Literarische Bilder Annabergs und seiner Umgebung um 1800 (7)

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 8, 18. Februar 1934, S. 1

Von Dr. Ernst Gehmlich, Zwickau.

(6. Fortsetzung.)

Gleichwohl brachen sie schon am nächsten Morgen wieder auf, um in ein Bergwerk einzufahren. „Bei der Markusröhlinggrube – denn jede Grube im Bergwerk hat ihren besonderen Namen – sollte dies vor sich gehen. Glück auf, sagten wir beim Eintritt in die Stube, wo wir uns in Bergkleidung setzen mußten. Glück auf – dies ist der Gruß unter Bergleuten – hieß es von mehreren Seiten zur Antwort, Der Steiger oder Aufseher der Bergarbeitenden sollte unser Führer sein. Ich zog nun eine gewöhnliche Bergjacke, weite Strumpfhosen an, band ein Schurzfell um, das aber hinten und vorne herunterhängt, weil man sonsten bei dem Heruntersteigen sich sehr beschmutzen würde; setzte einen Berghut auf und hing eine Blende, ein hölzernes, offenes Kästchen, in dem ein brennendes Licht steht, an einen Knopf meiner Jacke. Jetzt fuhren wir an. Der Steiger voran; wir stiegen die steile Leiter hinab. Die Feuchtigkeiten nahmen nach einigen Ellen Tiefe so sehr zu, daß sie an beiden Seiten niederträufelten und einen widrigen Geruch umher verbreiteten. 145 Lachter, das sind 1045 Fuß, begaben wir uns unter die Erde. In diese dunklen Felsen dringt kein Hall herein. Wenn Gewitter, die den jüngsten Tag ankündigen, auf der Oberwelt hausen, wird hier keine Ruhe noch minder die Grabesstille gestört. Nur dann und wann schallt ein dumpfes Getöse zu dem mühsamen Kletterer, wenn durch angezündetes Pulver ein Stück Felsen gesprengt wird. Ewige Nacht liegt in diesen Klüften. Nur der Bergmann und der neugierige Reisende streuet ein schwaches Licht durch seine Blende zunächst um sich her. Fast ganz ermüdet gelangten wir endlich zu arbeitenden Bergleuten. Glück auf, riefen wir ihnen zu; Glück auf, antworteten diese schwarzen Berggeister. Aber wie mühselig, wie sparsam gewinnen sie der Erde das gesuchte Metall ab! Sie liegen und spalten kleine Stücke wie große Erbsen vom Gestein. Darin glänzen, wenn sie glücklich sind, einzelne Funken; das ist das gute und brauchbare Metall. Arbeiten sie seitwärts der Felsenwand entlang, so heißt es in der Kunstsprache „sie orten”; arbeiten sie über ihrem Kopf, so nennen sie das „fürsten”; spähen sie unter ihren Füßen, so sagt die Bergsprache „sie straßen”. Diese Grube beschäftiget 130 Menschen. Man fördert hier rotgülden Erz und Kobald, vermischt mit Quarz, Flußspat, Glimmer, Leberspat. Acht Stunden arbeiten die Menschen in einem fort, ihne etwas zum Genuß mitzunehmen; dann werden sie durch andere abgewechselt, und so gehet es Tag und Nacht fort. Es kehrt hier kein Sonnenlicht ein, wie sollten sie zwischen Tag und Nacht noch Unterschied machen! Oft entdecken sie nach Verhältnis des tauben Gesteins sehr sparsam Metalladern. Dazu gehört das Glück, das Schicksal, darum man sie mit Recht durch Glück auf! begrüßen kann. Viele Privatpersonen haben gewöhnlich an einer Grube Anteil. Die Teile einer Grube heißen Kuxen (Kuxe). Was die Teilnehmer gewinnen, heißt Ausbeute; müssen sie aber zulegen, so nennt man dies Zubuße.

