Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 1 / 120. Jahrgang. 9. Januar 1927. S. 5.
Über Epidemien, die in unserem Erzgebirge in ähnlicher Weise auftraten, wie in den letzten Jahren die Grippe und Influenza, teilt uns der Erzgebirgsschriftsteller Mag. Christian Lehmann (* 1611 zu Königswalde, † 1688 als Pfarrer zu Scheibenberg) in seinem „Historischen Schauplatz derer natürlichen Merkwürdigkeiten in dem Meißnischen Obererzgebirge” – und z. T. auch sein Zeitgenosse Mag. Georg Arnold in seinem Chronicon Annabergense Continuatum – folgendes mit:
„Unsere Gebirger haben zu unterschiedlichen Zeiten etliche ungemeine Krankheiten, epidemia contagia, ausgestanden.
Anno 1486, nachdem der Scharbock das vorige Jahr eingebrochen, erfolgte Febris pestilens Anglica, insgemein die Englische Schweiß-Sucht genannt, welche zuerst in England in die See-Städte, und von dannen in Sachsen und dieses Land getragen worden, also daß die Leute von 24stündigen Schlaff und Schweiß stracks sturben, und weil man dieser unbekannten Seuche nicht kräfftig zu widerstehen wuste, wurden anfangs viel 1000 daran hingerissen.
Anno 1521 riß ein gewaltiges Fluß-Fieber, der Schnarr-Gieckel genannt, mit Gewalt ein, welches die Patienten mit Haupt-Weh, Catarrh und Scharren auff der Brust und in Lufftröhren, daran viel erstickten, sonderlich die mit zufälligem Seitenstechen Beladenen auffgerieben wurden.
Anno 1529 kam der Englische Schweiß noch gifftiger und hefftiger als vor 43 Jahren. Wer nur ein wenig davon hörte und erschrack, der war des anderen Tages tod.
Anno 1572 wurden zum ersten mahl die hitzigen und tödlichen Fieber ins Land gebracht, die man hernach die Ungarische Soldaten-Krankheit und Schierwacker genennet, weil die Leute daran hefftig gekrancket, gantze Familien nieder gelegen, geschwärmet und in wenig Tagen gestorben. Diese hitzige Sucht mit folge der kriegerischen Zeit in Durchmarsch der inficirten ungarischen Soldaten immer verneuert und hefftiger ausgebreitet worden, daß offt im härtesten Winter halbe Dörffer und Flecken dran gelegen und binnen 100 Jahren viel 1000 Menschen daran auffgegangen.
Anno 1580 fiel im Herbst-Monat eine geschwinde Krankheit ein, affectu vario catarrhali, mit Haupt- und Magen-Wehe, Schnupffen und Husten, welche man den spanischen Hühnerpfips hieß, weil sie aus Spanien kommen, item die Gesellen-Krankheit, dieweil die Nachbarn, so etwa in einer Zeche oder convivio beysammen waren, miasmatum communicatione, alle mit einander zu krancken und pipen anfingen, auch einander besuchten, doch starben ihrer wenig daran.
Anno 1581 erfolgte eine neue Krankheit, Spasmus pestilentialis benahmt, daran die Leute hin und wieder erkranckten, Convulsiones ausstanden, auch theils gar das Leben lassen musten.
Anno 1675 fieng sich mit Ende Septembers der allenthalben grassierende Schaf-Husten an, und fürnehmlich gegen die Tag- und Nachtgleiche, da es zuvor immer unbeständig Wetter mit Regen, Wind und Nebeln gewesen. Die Leute klagten über Schnupffen und Tummigkeit im Haupt, darauf ein truckner gefährlicher Husten erfolgte, mit schmertzlichen Keuchen, Seitenstechen, Rücken-Wehe, Müdigkeit aller Glieder und anderen Zufällen, die bey denen Fluß-Fiebern gemein sind.
Anno 1691 gieng das sogenannte Ziegen-Fieber im Schwange, da die Leute mit Purpur-Flecken ausschlugen, und doch in wenig Tagen genasen, also daß leichtlich niemand daran gestorben.
Anno 1694 entsponnen sich im Herbst aufs neue die hitzigen Schierwacker-Fieber, welche mit der ansteckenden Ungarischen Krankheit sehr nahe befreundet waren, und viel Zeichen der Malignität bey sich hatten, also daß manche Patienten ein starckes Saußen und Poltern vor den Ohren, stetes Schlaffen oder Wachen, Deliria und Abreden, Taubheit und Tummigkeit des Hauptes, Zittern und brennenden Durst erlitten; wer sich scheuete, hatte das Fieber bald am Hals.” –
*
Aus den Symptomen des „Schnarr-Gieckel” (1521), des „Schaf-Husten” (1675) und des „Schierwackers” (besonders 1694) läßt sich unschwer die in den letzten Jahren oft epidemisch bei uns aufgetretene Grippe erkennen.
—m—