Literarische Bilder Annabergs und seiner Umgebung um 1800 (8)

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 9, 25. Februar 1934, S. 1

Von Dr. Ernst Gehmlich, Zwickau.

(7. Fortsetzung.)

Löwenthal wird rings von mäßigen Bergen umgeben, gesichert in einem friedlichen Tale. Ich hatte nun Gelegenheit, von der Zubereitung des Eisens mich genauer zu unterrichten.” Kosegarten beschreibt diese nun ziemlich ausführlich. Die Hammerschmiede stehen, wie er hört, nicht im besten Rufe. „So wild die Gegend umher sich zeigt, so wild sind auch die Sitten. Man versichert mich, ein viehisches, hartnäckiges und gefühlloses Volk sei diese Klasse Arbeiter. Die geringste Feierzeit werde mit Gesöffe, Schlägerei und den äußersten Ausschweifungen ausgefüllt. Ebenso schlimm seien auch die böhmischen Jäger, welche ganz ohne Scheu, sogar in Gegenwart des Eigentümers, das Wild wegschießen. Diese Wilddiebe besitzen eine Frechheit sondergleichen. Man darf es nicht wagen, sie anzugreifen oder sie zu überfallen, weil sämtliche Einwohner ihres Lebens nicht sicher wären. Dann rücken sie bei 30 bis 40 Mann herein und sind die besten Scharfschützen, welche man sich denken mag. … Hundert solcher Menschen ernähren sich mit ihren Familien von dem hier diebischer Weise erlegten Wilde. Dagegen läßt sich nun durchaus nichts machen, als ruhig leiden.”

Auf dem Heimwege kam das Gespräch mit dem Freunde auf eine „in dieser Gegend bei Geyer gelegene Gifthütte”. „Dies soll eins der schauerlichsten Anblicke sein. Die Hütte liegt völlig einsam. Die Arbeiter, ganz abgezehrt, mit einer leichengelben Farbe, verkleben sich die Ohren, damit das Gift sie nicht so schnell verzehre. Ohne zu sprechen, bereiten sie nun das Gift und opfern hier geringem Gewinne vielleicht 20 oder noch mehrere Jahre von ihrem Leben auf. Es bleibt schrecklich und zugleich unbegreiflich, wie viele tausend Menschen für ihre armseligen Bedürfnisse sich Geschäften unterziehen, die man keinem Missetäter anweiset. Hohl, blaß, ausgemergelt und aller Empfindungen erlediget, schleichen die Giftarbeiter wenige Jahre dahin – dann deckt sie das Grab und nun antworte man: heißt das gelebt?”

Nun nimmt er aber Abschied von der schönen Bergstadt. „Annaberg wird mir in der Tat unvergeßlich bleiben. Ich habe dort recht viele angenehme Minuten verlebt.” Über das reizend gelegene Wiesenbad, „ein Miniaturbad von Karlsbad”, und über das „auf einem ungeheuren Steinkoloß” thronende, von der rauschenden Zschopau umarmte Wolkenstein mit seinem sich majestätisch genug ausnehmenden Schlosse wandert er nach Freiberg.

Bald nach Kosegartens und noch vor Ruhheims Reisebuch erschien der erste Teil von D. J. Merkels Erdbeschreibung von Kursachsen, in 3. Auflage bearbeitet von Karl August Engelhardt (1804), ein Buch, das den Zeitgenossen auch über das seither recht stiefmütterlich behandelte obere Erzgebirge wertvolle Aufschlüsse gab. Freilich gilt das erst voll von der Bearbeitung Engelhardts. Merkel hatte sein Werk, dessen erster Teil 1797 herauskam, für die Jugend, für den Schulunterricht bestimmt. Und wenn er sich mit Rücksicht auf diesen Zweck auch bemüht hatte, sein Buch in unterhaltender Sprache zu schreiben, so war es ihm doch nicht gelungen, den trockenen Ton etwa der geographischen Werke eines Hager (Rektors in Chemnitz) oder eines Leonhardi zu überwinden. Gleichwohl fand seine Erdbeschreibung gute Aufnahme, kam sie doch dem Streben der Zeit nach sachlicher „Weltbeschauung” entgegen und stand sie doch im Dienste der „jetzigen Lieblingswissenschaft der Deutschen”, wie man damals die Erdkunde genannt hat. Merkel starb, ehe er seine Erdbeschreibung von Kursachsen abgeschlossen hatte. Die Aufgabe, sie zu vollenden und die neuen Auflagen ihrer schon erschienenen Bändchen zu besorgen, konnte kaum jemand besser lösen als Karl August Engelhardt in Dresden (1769 – 1834). Dieser war ein fruchtbarer Schriftsteller auf dem Gebiete der leichteren Unterhaltungsliteratur, die besonders das Lesebedürfnis der mittleren, zum Teil auch der höheren Volksschichten befriedigte; er schrieb zuweilen unter dem Decknamen Roos. Goedeke führt in seinem Grundriß der Geschichte der deutschen Dichtung seine zahlreichen, heute vergessenen Gedichte, Erzählungen usw. auf (IX 274 fg.). Engelhardts Hauptverdienst liegt auf dem Gebiete der Geschichte und Landeskunde Sachsens, für die er als Akzessist bei der Königl. öffentlichen Bibliothek in Dresden reiche Quellen erschließen konnte. Er hat neben Götzinger starken Anteil an der „Entdeckung” der Sächsischen Schweiz, den man nicht immer genügend gewürdigt hat.

