Eine heimatgeschichtliche Studie.
Richard Hauck, Schneeberg
Heimatblätter. Beilage des Erzgebirgischen Volksfreunds. Nr. 1, Sonntag, 14. Oktober 1923, S. 2 – 3.
In nur noch wenigen Familien Schneebergs und der Umgegend wird aus den Tagen der Urväter ein altes dickes Buch aufbewahrt und gelegentlich einmal zum Forschen und Studieren aus dem Schranke hervorgeholt. In Leder ist es gebunden, wohl auch in Pergament, grob ist der Druck und das Papier ist im Laufe der Jahrhunderte braun geworden; aber niemand mag sich von ihm trennen und wenn man gleich ein – Goldstück dafür böte. Dies alte, 1520 Seiten umfassende Buch, das man wie ein Heiligtum beschützt, ist M. Christian Meltzers Schneebergische Stadt- und Bergchronik, welche im Jahre 1710 erschienen ist und bei Heinrich Fulde in Schneeberg gedruckt und verlegt wurde.
Dieser eigentlichen Chronik ging im Jahre 1684 eine Vorläuferin voraus; sie wird gewöhnlich als 1. Auflage bezeichnet und führt den Titel: „Bergkläufftige Beschreibung der Churfürstl. Sächß. freyen und im Meißnischen Ober-Ertz-Gebürge löbl. Bergk-Stadt Schneeberg, We solche Beydes die Stadt, als das Bergkwerck noch deroselben resp. Ursprung, Lager, Gebürgen, Gründen, Alter, Wachßthumb, Flore, Gebäuden, Zechen, Stöllen, Künsten, Bergk-Arten, Außbeuthen, Recessen, Contracten, Fördernüssen, Privilegien, Gottesdienst, Stadt-Regiment, Nahrung, Regenten, Beambeeten, u. s. f. wie nicht weniger Unlücks-Fällen, und andern merkwürdigen Begebenheiten. In vier Bergkläufftige Sermonen vor- und abbildet, Und auff solche Weiße bey inständigen Anhalten Allen Brgk- und Bergk-wercks-Liebenden Zu sonderbahre Gefallen Aus alten Monumenten, Registern, Brieffen, Uffständen, Archiven und dergl. mit Fleiß abgefasset, auch, statt einer Chronicken desto besser zu gebrauchen, mit einem beygefügten Register in öffentlichen Druck gegeben ist von Christian Melzern, Wolkensteinensi.
Gedruckt Zu Schneebergk bey Christian Pfütznern und zu finden bey Sebastian Meißnern, Buchbindern daselbst, deme es der Autor übergeben, Anno 1684.”
Auf dem 2. Blatte findet sich folgende Widmung: „Denen Wohl-Edlen, Besten, Wohl- und Ehrenvesten, Groß- und Vorachtbaren, Hoch- und Wohlgelahrten, Hoch- und Wohl-Weisen, Wohl- und Fürnehmen, Fürsichtigen und Wohlbenahmten Bey der Churfl. Sächß. freyen und im Meißnischen Ober-Ertz-Gebürge löbl. Bergk-Stadt Schneebergk, Wohlverordneten HERREN Bürgermeistern, Stadt-Richtern, Syndico und Rathsverwandten, sowohl Denen verordneten Herren Knappschafts-Aeltisten, Gemeinde Vorstehern und Viertelsmeistern, und insgemein Gesambter Löbl. Knapp- und Bürgerschafft.”
Bei dieser Widmung bedarf es weiter keinen Beweises, daß sie im Zeitalter der Titel und Würden geschrieben ist.
In einem Bande von 88 Seiten nebst einem 40 Seiten umfassenden Register beschreibt Meltzer in 4 „Bergkläufftigen Sermonen” (Predigten) die Schicksale der Bergstadt Schneeberg vom Beginn des Silberbergbaues 1471 bis zum Jahre 1684 in der damals üblichen, leider schwerverständlichen Sprache. Desgleichen sind die einzelnen Ereignisse nicht chronologisch geordnet, sondern bunt durcheinander geworfen, sodaß es dem ungeübten Leser nicht leicht wird, sich in diesem Stoffe zurechtzufinden, weshalb sich auch gerade diese Ausgabe mehr zu Forschungszwecken eignet und weniger als Unterhaltungslektüre dient. Diese Mängel scheint Meltzer später auch selbst erkannt zu haben – er zählte bei der Drucklegung seines Werkes erst 29 Jahre –, sonst würde er die 1716 erschienene Chronik nicht auf ganz anderem Grunde aufgebaut haben. Meltzer schließt diese 1. Ausgabe mit den Worten: „Schicht! Schicht! Feyerabend! Feyerabend! Gott bescheer uns allen einen glücklichen Morgen!”
32 Jahre später, im Alter von 61 Jahren, gab Meltzer seine vermehrte und verbesserte 2. Chronik heraus. Der Text auf dem Titelblatte lautet wie folgt: „Historia Schneebergensis Renovata. Das ist: Erneuerte Stadt- u. Berg-Chronica der im Ober-Ertz-Gebürge des belobten Meißens gelegenen Wohl-löbl. Freyen Berg-Stadt Schneeberg, u. s. f. – – – von Christian Meltzern, Phil. M. und p. t. Pastore der Kirchen zu S. Catharinenberg im Buchholtz. Schneeberg, druckts und verlegts Heinrich Fulde, Anno 1716.”
