Curt Langer
In der Augustnummer 1960 unserer Zeitschrift wurde der Wunsch ausgesprochen, einmal das Thema „Ortschronik” zu behandeln. Die nachstehenden Ausführungen sollen diesem Wunsche nachkommen, und zwar sollen einige grundsätzliche Fragen besprochen werden.
- Warum führen wir Ortschroniken?
Wir leben in einer Zeit des größten gesellschaftlichen Umbruchs. Immer zahlreicher wird die Zahl der Länder, in denen die kapitalistische Gesellschaftsordnung, die jahrhundertelang das gesamte Leben der Staaten und Völker bestimmte, abgelöst wird durch eine höhere Ordnung, den Sozialismus. Auch unsere Deutsche Demokratische Republik gehört zu den Ländern, die den Kapitalismus mit allen seinen destruktiven Erscheinungen endgültig beseitigt haben und mit aller Kraft am Aufbau des Sozialismus arbeiten. Das bedingt natürlich gewaltige Umstellungen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, der Wirtschaft und der Kultur, deren genaue Kenntnis für jeden, der einmal die Geschichte unserer Zeit schreiben will, von höchster Wichtigkeit ist. Jeder Forscher, der sich mit den Ereignissen der Vergangenheit beschäftigt, weiß davon zu sagen, welche Mühe ihm die Sammlung des benötigten historischen Materials bereitet. Selbst bedeutende politische Ereignisse, die noch gar nicht so weit zurückliegen, z. B. die Revolution 1848 oder die Geschichte der Arbeiterbewegung, sind nur unter großen Schwierigkeiten einwandfrei zu erforschen. Um diese Schwierigkeiten bei einer zukünftigen Würdigung unserer Zeit zu vermeiden, hat unsere Regierung angeordnet, daß in allen Gemeinden Ortschroniken zu führen sind, in denen alle Ereignisse, die für diese Gemeinde von Bedeutung sind, festgehalten und für die Zukunft aufbewahrt werden.
Es handelt sich bei diesen Ortschroniken also noch nicht um eine fortlaufende Darstellung der Geschichte des betreffenden Ortes, sondern zunächst einmal um eine Materialsammlung, die zur Grundlage für eine spätere zusammenfassende Darstellung werden soll. Dabei ist es notwendig, auch Ereignisse, die zunächst unwesentlich erscheinen, mit zu berücksichtigen. Bis zum zweiten Weltkrieg gab es in allen größeren Gemeinden Lokalzeitungen, in denen alle irgendwie bemerkenswerten Ereignisse registriert wurden. Heute steht für den ganzen Kreis nur die Kreisseite der Bezirkszeitung und seit 1.1.1961 die Kreiszeitung „Gebirgsecho” zur Verfügung, in denen natürlich nur die bedeutendsten Ereignisse Berücksichtigung finden können. Der Schwerpunkt der Berichterstattung muß daher in die einzelnen Orte selbst verlegt werden, eben durch die Materialsammlung für die zukünftige Ortschronik.
- Was soll in der Ortschronik festgehalten werden?
Mit kurzen Worten: Alles, was für das gesellschaftliche Leben im Ort von Bedeutung ist. Drei Gebiete zeichnen sich dabei besonders ab: Das politische Leben (im engeren und weiteren Sinne), das wirtschaftliche und das kulturelle Geschehen. Es ist nicht meine Absicht, hier die einzelnen Teile dieser drei Sektoren ausführlich zu behandeln; nur einige Schwerpunkte seien hervorgehoben. Im politischen Sektor steht natürlich an erster Stelle die Tätigkeit der Volksvertretungen und der Räte der Gemeinden, Kreise und Bezirke, die Wahlen zu diesen Gremien, ihre Beschlüsse und deren Durchführung. Ferner die Tätigkeit der Blockparteien und der Nationalen Front, das NAW u. a. m. Im weiteren Sinne gehört zum politischen Geschehen die Entwicklung der Gesundheitsfürsorge, die Gründung und der Ausbau von Krankenhäusern, Landambulatorien, Sanatorien, Erholungsheimen usw. Weiter gehört dazu das gesamte Erziehungswesen von der Kinderkrippe bis zur Hochschule, insbesondere der Ausbau unserer polytechnischen Oberschule, durch die die alte Kluft zwischen abstrakter Wissenschaft und technischer Praxis überwunden wird. Und schließlich sei hier auch der Sport mit einbezogen, dessen völkerverbindende Kraft und damit eminente politische Bedeutung die großen Veranstaltungen gerade des Jahres 1960, die Olympiade und die Rat-Weltmeisterschaften, so eindringlich vor Augen geführt haben. – Auf dem Gebiete der Wirtschaft ist vor allem die Entwicklung der volkseigenen Industrie, der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und der Produktionsgenossenschaften des Handwerks, die Versorgung der Bevölkerung mit industriellen Bedarfsartikeln und Lebensmitteln und deren Verbesserung durch Hebung der Verkaufskultur (Selbstbedienungsläden usw.) zu berücksichtigen. – Äußerst umfangreich ist auch der kulturelle Sektor. Die Arbeit des Deutschen Kulturbundes und der Natur- und Heimatfreunde, der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse, der Volshochschule und der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft trägt in immer steigendem Maße bei zur Heranführung der Werktätigen an die Schätze der Kultur durch Vorträge, Konzerte, Diskussionsabende usw. Dem gleichen Ziel dienen die immer zahlreicher werdenden Dorfklubs, Dorf- und Betriebsakademien, Bauernstuben, Kulturhäuser u. a. Die Kinder-Ferienbetreuung und die Ferienbetreuung der Werktätigen durch den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und das Deutsche Reisebüro sind ebenfalls wichtige Teilgebiete der kulturellen Arbeit.
