Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 5, 28. Januar 1934, S. 1
Von Dr. Ernst Gehmlich, Zwickau.
(3. Fortsetzung.)
Eine Kehle weckte die andere, bis endlich die ganze singende Natur wach ward und der majestätisch erscheinenden Sonne ein frohes Morgenlied entgegenjubelte, die sich in dem perlenden Morgentau tausendfältig spiegelte. – Dicke Dampfwolken wirbelten aus dem schwarzen Wald schön wie Abels Opferrauch dem Himmel entgegen. – Vor mir lag die schönste Aussicht. Ein bunter, mannigfaltiger Zirkel von Bergen, Städten, Dörfern, Wäldern, Büschen, Wiesen gaben einen herrlichen Anblick, der besonders durch die schöne Lage des böhmischen Städtchens Weinberg 6) sehr interessant wird. Dieses liegt nämlich an einem Berge, jedes Haus steht einzeln und so gewährt das Ganze den Anblick einer Reihe Weinbergs-Häuschen, wovon auch wahrscheinlich der Ort seinen Namen hat. – Man hatte mir in Annaberg erzählt, daß, wenn man sich an einem Berge die Länge hinunter lege, daß der Kopf hinunterwärts, die Füße aber aufwärts und dann so hinter sich in das Tal und die Landschaft sehe, es einen ganz eignen Anblick gebe. Ich versuchte es, und Du kannst es nicht glauben, welch einen herrlichen Anblick dies gewährt, man glaubt in eine camera obscura zu sehen, oder die Landschaft sei gemalt. Alles konzentriert sich ins kleine und besonders Weinberg nahm sich sehr gut aus.”
Ruhheim begab sich nun in das Städtchen, um sich die Kirche zeigen zu lassen, wurde vom Pater des Ortes sehr artig empfangen und in das Gotteshaus geführt, jedoch von dem „ganz gemeinen Gebäude mit vielen Schnörkeln, die aber nichts weniger als hübsch waren”, arg enttäuscht. „Was mir den Weg ersetzte, war das delikate Bier, das ich hier trank. … So dünn dies aussieht, so sehr berauscht es, und fast hätte ich den Rückweg nicht wieder gefunden.”
Sein nächster Besuch gilt einer Sehenswürdigkeit, die für ihn ganz besonderen Reiz besitzt, dem Bergwerke.
„Heute habe ich”, schreibt er am 15. Mai, „die Markus Röhlinggrube besucht und bin da angefahren. Diese ist ein gutes Stückchen von der Stadt.
Um anfahren zu dürfen, muß man erst Erlaubnis vom Bergmeister erhalten. Den Schacht hinunter zu steigen konnte ich mich nicht entschließen, wie bald, dachte ich, ist man von so einer Leiter – der Bergmann nennt es Fahrt – abgerutscht und dann auf immer kapot.
Ich fuhr nur den Stollen hinter, und ein Schauer ergriff mich, als ich mich vielleicht einige 100 Ellen – beim Bergwesen rechnet man gemeiniglich nach Lachtern, deren jede vier Ellen hält – tief unter der Erde dachte, in einem dunklen Gang eingeengt, von einem mattflimmernden Grubenlicht erleuchtet. Jeder Tritt hallte dumpf wieder und in der Ferne hörte man ganz schauerlich die hallenden Schläge der weiter hin arbeitenden Bergleute. Wenn jetzt, dachte ich, die Decke über euch hereinbräche, da lägest Du recht der lieben Mutter Erde im Schoß. Es wurde mir bange, und ich bat meine Begleiter, mich wieder zurückzuführen. Diese lächelten und meinten, wie sie denn tun müßten?”
Er beschreibt dann den auf dieser Zeche eingerichteten Göpel, „nämlich eine nicht längst neu angelegte Maschine den Abgang und die Erze aus der Grube zu bringen“ und zwar vermittelst zweier Kübel, die an einem armstarken Seile, der eine voll, der andere leer, auf- und niedergehen. Pferde ziehen die Maschine, sie gehen im Kreis herum, werden dann umgespannt zum Kreislauf nach der entgegengesetzten Richtung. „Man gewinnt durch diese Maschine sehr viel, und es wäre zu wünschen, daß sie noch allgemeiner würde – freilich trägt es nicht jede Zeche, eine anzulegen.” „Die Pferde werden von dem immerwährenden Kreisgehen zuletzt dumm im Kopfe; daher hat man hier das Sprichwort: Du bist so dumm wie ein Göpelpferd.”
