gründe; einmal ist es ein anthropogeographischer: die Siedlungsgeschichte des Gebirges1 legt es nahe, das nördliche Vorgelände zu berücksichtigen, und zum andern bestimmt mich ein historischer, vor allem politische Beziehungen (als Herrschaftsgebiete zu gebirgischen Dynasten oder Klöstern) zu beachten. Als solche Gegenden, die mit unserm Gebirge in Verbindung stehen, betrachten wir die Umgebung von Hainichen und Frankenberg, Chemnitz und Hohenstein-Ernstthal, Glauchau und Lichtenstein, Zwickau und Wildenfels. Es handelt sich also um das Sächsische Mittelgebirge in der Hauptsache und um das Muldental von Wildenfels bis hinunter nach Glauchau, um das Waldland, das sich zwischen den beiden Mulden unserm Gebirge vorlagerte und erst durch die ostdeutsche Kolonisation des 12. und 13. Jahrhunderts dem Anbau erschlossen ward.

II.

Es liegt uns zunächst ob, nach den neuesten geologischen Bestimmungen unser Gebirge fest nach Westen, Norden und Osten abzugrenzen; im Süden spielt das Verhältnis Sachsens zu Böhmen eine große Rolle bei der Festlegung der Grenze, sodaß hier der geschichtliche Gesichtspunkt allein maßgebend sein kann. Es ist nicht ganz richtig, wenn man sagt, daß der Fuß unseres Gebirges im Norden mit der Linie zusammenfalle, die zerstreute und dichtgehäufte Namen slavischer Zunge von einander scheide; sie liegt vielmehr wesentlich nördlicher und läuft an dem Waldsaume entlang, der in bald schmälerer, bald breiterer Ausdehnung den Fuß unseres Gebirges umgibt.

a.

Beginnen wir mit der Abgrenzung desselben nach dem Westen, zum Teil also dem Vogtlande zu, so beginnen wir am Aschberge und folgen einer Linie, die uns zwischen Hammerbrücke und Jägersgrün hindurch (am Thierberg vorbei, s. u.) zum Kuhberg führt und von Rothenkirchen aus westlich vorspringt, um an Irfersgrün und Voigtsgrün vorüber zu laufen, dann wieder ostwärts einzuschwenken, Niedercrinitz und Cunersdorf einzubefassen, mithin das Tal des Rödelsbaches zwischen Wilkau und der Stadt Kirchberg zu kreuzen und schließlich an der Mulde bei Wiesenburg zu endigen.

Von hier ab nimmt dann zunächst bis Chemnitz eine Linie, die bis zu ihrer Vollendung eine zumeist nordöstliche Richtung innehält, folgenden Verlauf: zuerst geht es im Muldentale stromauf bis zur Haltestation Fährbrücke; Hartenstein, Thierfeld und Niederwürschnitz bleiben innerhalb unserer Grenzlinie, d. h. östlich derselben, und so setzt sie sich im Würschnitztale fort bis zur Vereinigung mit der Zwönitz, die hart an der Grenze des heutigen Chemnitzer Weichbildes (im Süden der Vorstadt Altchemnitz) sich vollzieht. Von diesem Punkte eilt unser Grenzzug über Euba zum Zusammenflusse von Zschopau und Flöha und von da ab zum Südrande des Zellischen Waldes, um oberhalb des Städtchens Siebenlehn die Freiberger Mulde zu passieren und sich längs (d. i. jenseit) des breiten Waldgürtels, der einst die Meißner Pflege nach Süden zu vollständig abschloß, ostwärts nach Tharandt zu wenden. Damit wäre die Abgrenzung nach dem Norden zu gegeben.

Im Osten aber bemerken wir, wie die dortige nahezu parallel dem Laufe der Elbe sich ausdehnt. Denn von Tharandt aus stellen wir eine Linie fest, die auf den Höhen der Dresdner Elbtalweitung sich bewegt, d. h. über Rabenau und Wendisch-Carsdorf, am Wilischberge vorbei, die Müglitz oberhalb Maxen – Häselich überschreitend und Borna (bei Liebstadt), nicht etwa Pirna zum Richtpunkt nehmend, auf die Gottleuba abschrägt; diesen Fluß begleitet sie stromauf bis zur böhmischen Grenze, und an ihm berühren sich Erz- und Elbsandsteingebirge. Nimmt man noch die böhmische Grenze, auf die wir sofort zu sprechen kommen, hinzu, so gleicht die Gestalt des sächsischen Erzgebirges etwa einer spätmittelalterlichen Sturmhaube mit steiler Stirndecke (Aschberg – Wiesenburg), langem Vorderdache (Wiesenburg – Siebenlehn), gewölbtem Hinterdache (Siebenlehn – Wilischberg), schiefem Nackenschirme (Wilischberg – Gottleuba) und mehrfach geschweifter Krempe (böhmische Grenze: Gottleuba – Aschberg).

b.