Das Bergarbeiten ist eins der schwersten und undankbarsten Geschäfte; täglich mit Todesgefahr verknüpft! in einer schlechten Luft lebend und ohne die Sinnenerquickung, welche die freie Natur gewährt. Man sollte sie für Verdammte des Rhadamants (des Rhadamanthos, der nach der griechischen Sage die Toten in der Unterwelt richtet) halgten, und es sind freiwillige Menschen, die für geringen Lohn ihre größte Lebenszeit in Grüften verweilen, denen sie doch nicht entgehen können. Diese langen Schluchten nach und nach so tief in die Erde hinein gearbeitet, heißen Schachten (Schächte). – Viele Lachter und Schachten hindurch wird das gewonnene Metall vermöge einer Wassermaschine heraufgezogen. Das Rad oder die Scheibe an dieser Maschine hatte 36 Fuß im Durchschnitt und wurde durch zehn Zoll Wasser getrieben, um zur Zeit 20 Zentner in einem hölzernen Kasten, den man in der Kunstsprache Göpel oder Hund nennt, herauszufördern. Wenn der Hund, welcher ein schreckliches Getöse verursacht, durch die Stollen oder Gänge rollt, ist man sehr in Furcht. Man kann nicht weichen, wenn er einen einholte. Die Steiger wissen aber Bescheid und diese Furcht erzeugt die Einbildungskraft, denn wenn der Wanderer ein dumpfes Getöse in der Ferne vernimmt, dünkt ihn doch der Gegenstand sehr nahe.

Ist das Metall nun herausgefördert, so wird es in einem nahen Gebäude geschieden. Das Geschiedene wird gewaschen, und dann bleibt das Gediegene am Grunde liegen. Man bringt das Erz nun nach dem Pochwerke. Dieses besteht aus ungeheuren eisernen Hammern, die durch eine künstliche Welle in stetem Auf- und Niedergehen erhalten werden. Dieses Stoßen zermalmt das Erz fast zu feinem Staube. Von hier fällt es in ein Bett, das durch sein reines Wasser eine abermalige und vollkommene Wäsche bewirkt. Dann getrocknet, wird es nach Freiberg geschafft.

Nachdem wir in dieser unterirdischen Welt das Sehenswürdigste bemerkt hatten und recht sehr ermüdet waren, verkürzte unser Steiger den langen Rückweg durch einen Nebengang, einen Stollen, der 300 Lachter lang war. Der Steiger wußte in diesem Wetter, so nennen sie die Luft in den Schachten, so Bescheid, als nur ein Seemann auf dem weiten Ozean es wissen kann. Es durchkreuzten sich viele Stollen, wo er ganz geschickt hin- und herbog und bald sagte: nun gehen wir nach Osten, nun nach Süden, nun nach Norden. Für meinen Langen war dieser Marsch sehr beschwerlich; der Stollen war für ihn nicht hoch genug und so litt sein Caput gar oft die heftigsten Anmahnungen zum Bücken. Diese nicht mehr brauchbaren Stollen, aus denen das darin befindliche Metall schon gefördert ist, kosten ein unsägliches Geld. Zuerst werden sie mit dicken Balken oben und seitwärts gestützt: dann mit vieler Solidät aufgemauert. Wenn man die Zurüstungen und vielen Arbeitenden und das sparsame Gewinnen des Erzes sieht, kann man kaum begreifen, daß es vorteile. Indes ernährt es mehrere Tausende Menschen.”

