Jahrmarktsleben in Alt-Annaberg.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 31, 1. August 1926, S. 6

Fastenmarkt in Annaberg.

Ein ergötzliches Gedicht von Widar Zienert aus dem Jahre 1838 als Quelle zur Annaberger Orts- und deutschen Kulturgeschichte. Bilder von Rudolph Köselitz-München.

(Fortsetzung und Schluß.)

Durch die Tischchen und die Schiebbockleute
muß man linksum hinter’s Rathaus gehn
das Karussell und die fremden Tiere,
wenn was da ist nämlich, anzusehn.
Dann schreit rastlos von der Bretterbude
ein Genie im schnurbesetzten Rock:
„Immer h’ran! Immer h’ran, hier ist zu sehen
ein amerikan’scher Sündenbock!”

„Immer h’ran, h’ran, á Person ’n Groschen,
näher Männchen, Weibchen komm‘ sie doch!
Ein Bär ist zu seh’n, völlig ausgewachsen,
und das Merkwürdigst‘, er wächst immer noch!
Immer h’ran, h’ran, hier ist zu schauen
eine Schlange aus der Paradies.
Hör, wie sich die große Löwe brüllet,
den die Simson wie ’n Bock zerriß!”

Auf dem Topfmarkt geht’s nicht minder lustig.
Wagen fahren allzu hart vorbei
an den Puls’nern und den Kohr’nern Töpfen,
ach, und rädern ihrer viel entzwei.
Die erzürnten Töpferweiber halten
eng verbündet rasch den Wagen an,
bis der Fuhrmann ihnen ohne Säumen
ihre Töpf‘ und Tiegel gut getan.

Bei den Nadlern kaufen Bauernburschen
span’sche Röhr‘ und Hemdenknöpfchen ein.
Seitwärts ihnen pfeift der kleine Töffel
gellend auf dem braunen Töpferschwein. —
Auch der sanfte Heinrich aus Satzungen
ist mit seinem Grützehandel da:
„Hirse, hörrn ’s se, Grieß, gebackne Pfläumlein,
s‘ sind Reichspfläumlein, ja, recht gut, ja, ja, ja!”

Lange hat die große Magd indessen
schon die Schachtelleute h’rumvexiert,
alle Laden, buntbemalt mit Blumen,
in- und außewändig visiriert;
doch sie sind ihr alle viel zu teuer,
Holz und Schlösser, alles tadelt sie;
naserümpfend geht sie fort mit Greten,
denn: „Die Blumen d’rauf sin a n ett schie!” —

Nun geht’s in die Achtzehn-Pfennig-Buden,
wo die Käufer hageldicke stehn.
„Festgesetzte Preise, meine Herren.
Achtzehn Pfenn’ge, alles jut un schön!
Jlöckchen, Jabeln! Weibchen, was en Jroschen,
jehn Sie mich! Man hat ja jar nischt dran!
Was, en Jroschen? Ne, du jutes Jettchen,
ne, das jeht jleich janz und jar nicht an!”

Weiter unten steht ein pfiff’ger Jude
und probiert Hans Töffeln Brillen auf:
„Schaun Se, wie Sie sehn geschaut, o Jerum!
As Se machen einen guten Kauf.
Sehn‘ S‘ doch aus, wie ’n Herr von Filsophie!”
Töffel glaubt’s und schmunzelt in die Brille,
zieht den Beutel: „Ja, das gelab ich schie!”

Noch daneben steht ein Guckekasten:
„Sehn Sie hier die große Stadt Paris,
in der Ferne sieht man Frankreich liegen,
rechts das Louvre und die Tuilleries
(Zurück, ihr Jung’ns!)
Dort tut Bonapart im grünen Fracke
mit der Kaiserin herumspazieren,
schaun‘ S‘ das Rathaus dort in Lebensgröße,
wo die Musjö Bougres h’rumflankieren!
(Schmeißt nur den Kasten nich um!)”

Auch das Geyersche Planetenmännel
ist zu Platz im eselsgrauen Rock;
schwammig schlapperst’s Ränzel auf dem Rücken,
unterm Arm trägt er ’n Knotenstock.
Jungern wollen ihr Geschick erfahren,
kaufen die Planeten gierig auf,
lesen sie wohl mehr als drei und vier Mal
und bewahren sie am Busen auf.

Um die schmucken Pfefferkuchenbuden
streiten Liebe sich und Leckergier,
denn Portraits mit doppelsinn’gen Verschen
und mit Gold umrändelt sieht man hier,
und ein süßer Kern liegt in der schönen Hülle,
Herzchen liegen schockweis‘ aufgeschicht‘:
„Kommen Sie! Da ist was für Ihre Schätzchen:
Pfefferkuchen mit Vergißmeinnicht!”

Auf dem Rückweg trifft man noch die Reihen
der Zittauer Leinwandleute an:
„Seifert, Dietrich, Nephelt von Großschönau
und ganz hinten Olangs Christian.”
„Kommen Se, das is ’ne schöne Leimet,
gutte feine Ware wie a Brett,
zwine Groschen un a Dreier die Elle,
koofen Se, daß man nur Handgeld hat!”