Die böhmische Grenze hat, bis sie die heutige Ausdehnung erhielt, im Laufe der Zeiten geschwankt und gewechselt: sie hat weiter als jetzt nach Sachsen, d. i. ins Gebirge hinein sich erstreckt und ist durch die zielbewußte Politik der Wettiner zurückgedrängt worden. Ihr eignet aber nicht nur eine politische, sondern auch eine kirchliche Bedeutung; die letztere dürfen wir nicht außer acht lassen, zumal es sich hier um ein Stück Nordgrenze eines spezifisch tschechischen Landesbistums, der Diözese Prag, handelt, und wir mit der Feststellung ihres Sprengels, namentlich im Hinblick auf die benachbarten Bistümer (Meißen und Naumburg) einen dankenswerten Aufschluß über die diesseitige und jenseitige Besiedlung der erzgebirgischen Kammgegenden im 14. und 15. Jahrhundert empfangen.

Wir zählen demnach zunächst die Herrschaften auf der sächsischen oder, wie wir eigentlich sagen müssen, auf meißnischer Seite auf und beschränken uns auf diese, weil dies hier genügt; dabei stellen wir nachstehenden Bestand fest:

  1. Lauenstein mit dem Altenberge und dem Geising; bekanntlich führt die Stadt in ihrem Wappen den böhmischen Löwen, und das Schloß galt nach dem Egerschen Vertrage (1459) noch als ein böhmisches Lehn der Wettiner, die es jedoch laut eines Abkommens vom Jahre 1372, das Karl IV. mit ihnen traf, faktisch inne hatten.2
  2. Rechenberg, ursprünglich ein Pertinenzstück der böhmischen Herrschaft Riesenburg; sein Lehn ward der böhmischen Krone entfremdet, eine Tatsache, der das eben erwähnte Pirnaer Abkommen (1372) bereits Rechnung trägt.
  3. Frauenstein, dessen meißnische Lehnshoheit nie fraglich war und stets unverändert blieb.
  4. Sayda-Purschenstein, zwischen Böhmen und Meißen schwankend; bis zur Zeit Heinrichs des Erlauchten böhmisch, dann an ihn abgetreten und erst durch seine Schwiegertochter wieder an Böhmen veräußert, endlich jedoch durch seinen Enkel Friedrich den Freidigen endgiltig seinem Hause gesichert und der Mark Meißen ohne jede Lehnspflicht Böhmen gegenüber einverleibt, zeigt uns die Herrschaft mit ihren beiden einander nahe benachbarten Burgen gerade durch diesen Wechsel ihre große Bedeutung für den Grenzverkehr beider Länder: bereits im Beginne des 14. Jahrhunderts sah sich hier Böhmen bis zur Kammhöhe des Erzgebirges zurückgedrängt.
  5. Lauterstein, dessen meißnische Lehnshoheit schon bei seinem ersten Auftauchen unter Friedrich dem Freidigen feststeht.
  6. Wolkenstein, für das wir ein Gleiches viel früher unter Heinrich dem erlauchten (1241) urkundlich zu erhärten imstande sind.3

(Fortsetzung folgt.)


(Fortsetzung.)

Glückauf! Zeitschrift des Erzgebirgsvereins. 35. Jahrgang. Februar 1915. S. 20 – 23.

