Mildenau (2)

Ein Beitrag zur Geschichte der Dorfsiedelung im Obererzgebirge.

Von Dr. Langer, Freiberg.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 120. Jahrgang, Nr. 45, 7. November 1926, S. 1

(Schluß.)

Manchem Bauernsohn gab der Vater ein Stück seiner Hufe, so kommt es, daß viele jetzige Feldstreifen auf Teilung beruhen; mancher wiederum kaufte sich einen Nachbarstreifen hinzu. Wir müssen versuchen, die Urhufen wieder zusammenzulegen. Der Dorfanger und ein großes Stück Wald – der Kommunewald = 218 Acker – blieb aber Allmende, d. h. es war allen gehörig, hier weidete man das Kleinvieh, dort holte man unentgeltlich Brenn- und Bauholz. Erst 1872 verkaufte die Gemeinde ihren Wald an den Staat. Zu den 44 500 Thalern gab der Staat die 40 Acker große Kitzwaldwiese (1848 erst zur Wiese gerodet) noch in Zahlung.

Zwei Hufengüter, dahinter die Hufenstreifen der anderen Flurseite, gekrönt vom Pöhlberg. Neben letzterem ist die Mildenauer Kirche, die Dominante unserer Gegend. (Federzeichnung von Dr. Langer, Freiberg.)

Ursprünglich mag der obere und untere Ortsteil dichter besiedelt gewesen sein als die Mitte, so daß man das obere Dorf auch als selbständige Siedlung mit „Reichenau“ bezeichnete, wenn überhaupt die darauf bezügliche Urkunde mit „Richenowe“ unseren Ortsteil meint. Mit 1569 hören in den Taufaufzeichnungen diese Ortserwähnungen auf, so daß mißlungene Bergbauversuche oder Kriegs- und Seuchenelend das Wüstwerden verschuldet haben mögen. Oder hat eine Abwanderung der Bevölkerung in die obererzgebirgischen Orte blühenden Erzbergbaus stattgefunden. In den alten Amtserbbüchern des 16. Jahrhunderts erscheint Mildenau jedenfalls als rein landwirtschaftlich orientierte Gemeinde. Es muß der obere Ortsteil später eine Zeitlang wüst gelegen haben, da man heute noch im Gegensatz zu vielen anderen „wüsten Gütern“ in alten Erbzinsregistern die Felder am Kommunewald als „die wüsten Güter“ bezeichnet. Sie sind von Mittelmildenauer Bauern mit zu ihren Streifen hinzugekauft worden.

Für die Hufe hatte der Kolonist eine geringe Summe Geldes bezahlt; dem ritterlichen Grundherrn mußte der Mildenauer Ortsvorsteher = Erbrichter, der entweder der Lokator selbst ocder ein angesehenes Gemeindemitglied war, den Zehnten der Erträge jeder Hufe geben. Für seine Mühewaltung bekam er ein größeres Gut, unser Lehngericht. Es wurde vom Grundherrn auch mit besonderen „Freiheiten“ ausgestattet (niedere Jagd, Brau- und Schankrecht); denn zur Verwaltungstätigkeit gesellte sich die niedere Gerichtsbarkeit. Während die Bauern dem Herrn unentgeltliche Dienste auf seinem Wohnsitz und den herrschaftlichen Ländereien zu leisten hatten, war der Erbrichter davon befreit. Dies Recht genoß auch der Pfarrer. Schon bei der Dorfanlage war ein Stück Land der Kirche und dem Pfarrer geweiht und hieß daher Pfarrwiedemut, und die Kolonisten verpflichteten sich, dem Pfarrer die Landarbeiten zu verrichten.

Neben dem Pfarrer gab es früher jedoch keinen angestellten Schulmeister, und erst als auf dem Dorfanger und unterhalb der Güter (auf den „Gärten“) sich Handwerker ansiedelten, gab sich manchmal ein Schuster oder Schneider mit der lernbegierigen Dorfjugend ab. Viel später bekam der angestellte Schulmeister von dem Pfarrbesitz = Pfarrgut einen Anteil und wie der Pfarrer von den Bauern zum Lebensunterhalt seine Korngarben, Mohn, Hafer, Hirse, Eier, Hühner usw.

Im Flurbild Mildenaus ist neben Pfarrwiedemut, Lehngericht, Kommunewald noch das Schössergut zu erwähnen, das auf die Geschoß = Straßenzollabgaben zurückgeht, die hier zu zahlen waren, wo sich die Annaberg-Komotauer und Jöhstadt-Wolkensteiner Straße kreuzten.

Die innere Struktur der Fluren Streckewalde – Mildenau – Königswalde – Mauersberg – Arnsfeld – Grumbach zeigt, daß sie ehemals ein Siedlungsgebiet, ein Herrschaftsgebiet gewesen sind. Grumbach ist freilich zuletzt als sog. Restsiedlung gerodet worden, wie seine Flurgrößenverhältnisse zeigen. Auf diese alten Zusammenhänge, auf das Dominieren Mildenaus, gehen natürlich auch die kirchlichen Bezirke zurück; nach Königswalde (1548-1568 erst ausgepfarrt) geht der „Kirchensteig“, nach Streckewalde der „Leichenweg“. Daß die Orte zusammen kolonisiert wurden und später noch zusammengehörten, sieht man auch daraus, daß, nachdem 1270 Albrecht v. Thüringen Richinow und Müldenow an Kloster Buch gegeben hatte, der Abt Theodorich dann das Gebiet: Streckewalde, Mauersberg, Mildenau und Reichenau zusammen wieder herausgab. Man könnte auch die älteren territorialen Herrschaften hier anführen (vergl. Annaberger Gesch.-Bl. 249-253 von 1905). Die oben genannten Fluren kehren gegeneinander immer die sog. offenen Flurgrenzen zu.