Seine Beschreibungen gründen sich auf Auskünfte, die ihm auf seine zahlreichen in das Land hinausgesandten Fragebogen erteilt worden waren. Besonders die zuständigen Stellen des Erzgebirges hatten ihn dabei trefflich unterstützt.

Die meisten Zusätze und Verbesserungen Engelhardts zu Merkels Buch „betreffen die Industrie”. So erhebt in ihm neben der Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts der Realismus einer neuen Zeit sein Haupt. So begegnen wir in seiner Schilderung Annabergs nicht der Naturschwärmerei wie in seinen „Malerischen Wanderungen durch Sachsen”, aber sein Blick für landschaftliche Schönheit ist inzwischen nicht erloschen, er spricht vom oberen Erzgebirge als „unsren erzgebirgischen Alpen”, sagt von Annaberg, daß es „in einer der reizendsten Gegenden des Erzgebirges” liege, findet die Aussicht, die der Pöhlberg gewähre, „hinreißend von allen Seiten: Nach dem man das Auge wendet, erblickt man Annaberg und Buchholz in der Nähe und in der Ferne Wolkenstein, Augustusburg, den Scheibenberg, Bären- und Greifenstein usw., ja sogar bei ganz hellem Wetter den Petersberg bei Halle – auf allen Seiten aber unzählige Berge, Täler, Dörfer, Felder und Wiesen.”

Die Stadt Annaberg ist, wie er nun nüchtern-sachlich darstellt, die größte des Amtes Wolkenstein „und eine der ansehnlichsten des Erzgebirges”. Sie hat 592 Häuser, gegen 300 wüste Stellen, über 4100 Einwohner, ist Sitz eines Superintendenten, eines Bergamts und eines Postmeisters. „Die Häuser sind jetzt meist steinern, regelmäßig gebaut und mit Schiefer gedeckt, die Gassen reinlich und zum Teil bergig. Er berichtet weiter ganz kurz über das Wichtigste aus ihrer Geschichte, von ihrer Gründung, von ihrem Bergbau und der Einführung neuer Gewerbszweige nach dessen Rückgang. Gegenwärtig werden hier, „wo Barbara Uttmann einst die ersten Spitzen klöppelte”, „weiß- und schwarzseidne, zwirnene, gewirkte Spitzen mit eingenähten Mustern und (nur allein hier) auch Schmelzspitzen oder Gorl gefertigt. Man rechnet immer 6 – 700 Klöpplerinnen. Der Gorl, wozu man den Schmelz (kleine buntgefärbte Glasröhrchen) aus Venedig bezieht, wird meist ins Reich, besonders nach Schwaben versendet, doch jetzt bei weitem nicht mehr so viel als sonst …” „Dienstag wird Spitzenmarkt gehalten, der aber bei weitem nicht mehr so bedeutend ist, als ehedem, weil die Dorfspitzenhändler meist hausieren und ihre Ware den größern Kaufleuten und Händlern ins Haus bringen. Die Spitzenverkäufer dürfen beim Einbringen ihrer Waren nicht die geringste Abgabe zahlen. Zum Zwirnen der Klöppelseide legte der jetzige Stadtrichter, Kaufmann Mende, vor fünfzehn Jahren eine Tramir- oder Seidenzwirnmaschine an, welche ein eignes sehr großes Zimmer einnmimmt, auf einmal 432 Spulen in Bewegung setzt und nachdem die Nankingseide fein ist, täglich 5 – 6 Pfund zwirnt – wozu es nur 2 Personen bedarf, nämlich einer, welche die volle Haspel ableert und einer andern, welche die Maschine dreht. Doch kann dieses Werk gegen 50 Menschen Nahrung geben, ehe die Seide auf die Maschine kommt. Der Kurfürst, welcher dieselbe 1791 besah, ließ dem tätigen Unternehmer tausend Taler aus der Prämienkasse zahlen und erteilte ihm zugleich ein Privilegium auf 15 Jahre. Doch hat diesem eben so nützlichen als kostspieligen Unternehmen der Krieg bisher große Hindernisse in den Weg gelegt.”