  1. Schlettau, ein vorgeschobener Posten der böhmischen Herrschaft; im 14. Jahrhundert im Besitze des deutschen Herrengeschlechtes der Schönburge und von ihnen 1413 ans Kloster Grünhain veräußert, verlor es unter Friedrich dem Sanftmütigen auf kriegerischem Wege seine böhmische Lehnsqualität, obschon Böhmen bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts dagegen demonstrierte.
  2. „Grafschaft” Hartenstein, ein Reichslehn, bis es infolge Verpfändung an die Schönburge (1406) infolge kaiserlicher Entscheidung um die Mitte des 15. Jahrhunderts an Sachsen überwiesen wird.
  3. Schwarzenberg einschließlich des vom Kurfürsten Moritz laut des Prager Vertrages vom 14. Oktober 1546 an Böhmen abgetretenen Südteils (mit Platten und Gottesgab), dessen Rainung gegen Sachsen zu Schneeberg am 26. Oktober 1556 festgesetzt und auf der sächsischen Seite am 4. Juli 1558 abgezogen ward4; die Lehnschaft blieb böhmisch, wie Sachsen im Jahre 1459 zu Eger anerkannt hatte, und bestand seit 1213, wo Kaiser Friedrich II. die Burg mit ihrem Zubehör an Böhmen verschenkt hatte, während der faktische Besitz den Wettinern bereits am 25. November 1372 böhmischerseits garantiert wurde.
  4. Auerbach, eine vogtländische Herrschaft, deren meißnische Lehnshoheit 1349 urkundlich erwiesen ist und gleichfalls 1372 von Karl IV. gewährleistet wird, in deren Ostteil jedoch das Westende unseres Gebirges hineinragt; ihr noch heute stark bewaldeter Südosten, das heutige Rautenkranzer Revier, zieht sich ja bis an die böhmische Grenze hin, die dort den sogenannten „Kranichsee”, das bekannte Hochmoor, durchschneidet: der Name hat weder mit „Kranich” noch mit „See” etwas zu tun, ist nicht deutsch, sondern slavisch und bedeutet granica = die Grenze, ein Wort, das selber aus dem Slavischen entlehnt worden ist.

Aus allem ersehen wir, daß Böhmen versucht hat, an beiden Enden des Gebirges (Lauenstein im Osten und Schwarzenberg im Westen) sich festzusetzen und sich als Ausfallspforten die Straßenköpfe auf der meißnischen Kammseite (Sayda und Schlettau) zu sichern5. Indessen gelingt es den Wettinern, die letzteren ganz in ihre Hände zu bekommen und an den beiden Endpunkten, wenn auch unter Anerkennung der fremden Lehnshoheit, doch in den faktischen Besitz einzutreten. Dieses Herüber und Hinüber setzt aber erst dann ein, als die betreffenden Gegenden durch deutsche Besiedlung politische Anziehungskraft gewannen. Solange der Wald sie bedeckte, verlor sich auf beiden Seiten die Grenze in sein Dunkel, und er bildete ihren natürlichen Schutz.

Betrachten wir noch etwas eingehender die böhmischen Orte des Erzgebirgskammes, so fällt uns auf, wie sie fast alle erst dem im 16. Jahrhunderts aufkommenden Bergbau ihre Entstehung und ihre oft recht kurze Blütezeit verdanken. Ich zähle hier von Westen nach Osten zu auf: 1. Frühbuß, 2. Bäringen, 3. Abertham, 4. Joachimsthal6, 5. Böhmisch-Wiesenthal, 6. Schmiedeberg, 7. Kupferberg, ferner 8. Sonnenberg, 9. Sebastiansberg, 10. Katharinenberg, 11. Niklasberg und 12. Teile von Zinnwald. Nur da, wo die wichtige Preßnitzer Straße aus Böhmen heraus nach Schlettau führt, treffen wir hart am Kamme die alte Stadt Preßnitz an, deren erste urkundliche Erwähnung in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erfolgt, und die wir damals unter den Besitzungen der Herren von Schönburg auf dem Hassensteine antreffen.

c.