Einen besonderen Abschnitt widmet Ruhheim „dem Klima um Annaberg und den hiesigen Produkten”. „Diese Gegend ist schon eine von den rauheren und kälteren des Gebirges. Man fährt hier öfters noch die Osterfeiertage auf dem Schlitten, und jetzt sind die Bäume bei weitem noch nicht so weit, als in Leipzig bei meiner Abreise; – doch ist sie noch paradiesisch gegen die von Wiesenthal und Johanngeorgenstadt. – Man findet hier sehr gute Felder und Gärten. Wintergetreide baute man ehedem hier gar nicht; jetzt aber fängt man hier und da an damit Versuche zu machen und nicht ohne Glück.
Das Klima wird von Zeit zu Zeit milder, je mehr die großen Waldungen weggeschlagen werden, und je mehr man das Land bebaut. – Obst wird auch erbaut, versteht sich, zeitige Sorten. Pflaumen werden nicht immer reif, und sind ziemlich selten zu finden. Den Mangel an Obst ersetzt aber das vortreffliche böhmische, welches in Menge hieher gebracht wird.
Besonders gut aber gerät in hiesiger Gegend der Flachs aus Rigaer Samen (Tonnenlein hier genannt) erbaut, der auch in einigen Orten außerordentlich fein gesponnen wird, und der beste Nahrungszweig der Feldbesitzer ist, nächst der Viehzucht. Die gebirgische Butter, sagt man, schmecke weit angenehmer als die niederländische und ich finde es bestätigt. Dies gilt auch von den hiesigen Kartoffeln, die für das Gebirge eine wahre Wohltat sind. – Getreide erbaut man hier auch nicht genug zum eigenen Verbrauch, man bekommt dies aus Böhmen.”
Höchsten Genuß landschaftlicher Schönheit gewährt ihm zuletzt eine Wanderung über Wiesenbad nach Wolkenstein. Wiesenbad hat eine „vortreffliche Lage”, „mitten in einem dicken Walde, in einem angenehmen grünen Wiesengrunde. Ein rieselnder Bach hüpfte tanzend in diesem über tausend glatte Kiesel weg und küßte freundlich jedes Schilfrohr: in denselben schauten die am Ufer stehenden Büsche, durchhüpfte von muntern Vögeln, die dem Rieseln des Baches durch ihren Gesang akropagnierten. Frohe Herden weideten auf der Wiese, und fern im schwarzen Walde hörte man das dumpfe Geschrei des Uhus. Schade, daß die Badehäuser nicht besser kondizioniert sind; es würde gewiß weit mehr Badegäste hierher locken, da das angenehme Wiesental und die dasselbe einschließenden Wälder gewiß den Aufenthalt hier sehr angenehm machen.” Der Besitzer Graf Wallwitz könne sich aber „seiner Geschäfte und der Entfernung wegen nicht gehörig darum kümmern.”
„Die Gegend von hier nach Wolkenstein ist sehr walddicht; aber sie hat bisweilen sehr schöne Partien. Besonders gefiel mir eine Partie, wo ein schroffer Fels eine Höhle bildete, (mir schien dieselbe von einem alten Berggebäude herzurühren) die mit dem schönen Tal darneben sehr kontrastierte. Der Fels selbst war ziemlich hoch und mit Bäumen einzeln besetzt, die über denselben herab in das Tal zu schauen und sich in dem unten vorbeifließenden Bächlein zu spiegeln schienen.”
„Wolkenstein selbst liegt sehr romantisch. Die Stadt nebst dem alten Schlosse, auf welchem sich das kurfürstliche Amt befindet, liegt auf einem, fast senkrecht, stehenden Felsen, den das schönste fruchtbarste Tal umarmt. Hart an dem Felsen vorbei fließt die Zschopau, ein kleiner Fluß, der in die Pleiße (!!) unter Chemnitz fällt, auf der Seite des Schlosses sieht man gerade herunter in den Fluß. Das Tal selbst ist sehr mild und fruchtbar, und mit Dörfern besetzt.” Das einzige, was das Städtchen merkwürdig mache, sei das Bad. Man finde hier täglich Gesellschaft und Musik; der Grünhainer Rentbeamte Gottschald besitze es jetzt und habe es sehr verbessert. Aber besonders sei es durch die Kurfürstin, die vor einigen Jahren hier geweilt und der dieser Aufenthalt recht gut gefallen habe, sehr ins Aufnehmen gekommen.
6) Das ist der in der Volkssprache gebräuchliche Name für Weipert. Christian Lehmanns „Deutsche Kriegschronik” (herausgegeben von Bönhoff 1911) nennt in ihren Aufzeichnungen über den Dreißigjährigen Krieg das Städtchen bald Weinberg, bald Weipert.