Als Engelhardt dies schrieb, begann, wie hier eingeschaltet sei, nach Hübschmanns Denkwürdigkeiten in Sachsen gerade das Zeitalter, das den Beinamen „die eiserne Zeit” erhielt. Es sei bekannt, sagt dieser Gewährsmann, daß sich von 1793 bis 1797 „Sachsens Einwohner in den gesegnetsten und glücklichsten Umständen befunden haben, die nur je die neuere Zeitgeschichte aufgestellt hat. In allen Ständen und Klassen und vorzüglich der Gewerbetreibenden, herrschte die größte Tätigkeit; weil es nie an Gelegenheit zum Arbeiten fehlte. Da nun besonders der Handel sehr blühte, so hatte dies für den hiesigen Manufaktur- und Fabrikort, besonders für die Posamentierer-Innung den wohltätigsten Einfluß. Die hier verfertigten Bänder wurden aufs stärkste gesucht, und es konnten derer oft kaum so viel von Arbeitern abgeliefert werden, als Bestellungen darauf gemacht worden waren. Man will sich erzählen, daß die Herren Verleger dieselben mitunter hätten verbergen müssen, um nur ihren besten Freunden damit aushelfen zu können.” Die Ursache dieser günstigen Wirtschaftslage sei die französische Revolution gewesen, „während welcher beinahe alle Industrie und aller Gewerbefleiß im französischen Reiche aufgelöst, und die dadurch entstanden war, daß eben im besagten Reiche eine Staatsschuldenlast obwaltete, für welche die Interessen nicht mehr aufgebracht werden konnten.” Auch gute Ernten hatten zu der Wirtschaftsblüte beigetragen. Allein um 1797 war der „Glücksstern” vorüber, und die günstigen Umstände, in Absicht auf Handel und Gewerbe, kehrten nicht nur nicht wieder zurück, sondern sie wurden auch von Jahr zu Jahr immer bedenklicher und drückender. Die Nahrungs- und andere Sorgen mehrten sich. Trübsale mancherlei nahmen überhand. Infolge des Stockens der Geschäfte stiegen die Lebensmittelpreise. „Denn, da in den wohlfeilern Zeiten ein Brot höchstens mit 2 Groschen bezahlt wurde, so war nunmehr (1803) der Preis eines Brotes bis auf 4 5/6 Groschen in die Höhe gegangen. Bei dieser eingetretenen Veränderung traf unsere Obrigkeit Anstalten, das fernere Steigen des Brotpreises zu verhindern, welches auch einigermaßen dadurch bewirkt wurde, daß aus dem hiesigen Magazin Brot gebacken und solches für 3 bis 4 Groschen an die Bürgerschaft abgelassen wurde, das bei den Bäckern mit 5 und 6 Groschen bezahlt werden mußte.”

Die Zeiten wurden nicht besser; im Jahre 1805 stieg die Not aufs höchste, vor allem auch infolge des Kriegs zwischen Napoleon und Oesterreich. Am 18., 20. und 22. Juli war kein Brot bei den Stadtbäckern zu bekommen. „Es schlug mit jedem Tage mehr auf, und den 12. August galt ein sechspfündiges Brot 12 gute Groschen. Dieser Preis stand jedoch nur vier Tage. So hoch auch das liebe Brot im Preise stand, so war es doch noch schwarz und dabei unschmackhaft.“ Zwar gingen jetzt „Handel und Gewerbe ziemlich lebhaft; aber wegen der sämtlichen teuren Lebensmittel war es doch nicht allen Einwohnern möglich, sich einen hinlänglichen Unterhalt zu erwerben, weshalb Scharen Verarmter, beim Eintritt des Winters, die Gassen durchzogen und mit wehmütigen Bitten die Häuser derer belagerten, die noch etwas zu geben imstande waren. Mancher brave Familienvater, der sich am Tage des öffentlichen Ansprechens schämte, kam oft noch abends in der zehnten Stunde zu solchen, zu denen er das Zutrauen hatte, seinen Hunger, Blöße und Umstände klagen zu dürfen. – Wer noch entbehrliche, oder auch nicht entbehrliche Geräte, als: Kommoden, Betten, Schränke, Stühle und Zinngeschirre hatte, verkaufte diese, um Geld zur Bestreitung des Brotbedarfs aufzubringen. Da nun jedes die Leidenden gern unterstützte, so starb, so groß auch der Mangel war, doch niemand vor Hunger.

(Fortsetzung folgt.)