Literarische Bilder Annabergs und seiner Umgebung um 1800 (3)

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 4, 21. Januar 1934, S. 1

Von Dr. Ernst Gehmlich, Zwickau.

(2. Fortsetzung.)

Außer den literarisch tätigen Schulmännern kann er keinen gelehrten Schriftsteller Annabergs nennen als den Geleitskommissär Mathesius, „dessen Schriften aber nicht weit über die Kramläden hinaus gekommen sind”, von dessen „theatralischen Stücken” nur eins von einer umherziehenden Truppe in einer Schenke aufgeführt worden sei, ohne den Beifall des „ländlichen Parterres” zu gewinnen  5). Bezeichnend für das geistige Leben einer Stadt sind immer ihre Buchhandlungen. Deren gab es in Annaberg ehedem mehrere, „die aber hier nicht recht zu gedeihen scheinen, und jetzt bis auf eine, ganz mittelmäßige herunter geschmolzen sind. Das vorzüglichste Geschäft des Buchhändlers besteht in der Besorgung einer Leihbibliothek, die nicht unbeträchtlich ist, und verschiedene gute Werke mit hat. Auch hat eine dergleichen ein hiesiger Schullehrer errichtet, die fast noch ausgewählter ist.”

Über das gesellige Leben Annabergs kann Ruhheim nicht durchweg Rühmliches berichten. Zunächst stellt er fest, daß in Annaberg „unter allen Städten des Erzgebirges fast der meiste Kleideraufwand gemacht wird.” Er scheint dies darauf zurückzuführen, daß man sich hier mit Spitzen und Bändern, die ja dem Schmucke der Kleidung dienen, in Gewerbe und Handel soviel beschäftigt. Das lenkt freilich auch im Verkehr die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Außenseite des Menschen. „Die Gesellschaften sind äußerst steif und dadurch genießt kein Glied der wahren Freude des geselligen Lebens. Man kömmt zu einander, um – ein neues Kleid zu produzieren, und vom Eintritt bis zum Weggang einander leere Komplimente zu machen. Sogar die öffentlichen Bälle und Konzerte sollen sehr langweilig für den Fremden sein.„ Das bedauert Ruhheim sehr. „Welches Vergnügen verschaffen nicht dem Menschen gesellige Freuden! Wie gern vergißt hier der Gelehrte, der Kaufmann, der Geschäftsmann seine mühsamen Geschäfte, seine häuslichen Sorgen, und erheitert sich in dem Zirkel seiner Freunde, um sie wieder mit neuen Kräften angreifen zu können. Soll er aber, der vielleicht den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen, auch hier stets einen krummen Rücken und Komplimente machen, so ist ihm dies eine noch größere Last. – Ich wundere mich sehr über diesen Ton, da doch sonst den Gebirgern immer etwas Treuherziges und Geselliges eigen ist.” „An öffentlichen Vergnügungen fehlt es hier etwas, da man hier noch zu wenig gesellschaftlich ist. Man hat wenig öffentliche Orte, wo man hingehen könnte, ausgenommen einen Garten, der der Genselische heißt, welchen aber nur Mannspersonen besuchen. Ich besuchte ihn auch, aber es wollte mir nicht recht da gefallen. Man spielte hier sehr hoch und sahe fast gar nicht auf Unterhaltung. Einige junge Männer stolzierten mit einem brüsken Gang und Mienen in der Stube auf und nieder. Ich versuchte mit dem einen, der eine sehr schöne Figur war, und mir gar nicht dumm zu sein schien, einen Diskur anzufädeln; aber er gab mir ganz kurze Antworten und brach bald wieder ab. Dies bestätigte mir gewissermaßen das, was mir von dem hiesigen Ton gesagt worden war. – Weiter hat man hier keinen Erholungsort, da doch gewiß die schöne Gegend um die Stadt mehr Gelegenheit darböte, solche zu errichten, und es auch die Vermögensumstände der hiesigen Familien verstatteten (denn man sieht hier unter den Bürgersleuten ziemlichen Wohlstand und es soll viele sehr bemittelte Familien unter ihnen geben.)

Sehr spielend, aber auch zugleich sehr steif und geniert soll es auf den hiesigen Bällen und Konzerten hergehen. – Der dazu neuerbaute Saal ist sehr geschmackvoll und gewiß der beste der Art im Gebirge. Ich war beim Eintritt in selbigen sehr angenehm überrascht; denn findet man gleich hier nicht die schönen Gemälde und Verzierungen, die dem Leipziger Konzertsaale im Gewandhause eigen sind: so herrscht doch in demselben so eine edle Simplizität, mit guter Anlage verbunden, daß man ihn wirklich mit vielem Eindrucke sieht.”

