Inventur über die Erforschung bzw. Nichterforschung unserer Heimatnatur

Hermann Lange, Annaberg-Buchholz

I.

„Die Umgebung von Annaberg gehört zu den wenigen Gegenden Sachsens, die schon seit langem eine gründliche botanische Durchforschung erfahren haben“, beginnt Alfred Heynig 1922 seinen Beitrag zur Pflanzengeographie des Erzgebirges. Die seit 1592 bis heute erfolgten Untersuchungen haben so zahlreiche Literatur gezeigt, daß es nicht möglich ist, hier alles aufzuzählen; deshalb folgt nur eine bescheidene Auswahl:

1886 erscheint der „Schlüssel der um Annaberg wild wachsenden Pflanzen“ von Aug. Israel.

1902 kommt es zu dem Standardwerk von Oskar Drude: „Der hercynische Florenbezirk“.

1956 wird die 12. neu bearbeitete Auflage von Wünsche-Schorler „Die Pflanzen Sachsens“ herausgegeben.

1916 erfolgte durch Bernh. Schorler ein Aufruf zur Inventarisierung der sächsischen Kryptogamen, das sind unsere Verborgenblütigen. (Bereits um 1800 sammelte als erster ein bis vor kurzem Verschollener, der Kandidat Bock, von Schwarzenberg aus Moose und Flechten auf unseren Basaltbergen!)

Als Erfolg des Aufrufs setzte nach dem ersten Weltkrieg eine rege Tätigkeit – unterstützt durch sich entwickelnde günstige Fahrgelegenheiten – in allen Zweigen der Botanik ein. Das Wissensgebiet wurde dabei immer weiter, da neue Nebenaufgaben hinzutraten (Biologie, Ökologie, Pflanzengeographie). Heute verfügen wir deshalb über reichliche Nachrichten (und Belege!) von den Blütenpflanzen, den Laub-, Leber- und Torfmoosen, den Kieselalgen, den Flechten, über Arbeiten von Pflanzengesellschaften, Pollenanalysen usw. Es seien erwähnt:

Zahlreiche Arbeiten über die heimischen Flechten von Alwin Schade, Oberputzkau. Von demselben Bearbeiter besitzen wir Aufstellungen der einheimischen Lebermoose.

Ernst Riemer/Dresden schrieb 1925/26 über die Laubmoose Sachsens und über die Flechten des Auersberggebietes.

H. Lange veröffentlichte 1929/32 seine Sammelergebnisse aus dem oberen Zschopaugebiete.
Ernst Stolle schrieb über die Torfmoose Sachsens 1937/38.

Bernh. Knauth nennt in einem Verzeichnis 1936 die höheren Pilze Sachsens

Hedwig Frenzel untersuchte die Geschichte der Moore Sachsens durch Pollenanalyse.

Georg Krasske/Kassel schrieb 1957 über die Kieselalgen Sachsens (einschließlich Material aus dem Erzgebirge!). Die unserer Gegend erhielten ihre Untersuchung durch Otto Meißner/Buchholz (eine Arbeit, die leider nicht veröffentlicht wurde, aber noch als Manuskript erhalten ist).

Auf der böhmischen Seite des Erzgebirges schrieb 1931 Oskar Klement: Zur Flechtenflora des Erzgebirges: Die Umgebung von Komotau.

Als Standardwerk der Kryptogamen ist zu nennen der „Große Rabenhorst“, dessen völliges Erscheinen fast abgeschlossen ist.

Bis zum zweiten Weltkrieg erschien eine Reihe pflanzensoziologischer Arbeiten von Dr. h. c. Kästner/Frankenberg und seinen Mitarbeitern Willy Flößner/Olbernhau und Johannes Uhlig/Oederan.

Außerdem erfolgte in 40jähriger Arbeit durch den Unterzeichneten eine fast erschöpfende Kartierung der Blütenpflanzen im Gebiete unserer sechs Meßtischblätter.

Material aus unserer Gegend wurde niedergelegt in der Bryothek von Alfred Kopsch/Leipzig, in den Exsiccaten von Schade-Stolle-Riemer und in denen von Prof. Migula. Auf dem Gebiete der Geologie setzte unter Hermann Credner eine vorbildliche Begehung unserer Fluren (1877) durch Sauer und Schalch ein. Die Bearbeitung zeitigte die 156 geologischen Kartenblätter für das Kgr. Sachsen. 1925 erschien eine Übersicht der Geologie Sachsens von Kosmat. Auch eine Menge Spezialarbeiten brachte das Ganze erfreulich weiter, und als letzte allgemeine Veröffentlichung lag 1957 der „Abriß der Geologie von Sachsen“ von Kurt Pietzsch vor.