Einmal noch schaut man auf das Gewühle,
auf das bunte Treiben still zurück.
Herrchen, die die fremden Schönen mustern,
dicke Pächter mit zufried’nem Blick,
lust’ge Bauern, halbbetrunkne Stromer,
Dirnen, mit der Weife wohl vertraut,
Zwerge, Riesen, Hexen, holde engel:
diese alle man in Menge schaut.

Mitten drunter bringen die Gensdarmen
einen Käufer, dem’s an Geld gebrach;
unter’m Arme trägt er das Gestohlne,
und ein Dutzend Jungen läuft ihm nach.
Einen Trunknen bringt Herr Lux zu Bette,
hier wird gar ein Schiebbock arretiert,
weil er auserlesen schlechte Ware
und wohl gar auch ohne Stempel führt.

Wenn man dieses bunte Jahrmarktstreiben
sich noch einmal hat genau besehn,
nun, dann kann man schon noch ein paar Stündchen
in die Gast- und Bier- und Branntweinhäuser gehn.
Um da stets den rechten Weg zu finden,
schließt man sich ans Harfennannerl an,
denn die geht vom ersten bis zum letzten,
wo sie weiß, daß sie aufspielen kann.

Welches Leben ist im Wilden Manne,
ungezählte Kutschen vor der Tür,
aus der Herrenstube duftet würzig
Grog und Punsch, Wein, Tee und Bayrisch Bier.
Ei, da muß das Nannerl und der Nezer
schon was Rechtes spielen, denn die Herrn
hören nur die Strauß- und Lannerwalzer
und die neusten Opernstücke gern.

Reich ist ihre Ernte und vorzüglich,
wenn das Nannerl ein hübsch Lärvchen hat,
denn da werden reiche Hagestolze
ihres schneidenden Gesangs nicht satt.
Singen muß sie: „Hannchen, ach mein Hannchen” —,
und: „So wollen wir auf kurze Zeit” —,
oder: „Ach, ich fühl‘, es ist verschwunden” —,
oder: „Ungeheure Heiterkeit —.”

Leer wird’s nach und nach, da stößt der Nezer
mit der Flauten ’s Nannerl in die Seit‘:
„Nannerl, komm, hier ist halt nix zu warten,
komm‘, ’s ist halter Schad‘ nur um die Zeit!”
Und die beiden drücken sich von dannen
in das Lamm und in die Goldne Gans,
spielen dort die alten Opernstücke
und so manchen Strauß- und Lannertanz.

Immer weiter ziehn die Harfenisten
in die Häuser, wo man Branntwein schenkt
und wo lustig zum „Auflaxionieren”
ein Tiroler seinen „Täbieh” schwenkt.
Weichen muß geschwind der Tücherjude,
flüchten muß der alte Barchentmann,
Nannerl setzt sich, und ein Kreis von Hörern
schließt sich qualmend an die Harfe an.

Donnernd ruft der Bruder Tiefenbacher:
„Nannerl, sing mir mal den „Nagelschmied”
und ’s „Rebhühnel” — rasch nur! Straf mir Brennöl,
Bruder Breschlauer, komm, wir singen mit!”
Grölend stimmt mit ihren Kontrabässen
in das allgemein gewordne Schrein,
hinten in dem raucherfüllten Winkel
auch die Clique der Vingtüner ein. —

Jetzt wird ’s Abend. — Ann‘, Mari‘ und Röse
packen ihre bunten Laden ein,
und der Großknecht spannt die dürren Pferde
in die lange Hechtkarosse ein.
Peter und die andren Bauernburschen
machen sich zu Fuße auf den Weg,
reich befrachtet, Stiefeln auf dem Rücken,
und die meisten wohl auch etwas schräg.

Hochbepackte Wagen, flotte Chaisen
fahren heim das schöne Jahrmarktsgut;
aller Augenblicke greift der Kutscher
auf den Kopf und streicht den neuen Hut.
Mancher Trunkne stolpert in die Gräben,
sieht den Himmel für ’n Backtrog an,
manches Liebespärchen sucht mit Willen
eine dunkle, menschenleere Bahn. —

Doch in Annaberg wird noch nicht Ruhe.
Herr Thierfelder ordnet die Musik,
teilt die Herren Musiker in Chöre
und wünscht selber sich im stillen Glück.
Eilends ziehn die Herrn Violinisten
neue Quinten auf die Geigen auf,
und die Herren Klarnettisten binden
heute etwas schwächre Blätter auf.

Bald in Müllers und in Glumanns Garten
und im Schießhaus geht der Trubel an.
Langsam Rutscher tanzt des Taktes halber,
wer den edeln Schottisch noch nicht kann.
Und so geht es, bis an Geld es mangelt,
und die Musik auch kriegt es endlich satt,
ihre Noten läßt sie heute draußen,
weil sie schon am Gelde g’nug zu tragen hat.

Das ist Jahrmarkt. Das sind feine Freuden!
Sagt mir, ist das nicht des Sanges wert?
Ist es nicht ein Jubel, der gewaltig
in des Volkes ganze Masse fährt?
Darum will den Fastenmarkt ich preisen,
preisen ihn, wie hoch ich immer kann,
und zum Lohne, — nun vielleicht bekomm‘ ich
einen kleinen — — — Pfefferkuchenmann.