Genuß und Anregung erhält das geistige Leben der Stadt durch die Aufführungen wandernder Schauspielertruppen. Ganz besonders ergreifen diese die junge Mädchenwelt. „Den hiesigen Frauenzimmern sagt man nach, daß sie äußerst empfindsam seien, besonders sollen sie dies sehr auffallend gegen einen Schauspieler gezeigt haben, der besonders viel Eindruck auf sie machte, als vor einigen Jahren er mit der Medoxischen Truppe hier gewesen ist. Noch lange nach seiner Abreise sollen die Wallfahrten unter seine Fenster gedauert haben, wobei denn der arme Mond erschreckliche Seufzer anzuhören gehabt hat.” Das sei jedoch den guten Mädchen mit Rücksicht darauf, daß sie an den Leipziger Schönen noch weit übertreffende Vorgängerinnen gehabt hätten, wohl zu verzeihen.

Ruhheim vergißt nicht, ein Mittel zur Belebung des geselligen Verkehrs der Bürgerkreise zu erwähnen: „Das hiesige Bier ist sehr gut und eins der besten im Gebirge: der hiesige Bürger weiß sich aber auch viel damit.”

Ruhheim unternimmt nun, nachdem er ein Bild von der Stadt und ihren Einwohnern gewonnen hat, Ausflüge in ihre Umgebung, zunächst nach dem Pöhlberg, „der sich majestätisch hinter der Stadt erhebt. Er ist sehr steil und wurde mir ziemlich sauer, da ich besonders den rechten Weg auf denselben nicht getroffen, sondern einen unbequemern eingeschlagen hatte. Der Gipfel desselben ist eine große, mit Basaltstücken von verschiedner Größe durchaus belegte Fläche. Sein größter Durchmesser beträgt 800 Schritt. Seine Gestalt ist unregelmäßig, und wie ein Grab von unten anzusehen … Ich hoffte eine schöne Aussicht hier zu genießen; allein ich fand mich getäuscht. Man konnte immer nur einen Teil der umliegenden Gegend sehen, und man mußte ganz um den Berg herumgehen, wenn man die übrigen auch sehen wollte. – Was mir aber an derselben neu war, ist das tiefe, ungeheure Tal, mit dicken Wäldern besetzt. Denn der Pöhlberg erhebt sich schon einige Stunden von Annaberg, erst ganz sanft, gegen den Gipfel wird er aber immer steiler. Es ist ein ganz eignes Gefühl, so ganz allein auf dem höchsten Punkt der Gegend zu stehen und alles überschauen zu können. Ich sah mehrere Orte liegen, aber da ich keinen Begleiter bei mir hatte, – solche Gänge mache ich lieber allein, um mich ganz ungehindert meinen Empfindungen überlassen zu können – blieben ihre Namen mir verborgen. Es ging mir wie einem Fürsten, der auf dem obersten Gipfel des Landes zwar das Land übersieht, aber nicht kennt; ja oft die Geographie seines Landes nicht weiter kennt, als sich seine Residenz erstreckt, und die benachbarten Lustschlösser. Die beiden andern Basaltberge, der Bärenstein und Scheibenberger, machten mit diesem ein Triumvirat. Hinter dem Bärenstein, etwas seitwärts, erhob der Fichtelberg sein wildbewachsenes Haupt. Hier sahe ich erst recht die Riesengröße desselben, durch ihn schien die Erde mit dem Himmel vermählt zu sein, und die untergehende Sonne schien der Vermählungsring, den dieselbe auf ihn herabwarf. Nebenbuhler von ihm schienen einige böhmische Berge zu sein, deren Scheitel ihm in der Höhe gleich zu kommen, jedoch vergebens sich bemühten.” Am Abend wanderte er nach Bärenstein und am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang bestieg er den Berg. „Dieser, der in der Ferne so regelmäßig und schön sieht, ist in der Nähe eben so ungestaltet und felsig, als der Pöhlberg, nur daß er oben etwas ebener ist. Der Berg an und für sich, das heißt, wo er steil wird und der Basalt anfängt, ist eben nicht höher als der Pöhlberg; allein da die Gegend um Bärenstein schon höher liegt als die Annaberger, so ist natürlich der Berg auch im ganzen höher. Ich setze mich hin auf den Berg. Es war alles dunkel. Unzählige Sterne glänzten am Himmel. Ueber die ganze Natur herrschte tiefes Schweigen. Die Landschaft deckte der dunkle Schleier der Nacht, und nur ganz undeutlich sahe man hier und da einige Gegenstände – so sind des Metaphysikers Begriffe von dem Ueberirdischen – zweifelhaft, ob es bloß Schatten oder wirkliche Gegenstände wären. Nach und nach wurden die Sterne mätter, schon wurde den nahen Gegenständen der dunkle Schleier entzogen und entferntere dem Auge sichtbar. Schon zeigten sich die rosenfarbenen Spuren Aurorens. Fliehend zog die Nacht ihren dunklen Schleier nach sich, dessen schleppenden Saum Aurora endlich ganz wegloderte.”

(Fortsetzung folgt.)

5) Doch räumt ihm Goedecke (V, 387) ein Plätzchen ein und nennt einige seiner Lustspiele. Er bezeichnet ihn als Advokaten in Annaberg und gibt 1811 als sein Todesjahr an. Aber nach Hübschmann war er „Churfürstl. Sächs. Gleits-Commissarius des Erzgebirgischen Kreises” und starb 1800, 74 Jahre alt.