Über die Bestände der Tierwelt ist ebenfalls reichlich geschrieben worden. Die Verzeichnisse beginnen mit der Chronik des Jenisius 1592. Horst Junghans veröffentlichte 1870 eine Liste der einheimischen Großschmetterlinge. (Von ihm stammt auch der Löwenanteil der Sammlung im Städtischen Museum.)

1934 erschienen die „Wanzen Centralsachsens“ von Cohrs und Kleindienst. Müller und Sieber veröffentlichten 1921 „Die Bienenfauna des oberen sächs. Erzgebirges“. 1880 gab v. Schlechtendal seine Ergebnisse über die Milbengallen bekannt.

Ruhsam (1873) und Rechenberger (1922) schrieben über den Bestand unserer Vögel. 1928 erschien das Standardwerk von Rich. Heyder/Oederan: Die Vögel des Landes Sachsen. Es brachte dem Verfasser den Dr. h. c. Ein. Z. Z. Sind auf dem Gebiete tätig: Rich. Lange/Königswalde und die Ornithologengruppe unter Heinz Nestler/Annaberg-Buchholz.

1592 enthält die Chronik des Jenisius ein Verzeichnis der Fische; seitdem hat sich niemand um diesen Stoff gekümmert.

1870 erfahren wir von Holle einiges über unseren Reptilienbestand. 1898 und 1903 veröffentlicht Dr. Piersig seine Beobachtungen über die hiesigen Hydrachniden (Wassermilben). Von ihm stammt das Standardwerk: Deutschlands Hydrachniden 1900. (Das in seiner Schule vorhanden gewesene Exemplar wurde 1934 als „staatsgefährlich“ vernichtet!!)
1934 schrieb P. Trübsbach über „Die geographische Verbreitung der Gasteropoden (Schnecken) im Gebiet der Zschopau“, nachdem in den 60er Jahren eine kurze Aufzählung in den Berichten des V. f. Naturkunde erfolgte.

Neuerdings entwickelte Richard Lange/Königswalde eine erfolgreiche Tätigkeit in der Untersuchung unserer Kleinsäuger (Mäuse u. Verw.). Vor kurzem berichtete er darüber im 8. Heft der „Sächsischen Heimatblätter“.

Soviel in Kürze über bisher geleistete Arbeit. Mit den aufgeführten Erfolgen darf man sich aber nicht zufrieden geben. Alle berührten Gebiete verlangen eine weitere Beobachtung. Vor allem gilt es, etwaige Bestandsveränderungen festzuhalten und ihre Gründe zu erforschen. Wer z. B. Um 1890 unsere Tagfalter beobachtete, erkennt heute deutlich den starken Rückgang.

II.

Nicht enthalten in der vorangegangenen Aufstellung ist eine Reihe von Wissensgebieten, auf denen überhaupt noch keine Bearbeitung stattgefunden hat. Auf Untersuchung warten unsere Grün- und Blaualgen, das riesige Gebiet der Pilze, die Ruderal- und Adventivflora und die teratologischen Erscheinungen (Mißbildungen, Bastarde, Androgyne). Nichts wissen wir von unseren Würmern, ihrem Bestand und ihrer Höhenverbreitung. Ebenso fehlen Nachrichten über die Myriopoden (Tausendfüßer) und die Oribatiden (Käfermilben). Auch die Kleinschmetterlinge bilden ein erfolgversprechendes, noch verwaistes Gebiet, genau wie die Bestände und die Verbreitung unserer Spinnentiere. Einiger der nötigen Forschungen verlangen allerdings jahrzehntelange Kleinarbeit und gleichzeitige Zusammenarbeit mit auswärtigen Kräften. Dabei ist nicht zu übersehen, daß Standardwerke nur den augenblicklichen Stand der Kenntnis z. Z. ihres Erscheinens zeigen und oft schon bei ihrer Herausgabe teilweise überholt sind; denn die Forschung geht ununterbrochen weiter.

Wir sehen aber, daß genügend interessante Arbeit sich anbietet. Wer packt mit an?

Quelle: Kultur und Heimat 7. Jg., Februar 1960 S. 28 — 30