- Wer soll sich an der Arbeit für die Ortschronik beteiligen?
Im Grunde genommen jeder, der etwas dazu beizutragen hat. Denn das eben skizzierte gewaltige Arbeitsgebiet kann natürlich durch einen einzelnen Bearbeiter niemals bewältigt werden. Aber die Mitarbeit muß von vornherein nach einem festen Plan organisiert werden. Deshalb ist in jedem Ort ein Kollektiv von ständigen Mitarbeitern zu bilden, von denen jeder für ein bestimmtes Arbeitsgebiet verantwortlich ist. In kleineren Orten dürften im allgemeinen drei genügen, je einer für die oben genannten Arbeitsgebiete. Je größer der Ort aber ist, desto mehr müssen diese Arbeitsgebiete unterteilt werden, desto mehr Mitarbeiter sind notwendig. Sie zu gewinnen, dürfte nicht schwer sein, wenn man geeigneten Persönlichkeiten, z. B. Lehrern, Verwaltungsangestellten, Funktionären der Parteien und Massenorganisationen, Ärzten u. a. die Wichtigkeit der Mitarbeit an der Ortschronik eindringlich darlegt.
- Wie soll das gesammelte Material nutzbar gemacht werden?
Für jedes zu registrierende Ereignis ist eine Karteikarte anzulegen. Kürzere Berichte werden auf dieser selbst vermerkt, längere Ausführungen sowie Zeitungsausschnitte usw. werden in besonderen Aktenheften aufbewahrt, doch ist dann in die Kartei eine Hinweiskarte aufzunehmen. Die Akten und Karteien werden an geeigneter Stelle (in den meisten Fällen wird es das Archiv der Gemeinde sein) aufbewahrt und dort von vornherein nach Sachgebieten in zeitlicher Reihenfolge geordnet, so daß sie jederzeit greifbar sind. Mit der Verwaltung der Sammlung wird ein Mitglied des Kollektivs betraut. Meist wird das wohl ein Angestellter des Rates der Gemeinde sein. – Sehr wichtig ist es, möglichst alle besonderen Ereignisse im Bilde festzuhalten; denn ein Bild sagt oft mehr, als eine lange Beschreibung. Hier erwächst unseren Fotogruppen eine besonders dankbare Aufgabe. Auch die Schmalfilmamateure können eine außerordentlich wertvolle Mitarbeit leisten. Es brauchen durchaus nicht lange Spielfilme gedreht zu werden. Eine kurze Szene wird in den meisten Fällen genügen, um das betreffende Ereignis für alle Zukunft festzuhalten. Später wird es dann möglich sein, diese einzelnen Szenen zu einem kleinen Dokumentarfilm zu vereinigen. Die Aufbewahrung der Fotos und Filme muß natürlich ganz besonders sorgfältig erfolgen, damit sie nicht vorzeitig verderben.
Mit einer so umfangreichen, gut geordneten Materialsammlung wird eine solide Grundlage geschaffen für die spätere Ausarbeitung einer zusammenhängenden Ortsgeschichte der so ereignisreichen Jahre des Übergangs zum Sozialismus, die unseren Nachfahren zeigen soll, wie unsere durch zwei Weltkriege gegangene Generation diese Aufgabe gemeistert hat.
Die Arbeit der Ortschronisten im Kreis Annaberg unter Leitung der Bundesfreundin Schönbörner hat schon mehrfach die Anerkennung höherer Stellen gefunden. Das bedeutet aber nicht, daß sie schon restlos befriedigend ist. Es gibt auch bei uns noch viel zu tun, vor allem auch in der Kreisstadt selbst. Die Anzahl der Mitarbeiter ist noch viel zu gering, die Arbeit wird noch nicht systematisch genug durchgeführt. Deshalb ergeht an alle Einwohner des Kreises, die sich für geeignet halten, die Bitte, sich zur Mitarbeit an der Chronik ihres Heimatortes zu melden! Bemerkt sei noch, daß die für diese Arbeiten aufgewandte Zeit im NAW angerechnet wird.
Quelle: Kultur und Heimat 8. Jg., Juni 1961 S. 70 – 71