Interessant, gleichsam eine Probe auf das soeben Dargestellte, ist die Aufstellung des kirchlichen Grenzzustandes. Wir besitzen noch die Matrikel des Erzbistums Prag vom Jahre 1384, und darnach entfallen auf die tschechischen Kirchenprovinzen Bilin und Saaz folgende Pfarreien:

  1. Archidiakonat Bilin: Habartice (Ebersdorf bei der Müglitzquelle), Krupa (Bergstadt Graupen), Altosek (Alt-Ossegg) im Dekanat (Erzpriesterstuhl) Aussig; Litvinov (Oberleutensdorf), Kliny oder mons sancti Wenceslai d. i. St. Wenzelsberg (Göhren, zu deutsch: Bergen!), Novosedly (Gebirgsneudorf) im Dekanat Bilin.
    NB. Im Jahre 1206 gehörte die Kirche zu Zawidow (Sayda i. E.) noch zum Sprengel von Prag, da damals dessen Bischof Daniel sie dem Kloster in Ossegg einverleibte; ein Jahrhundert später (1307) überweist der Bischof von Meißen, Albrecht III., sie mit ihren Nachbarkirchen, die zusammen die sedes Saydowe bildeten7, der Verwaltung seines Dompropstes, nachdem er selber eine Zeitlang direkt seine Jurisdiktion ausgeübt hatte, was indes sein Kapitel beanstandet hatte.
  2. Archidiakonat Saaz: Boleboř oder Gottfriedsdorf mit Filial Bernav (Göttersdorf und Filial Bernau), Blatno (Platten bei Görkau), Krimov (Krima bei Sebastianberg), Hassenstein (Schloßkirche), Wolynĕ (Wohlau), Lauchov (Laucha) ─ hier springt die Diözese nach Nordwesten weit über den Kamm hinaus und treibt einen Keil zwischen die Bistümer Meißen und Naumburg; ihn bilden: Přisečnice oder Přessnice (die bekannte Stadt) und Slatina (Schlettau) ─ und weiter an der Eger: Klašterec (Klösterle), Piršenstein (Pürstein, Schloßkirche), Woc (Wotsch) im Dekanat Kaden; Welichow (Welchau), Slawkenwerd oder Ostrow (Schlackenwerth), Hroznetin (Lichtenstadt) und Neudek (das bekannte Bergstädtchen) im Dekanat Elbogen.

Abgesehen von den beiden Kirchen an der Preßnitzer Straße, liegen also die meisten von ihnen am Südfuße oder auf dem Südabhange des böhmischen Erzgebirges; nur einige wie Ebersdorf, Göhren, Gebirgsneudorf und Filial Bernau befinden sich auf der Kammhöhe.

Ihnen entsprechen nun jenseits die Parochien der beiden eben erwähnten Nachbardiözesen. Die Matrikeln, die hier zugrunde gelegt werden, stammen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts: die Meißner ist vor 1495, die Naumburger (Fragment) um 1480 anzusetzen. Meißen ist dabei mit folgenden Pfarrkirchen vertreten:

  1. Archidiakonat Nisan: Lauenstein, Bärenstein, die möglicherweise einmal kirchlich Prag unterstanden (neu: Altenberg, Geising) und Sadisdorf (neu: Schmiedeberg, Schellerhau) in der Sedes Dippoldiswalde.
  2. Meißner Dompropsteisprengel: Frauenstein (neu: Hermsdorf), Dorfchemnitz, Zethau, Mittelsaida, Forchheim und Lauterbach (neu: Zöblitz, Rübenau, Pobershau) in der Sedes Freiberg.
    NB. Seit dem Jahre 137 lagerte sich hier die Sedes Sayda i. E. vor, die damals zu dieser meißnischen Kirchenprovinz hinzukam. (s. o.)
  3. Archidiakonat Chemnitz: Großrückerswalde (neu: Kühnhaide, Marienberg, Mauersberg), Arnsfeld (neu: Steinbach, Satzung, Grumbach und Gosswinsdorf, nach dem Hussitenkriege Jöhstadt), Mildenau (neu: Königswalde), Kleinrückerswalde (neu: Annaberg) und Herrmannsdorf in der Sedes Wolkenstein.

Auf Naumburg entfallen die nachstehenden Kirchen im Sprengel jenseit der Mulde, der Provinz des Zeitzer Stiftsdechanten:

Elterlein und Crottendorf, beide exemt (neu: Scheibenberg, Neudorf, Hammerunterwiesenthal, Oberwiesenthal), Mittweida (jetzt Markersbach) (neu: Schwarzbach, Raschau) und Schwarzenberg (neu: Grünstädtel, Crandorf, Rittersgrün, Breitenbrunn, Sosa, Hundshübel, Eibenstock, Johanngeorgenstadt, Platten und Gottesgab). Zu allerletzt, dem Verwaltungsbezirke des Zeitzer Stiftspropstes angehörig, schließt sich auch Auerbach an, das noch gegen die Mitte des 16 Jahrhunderts in seinem Pfarrsprengel 2 späterhin selbständig gewordene Filiale (*) und 9 Beidörfer8 einbeschloß (neu: *Rodewisch, *Rothenkirchen, Stützengrün, Schönheide, Schnarrtanne-Vogelsgrün, Rautenkranz und Tannenbergsthal).