Unser altes Kirchdorf Mildenau (zu der Mildenauer alten Wallfahrtskapelle ging der „Niklasweg“, für die Wallfahrer wurden am Pfarrhang zwei Schankstätten erbaut) ist eins der größten Bauerndörfer des Erzgebirges überhaupt. Im Gemeindearchiv findet sich noch ein altes Erbzinsregister aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts; wir benutzen für unsere Hufenstreifenübersicht das Flurbuch und die Flurkarte von 1842.

Wie Fr. Weißbach in seiner wirtschaftsgeographischen Studie 1908 annimmt, sind die Talsiedlungen des oberen Zschopautales bez. der Nebentäler nicht so alt als die der bäuerlichen Höhensiedlungen, zu denen unser altes Kirchdorf Mildenau gehörte. Pfarrer Segnitz teilt in seiner handschriftlichen Ortschronik mit, daß an Stelle der Kirche eine alte Wallfahrtskapelle gestanden habe, zu ihr der „Niklasweg“ führte und am Pfarrberg schon zeitig zwei Schankstätten erbaut gewesen wären. Mildenau ist eins der größten erzgebirgischen Bauerndörfer, über dessen Flurbesitzeinteilung ein altes, wohl aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts stammendes Erbzinsregister (Gemeindearchiv), am besten aber das Flurbuch und die zugehörige Flurkarte von 1842 berichten.

Nach ihm kann man etwa 121 Güter zusammenstellen. Wir greifen aus dem Hufenstreifenverband folgende als Beispiele heraus:

HufenstreifenBeziehung zu 42 Ackern (A)Bemerkungen
EndparzelleGröße in Ackern
1053421
105819,51/2 – 1 1/2 A  }1
1/2 – 2 1/2 A
105918,5
1068/9421
1077333/4 + 2 A
107830,63/4
1088221/2
1089211/2
11016,5
8,5
1/6 – 1/2 A  }1
1/4 – 2 A
Viebigt
9629
8
1/4 – 1 A
1/6 + 1 A
Viebigt
818842Lehngericht
886191/2 – 2 A
1/2 – 3 A
Pfarrwiedemut
88518
89738,51 – 3 1/2 ASchänke
1174218,3ca. 5Kommunewald

Diese Tabelle zeigt, daß 42 Acker als Grundmaß für die Güter angewandt wurde. 3/4, 1/2, 1/8 und 3/4, also einfache Teilgrößen, gab es schon bei Anlage des Dorfes; manche gehen allerdings auch auf spätere Gutsteilungen zurück. Wenn wir die nach der Ortsgründung entstandenen Wege noch hinzuzählen, wird die Beziehung zum Grundmaß von 42 Ackern noch deutlicher; außerdem ist oft schwer, den Gutsanteil an der Dorfaue (Anger = Allmende) festzustellen, da die Häuslerwohnungen dort das ursprüngliche Bild sehr verwischt haben. Man muß staunen, wie exakt der Lokator die Verhufung = Vermessung auf dem Waldboden ausgeführt hat. Es muß jedenfalls ein Mann gewesen sein, der darin schon Schulung besaß. Wenn auch keine Urkunde das Auftreten von Lokatoren im Erzgebirge bezeugt, muß man es doch aus den Flurplänen vieler Erzgebirgs- und Lausitzer Walddörfer zwingend schließen. Sachverständige hatten auch schon genaue Anweisungen für derartige Dorf- und Fluranlagen im Mittelalter verfaßt (vergl. Meiche im Neuen Archiv für sächs. Gesch.).

Unter Hufe verstand man zur Kolonisationszeit also ein Landmaß. Auch der Grundherr hatte die Ortsflur nach einem Hufenmaß gegeben, und zwar nach einem anderen, größeren, das Königshufe genannt wird. Sie ist im Gebirge gewöhnlich 48-50 Hektar = 88,6-90,3 Acker groß. Wir erkennen nun, daß unsere Verteilungshufe von 42 Ackern also knapp 1/2 Königshufe war und daß auch 1/3 Königshufe = ca. 30 Acker eine beliebte Kolonistenhufe war. Das Lehngericht war also zwei, die Schänke eine, die Pfarrwiedemut mit ihrer Nachbarhufe ursprünglich wohl auch eine Hufe groß. Die Viebigte sind in sächsischen Waldhufendörfern meist 1/6, 1/8, seltener 1/4 Hufe groß.

Dieses Flurbeispiel läßt sich ohne Bedenken auf die anderen erzgebirgischen Bauerndörfer übertragen, die von Deutschen „aus grüner Wurzel“ gerodet worden sind.

In späteren Registern weltlicher und kirchlicher Art werden auch oft Hufen genannt, aber da meint man damit kein Flächenmaß, sondern Leistungen, zu denen die Einwohner kirchlichen und weltlichen Herren gegenüber verpflichtet waren. Da konnte z. B. eine Mühle, eine Schänke ohne jeden Feldbesitz eine größere Hufenleistung aufweisen als große Güter. Wer sich also mit Ortsgeschichte befaßt, mag wohl darauf achten.