Als die „Bimmelbah” wieder zurückgerollt kam

Manfred Pollmer

Vergnügliche Erinnerungen an die Vergangenheit der Kleinbahn

Vor hundert Jahren noch gab es in unserem Erzgebirge keine Eisenbahnen. Der gesamte Verkehr wickelte sich auf den mehr oder weniger guten Landstraßen ab. Erst seit dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts hat der Schienenstrang unsere Heimat erschließen geholfen.

Innerhalb weniger Jahrzehnte waren dann fast alle Gegenden des Gebirgslandes, ja selbst die höchsten Lagen, bezwungen. Wo die „große Bahn” vor schroffen, kurvenreichen Steigungen kapitulierte, baute man die Kleinbahn mit schmaler Spur, die „gute alte Bimmelbaah”, wie sie ein fröhliches Erzgebirgslied nennt. 1886 fuhr zum ersten Male der Zug auf der Shmalspurlinie Wilischtal-Ehrenfriedersdorf, das Teilstück Herold-Ehrenfriedersdorf wurde später wieder eingezogen. 1888 folgte die Kleinbahnstrecke Schönfeld-Wiesa-Geyer, die man 1906 über die Greifenbachtalbrücke nach Ehrenfriedersdorf-Thum und 1911 von Thum nach Meinersdorf weiterführte. Jöhstadt hat seit 1892 ab Wolkenstein Schmalspurbahnverbindung, und Oberwiesenthal ist seit dem Jahre 1897 von Cranzahl aus mit der Kleinbahn zu erreichen.

Noch vor dreißig, fünfunddreißig Jahren sahen die erzgebirgischen Schmalspurbahnen anders aus als heute. Um diese Zeit verkehrten zum Beispiel noch Lokomotiven, deren Dampfesse oben wie ein Trichter auseinanderging. Die Wagen waren Zweiachser und wenig bequem ausgestattet. Die damaligen Züge waren noch mit der sogenannten Heberleinbremse versehen, einem über alle Wagen hinweglaufenden Seil, mit dem von der Lokomotive aus der Zug zum Halten gebracht wurde.

Gern erinnern wir uns auch amüsanter Begebenheiten um die „Bimmelbaah” der vergangenen Jahrzehnte. So sind einmal vom Bahnhof in Ehrenfriedersdorf ein paar Wagen buchstäblich ausgerissen. Sie haben getan, ob es ihnen in „Staadtel” nicht mehr gefiele und sind hastduwaskannstdu die ein wenig abfallende Strecke nach Thum davongerollt. Am Anfang ging alles gut. Die Räder saßen fest in den Schienen. Dann kam eine Kurve auf einem hohen Bahndamm. Hier fand der Ausflug ein jähes Ende. Mit Getöse stürzten die vorwitzigen Ausreißer die Böschung hinunter. War das eine Sensation für die Umgebung! Von den umliegenden Ortschaften kamen die Lehrer mit ihren Schulklassen und schauten sich das Malheur an. Sicher haben die Kinder dann darüber einen Aufsatz schreiben müssen.

Wenn der Zug von Geyer nach Ehrenfriedersdorf wegfährt, hat er einen kurzen, aber verhältnismäßig steilen Anstieg bis zu einer Straßenüberführung zu bewältigen; dieses Stück Strecke liegt noch dazu in einer recht engen Kurve. Manchmal, besonders an Fest- und Feiertagen, wenn die Züge vollbeladen und mit zusätzlichen Wagen versehen waren, kam es vor, daß die Bahn diesen Anstieg nicht schaffte. War das ein Hallo für die Buben im Städtchen, wenn der Zug trotz zweier Maschinen, von vielen schweren Wagen gezogen, wieder zurückgerollt kam! Es soll Jungen gegeben haben, die an solchen Tagen ganz „planmäßig” auf dieses „Schauspiel” warteten und mit lausbübischem Vergnügen beobachteten, wie die Lokomotive unter lautem Prusten erneut Anlauf nahm.

Wenige Jahre nach dem Bau der Greifenbachtalbrücke soll, wie man sich in Geyer gern schmunzelnd erzählt, einmal ein Bauer so dreist gewesen sein, seine Schafherde, um den Weg durchs Tal zu sparen, über die Brücke zu treiben. Gerade in diesem Augenblick ist der Zug gekommen, der mitten auf der Brücke hat halten müssen. Natürlich hat das Zugpersonal gewaltig geschimpft, und es hat bestimmt ein Nachspiel für den Bauern gegeben.

In den „Kindertagen” der Schmalspurbahn hat es natürlich auch nicht an Zweiflern an dem Fortbestand des damals neuen Verkehrsmittels gefehlt. So soll es um die Jahrhundertwende einmal in Geyer jemanden gegeben haben, der mit der Bahn fahren wollte, dem das Zügel aber, weil er zu spät zum Bahnhof kam, vor der Nase weggedampft ist. Darauf soll er verärgert ausgerufen haben: „Wenn ihr su wetter macht, werd´r net lang bestiehe könne!”

Nun – die Prophezeiung des durch seine eigene Schuld am Eisenbahnfahren Verhinderten ist nicht in Erfüllung gegangen. Auch die erzgebirgischen Kleinbahnen haben sich behauptet. Sie haben das Erzgebirge wirtschaftlich erschließen geholfen und mit der Entwicklung der Technik Schritt gehalten. Freilich kommen sie bei einem Vergleich mit den modernen Verkehrsmitteln der Gegenwart etwas schlecht weg, erfüllen aber bei den schwierigen Geländeverhältnissen im Gebirge dennoch zuverlässig ihre wichtigen Aufgaben im Güter- und Berufsverkehr. Mag man die erzgebirgische „Bimmelbaah” auch hier und da heute noch ein wenig belächeln, so ist sie für uns zugleich ein fester Bestandteil des Landschaftsbildes unseres Erzgebirges. Sie ist ei Stück unserer Heimat, das wir lieben und schätzen, und käme sie einmal nicht mehr bimmelnd zur gewohnten Stunde vorbeigezuckelt, so würden wir sie wahrhaftig arg vermissen … .

Quelle: Kultur und Heimat 8. Jg., Januar 1961 S. 9 – 10