Wir bemerken also auch auf der sächsischen Seite, wie weit die genannten Pfarrorte von der Kammhöhe entfernt sind: sie liegen am Saume der großen Waldungen, die zu ihr hinansteigen und in den Herrschaften Auerbach, Schwarzenberg, Hartenstein, Wolkenstein, Lauterstein, Frauenstein und Lauenstein eine gewaltige Markscheide, eine natürliche Schutzmauer bilden. Nur zwei Stellen finden wir offen: nördlich von Sayda, bis auch hier infolge der sächsischen Erwerbung sich die Lücke des waldigen Bollwerks durch die Purschensteiner Forsten schloß, und um Schlettau herum; an diesen beiden Stellen aber durchquerten sehr wichtige Straßenhauptzüge unser Gebirge schon von früheren Zeiten her. Es ist merkwürdig, daß hier zugleich mit dem Königreich Böhmen die Diözese Prag vorstieß: Sayda hat sie freilich zwischen 1206 und 1307 aufgeben müssen, Schlettau dagegen hat sie bis zur Reformation festgehalten, obwohl politisch die böhmische Hoheit verloren ging.

IV.9

Nachdem wir das sächsische Erzgebirge nach allen Seiten hin abgegrenzt haben, wird es sich empfehlen, nunmehr darüber Untersuchungen anzustellen, wieweit die sorbischen Gaue in unser Gebirge hinein oder an dasselbe heranreichen, wobei unserer Absicht gemäß auch das nördliche Vorgelände mit einbezogen werden muß.

Wir gehen aus vom Ostende des Erzgebirges, das in den Gau Nisan sich hineinerstreckt. Seinen Namen „Niederland” empfing derselbe von der Elbtalniederung, soweit sie von Pirna bis in die Nähe von Meißen reicht, und diese wird auf beiden Ufern von Gebirgshöhen, auf dem linken von denen unseres Gebirges eingefaßt. Hier im Tale siedelten die Slaven dichtgedrängt in zahlreichen kleinen Weilern, die vor allem um die Burg Dohna sich gruppieren, wo ja auch ein Burggraf des Reiches seinen Sitz hatte. Wie weit die Grenze des Gaues Nisan nach Westen zu gegangen ist, läßt sich nur annähernd bestimmen, und zwar mit Hilfe der Meißner Bistumsmatrikel, die unter den 9 Kirchenprovinzen des Hochstiftes auch einen Archidiakonat Nisan aufführt. Sein südwestlicher Erzpriesterstuhl Dippoldiswalde kommt hier in Frage, außerdem noch der Südzipfel der Sedes Pirna.10 Der erstere bestand aus 20 Pfarreien,11 und seine Westgrenze fällt durchweg mit der Wilden Weißeritz von ihrer Quelle bis zur Mündung der Roten Weißeritz zusammen. Man darf aber ruhig sagen, daß diese sämtlichen Pfarreien erst mit der deutschen Kolonisation ins Leben getreten sind: dann aber mögen immerhin die beiden Weißeritzen mit den dazwischen liegenden Waldungen eine Markscheide für den Gau Nisan nach Westen zu dargestellt haben; jedoch die slavische Siedlungsgrenze rückt viel weiter ostwärts ab: wir können sie durch den Poissenbach, den Quohrener Bach und das Grimmsche Wasser im Tale oberhalb von Lungwitz bis hinab nach Kreischa markieren. Die beiden Täler der Weißeritz sind in der slavischen Zeit und während der deutschen Okkupationsepoche (10. und 11. Jahrhundert) Waldland, aber kein Siedlungsgebiet. Das Gleiche gilt von der Gegend südlich Liebstadt zwischen Müglitz und Gottleuba.

(Fortsetzung folgt.)