Sehr ermüdet kam Kosegarten aus der Nacht des Bergwerks heraus. „Welch ein sonderbarer und süßer Anblick war der erste Lichtstrahl, obgleich der regnichte Himmel kein vorzügliches Licht heute darbot. Man führte uns sogleich in ein sehr geheiztes Zimmer. Dabei muß ich erinnern, daß man im Gebirge fast den ganzen Sommer einheizt, weil die Luft zwischendurch etwas spröde ist; weil das Holz wohlfeil und Kleidungen dabei gespart werden. Alle Kinder bis zum zwölften Jahre gehen, außer einem Hemde nackend. Erwachsene sind notdürftig, soweit das erste Gesetz der Sitte es gebietet, angekleidet. Beim Eintritt ins Zimmer strömt einem der Brodem entgegen. Für diesmal war er mir sehr willkommen. Ich ahmte die Gebräuche der Bergleute nach. – Daß aber noch mehr als ein heißes Zimmer für uns Wert hatte, war irgend etwas zur Erquickung zu finden. Mein schon gerühmter Bekannter aus Annaberg hatte so dafür gesorgt, daß ich in meinem Leben nicht weiß, so mit ganzer Seele – eine Methode, die ich übrigens hasse – gegessen zu haben als dieses Mal. Die Heringe und der gute Malaga glitten wechselseitig den begierigen Magen hinunter. Ich mußte über meine Freßwut selbst Anmerkungen machen.”

Nachdem sich Kosegarten von der Anstrengung des Ausflugs in die unterirdische Welt erholt hatte, besah er noch an demselben Tage das Merkwürdigste der Stadt, zunächst die Schule, die ihm sehr gefiel. „Das Schulgebäude ist das heiterste und geräumigste, was ich je gesehen habe. Das Pedantische und Räucherige der meisten Schulhäuser, was sogleich einen widrigen Eindruck bewirkt, fällt hier völlig weg. Die einzelnen Klassen waren ebenso hell und reinlich, als sich das Aeußere ankündigte. Die jungen Leute bekamen auch Unterricht im Singen, und das nach meiner gemachten Erfahrung sehr glücklich von statten ging. Die Lehrer selbst wohnten ebenfalls geräumig und angenehm; ein Bedürfnis, das Schullehrer doppelt fühlen. Ihnen müßte man so viel Erleichterung als möglich verschaffen. Sie sind die Erzieher der künftigen Staatsbürger. Dazu gehört eine Ruhe des Gemüts, welche durch keine Sorge beeinträchtigt werden muß. Aber wie weit sind wir von der Ausführung dieses Grundsatzes entfernt.”

„Wir gingen nun,” fährt der Bericht fort, „zu meinem wohlbekannten Gönner. Jetzt lernte ich das ganze Haus kennen, eine eigene Freude für mich. Die Einrichtung und Ordnung eines Hauses zeugt sogleich für oder wider den Besitzer. Es herrschte hier eine Reinlichkeit, die der holländischen nichts nachgab. Besonders gefiel mir die Speisekammer. Das Küchen- und Tafelgeschirr glänzte; kein Stäubchen saß darauf. Alles hing in einer unnachahmlichen Ordnung. Selbst eine Menge Eier waren gar zierlich Stück für Stück nebeneinander in eigens dazu geformte Bretter gelegt. Viktualien und was zur Nascherei gehört, standen ganz appetitlich in den Gefäßen. Rings war eine Republik des Hausgeräts, in der man gerne verweilte; ja die Reinlichkeit ist die erste Göttin aller weiblichen Vorzüge. Wo man sie vermißt, da achte ich der glänzenden Eigenschaften des Weibes nicht. In ihr spiegelt sich die Klarheit eines weiblichen Herzes ab. Man nahet sich da so gerne und möchte seine Wohnung aufschlagen.” Mit diesem Lobe der Annaberger Hausfrau schließt Kosegarten seinen Bericht über die Stadt selbst.

Tags darauf unternahm man noch einen Ausflug nach einer Sehenswürdigkeit der Umgebung. „Ein guter Freund ging am anderen Tage mit uns, um uns ein großes Eisenhammerwerk zu zeigen. Es liegt in Löwenthal (es handelt sich um den Obermittweider oder Löwenthaler Hammer an der Mittweide). Der Weg dahin ist sehr angenehm.

(Fortsetzung folgt.)