  1. Ich gedenke, auf sie in einem späteren Artikel unter speziellen Gesichtspunkten ausführlicher einzugehen. ↩︎
  2. Ein Gleiches gilt von dem unweit gelegenen Bärenstein. ↩︎
  3. Ich möchte hierbei nicht die Gelegenheit vorübergehen lassen, eine alte Grenzbeschreibung aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts beizufügen. Sie besagt nämlich: „Das sint die Reyne, die so scheyden das lant zcu Behmen vnd zcu Missen: Item die grosse pocke (Schwarze Pockau, Schwarzwasser) gehort mit beiden uffern auß und auß in das Land zcu meiesßen, bis das sie kompt an beylbach (Peile bei Christophhammer zwischen Schmalzgrube und der Stadt Preßnitz). Item so reynt denn der Beylbach biß in die cleyne prißnitz (ist etwa die „große” Preßnitz das Schwarzwasser, das bei Schmiedeberg entspringt und bei Schmalzgrube mündet?) vnd furet denn uff den Reynseiffen, vom Reynseiffen bis uff das haergraß, vom haergraß furder uff den Stein, der in dem wege steht, also man feret uff den grensweg vom stein uff saltmas, vom saltmas uff den Crutziger (Waldstück bei Jöhstadt), vom Crewtziger uff die Constinopil (Conduppelbach), von dem Constinopil uff die mortbrucke, vonn der mortbrucke furder biß uf die strasse (nach Kühberg), vnd fort von der strasse uff die Bele (Pöhlbach) ab vnnd abe.” Hierzu vergleiche man Mag. Christian Lehmann´s „Historischen Schauplatz des Meißnischen Obererzgebirges”, S. 139 f. ↩︎
  4. Vgl. Lehmann, a. a. O. S. 132 – 138. ↩︎
  5. Auch den Reitzenhainer Paß muß es, wahrscheinlich durch das „Raubschloß” im Pockautale, in seine Gewalt zu bringen beabsichtigt haben; viele Bestrebungen fallen in den Beginn des 14. Jahrhunderts. Saßen hier die böhmischen Adligen Heinrich und Bohuslaw v. Wyra, die Wüstenschletta bei Marienberg besaßen? ↩︎
  6. Man wolle beachten, daß die beiden Bergstädte Platten und Gottesgab erst seit 1546 böhmisch sind (s. o.), von Haus aus jedoch durch Kurfürst Johann Friedrich den Großmütigen von Sachsen gegründet wurden. ↩︎
  7. Es waren ihrer acht Pfarreien: Neuhausen (alias Purschenstein), Cämmerswalde, Rechenberg, Claußnitz, Voigtsdorf, Dörnthal, Pfaffroda und Olbernhau. Später, namentlich infolge der lutherischen Exulantenansiedlungen, traten die Pfarreien Nassau, Oberneuschönberg, Seiffen und Deutschneudorf ins Leben. ↩︎
  8. Diese von alters her nach Auerbach eingepfarrten Ortschaften heißen: Rebesgrün, Reumtengrün, Mühlgrün, Rempesgrün, Hohrngrün, Brunn, Rützengrün, Wernesgrün und Vogelsgrün. ↩︎
  9. Ein schwaches Band mit Böhmen bildete in kirchlicher Hinsicht der Saydaer Patronat des Klosters Ossegg, mit dem sich gegen eine Pension die v. Schönberg vom Abte belehnen ließen. (Diese Anmerkung gehört ganz ans Ende der vorigen Nummer) ↩︎
  10. Ihn bildeten die 4 Kirchspiele Brettenau, Döbra, Liebstadt und Borna; letzteres war bis zur Reformation selbständig. ↩︎
  11. Sie lassen sich folgendermaßen zusammenstellen: Somsdorf, Höckendorf, Reichstädt, Sadisdorf und Hennersdorf (rechts der Wilden Weißeritz); Rabenau, Seifersdorf und Dippoldiswalde (an der Roten Weißeritz); Johnsbach, Bärenstein, Lauenstein, Liebenau und Dittersdorf (im Müglitztale); Glashütte, Altenberg und Geising (Gründungen des 15. Jahrhunderts); Reinhardtsgrimma (am Oberlaufe des Grimmschen Wassers oder des Lockwitzbaches); Possendorf, Kreischa und Maxen (am Rande des slavischen Altlandes). ↩︎