Wer in diesem Buche gelesen und geforscht hat, wird es nie ohne Befriedigung aus der Hand gelegt und das Andenken dieses unermüdlichen, für seine erzgebirgische Heimat begeisterten Mannes gesegnet haben. Für die Familienforschung ethält Meltzers Chronik wertvolle Unterlagen; diese Angaben, soweit sie sich auf Einträge in den Kirchenbüchern stützen, dürften ziemlich einwandfrei sein, dagegen scheint Meltzer auch verschiedenes anderes Quellmaterial benützt zu haben, das sich später als nicht kritisch genug erwiesen hat, sodaß es da und dort nicht an Ungenauigkeiten fehlt. Ja eingefleischte Familienforscher glauben ihm sogar Irrtümer und Fehler nachweisen zu können. Doch angesichts dieser gewaltigen Leistung fallen derartige kleine Mängel nicht in die Wagschale. Wo wäre der Forscher, der davon frei wäre? Wo viel Licht ist, fehlt es auch an Schatten nicht. Trotz alledem kann und muß Meltzers Arbeit als eine Kulturarbeit ersten Ranges angesprochen werden, die es einem späteren Chronisten von Schneeberg, Carl Lehmann, erst ermöglichte, eine weitere Chronik auf Meltzers Grundlage zu schreiben, welche bis zum Jahre 1840 reicht. Nach alledem dürfte es vielleicht Manchem erwünscht sein, etwas Näheres über das Leben dieses um das Erzgebirge so hochverdienten Mannes zu erfahren.
Christian Meltzer wurde am 25. November 1655 in Wolkenstei geboren und stammte, wie so viele Männer des Gelehrtenstandes, aus einer Handwerkerfamilie. Sein Vater, Meister Georg Meltzer, war Bürger und Schneider in genannter Stadt. Mit den vorzüglichsten Geistesgaben ausgestattet, merkten seine Angehörigen schon frühzeitig, daß der kleine Christian wohl kaum daran Gefallen finden würde, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, um mit untergeschlagenen Beinen auf dem Schneidertisch zu hocken und mit Zwirn und Nadel zu hantieren. Dazu kam, daß seine beiden Lehrer, Samuel Hähnel und Christoph Seifert, seinen Hang zum Studium noch vermehrten. Wohl vorbereitet bezog der Knabe anno 1670 das Gymnasium zu Freiberg, wo er nicht nur Griechisch und Latein, sondern auch eifrigst Bergwissenschaft trieb, wie er denn sein Lebenlang ein großer Freund und Förderer des Bergbaues gewesen ist. Von 1676 bis 1680 studierte er in Leipzig Theologie und erwarb sich durch öffentliche Verteidigung eines mineralogischen Themas das Magisterbarett. Am 5. November 1684 bestand er vor dem Oberkonsistorium zu Dresden sein theologisches Kandidatenexamen mit Auszeichnung und trat zugleich als Schriftsteller auf. In diesem Jahre erfolgte in Schneeberg die Drucklegung seiner 1. Chronik. In seinen Kandidatenjahren ist Meltzer als Hauslehrer in Schneeberg und Umgegend tätig gewesen, er scheint diese Zeit zum Studium des Bergbaues und der Ortsgeschichte weidlich ausgenützt zu haben, andernfalls würden seine genauen Kenntnisse Schneebergischer Verhältnisse schier unbegreiflich sein. Seit dem Jahre 1687 amtierte er als Pfarrer zu Buchholz, wo er am 3. Juli seine Amtspredigt hielt. Über 45 Jahre lang hat Meltzer in diesem Amte in größtem Segen gewirkt, bis ihm, um mit den Worten seines Schwiegersohnes zu reden „Der Herr zum Lohne seiner Treue ein seliges Simeonsstündlein bescheerte.”
Am Sonntag Quasimodogeniti, den 12. April 1733, schied er aus dieser Welt als der älteste Mann seiner Gemeinde, fast 78 Jahre alt. Der Annaberger Superintendent D. Hoffmann sprach an seiner Bahre über das vom Verstorbenen selbst gewählte Schriftwort Jerem. 1, 5 und sein Amtsbruder M. Haußner, Pfarrer zu Bärenstein, hatte die Parentation übernommen. Meltzer ist ein außerordentlich tüchtiger Geistlicher gewesen, ein frommer Mann, ein liebevoller Tröster der Armen und Angefochtenen, aber auch ein scharfer Bußprediger. Durch seine Schriften weht ein warmer Hauch von Liebe und Treue zur Heimat, sodaß er sehr an den bekannten erzgebirgischen Chronisten Lehmann (1633 bis 1688 Pfarrer in Scheibenberg) erinnert. Verheiratet war Meltzer zweimal: 1. mit Anna Katharina von der Lage, welche 1697 starb, und 2. mit Katharina Dorothea Viewegerin, die ihm acht Kinder schenkte, von denen eine Tochter seinen Amtsnachfolger heiratete. Eine große Anzahl von Schriften legt Zeugnis ab von dem unermüdlichen Sammelfleiß des alten Buchholzer Pastors. Er hat außer den beiden Ausgaben der Schneeberger Chronik noch sechs größere Werke geschrieben und zwar:
- Die obengenannte Magisterarbeit de metallurgia Hermundurorum argentaria (über den Silberbergbau der Hermunduren). Leipzig, 1. Auflage 1680, 2. Auflage 1690.
- Gaugraena metallica in Hermunduris oder hist.-pol. Bericht vom Abfall der Meißnisch-sächs. Bergwerke. Leipzig 1672 (wo Meltzer kaum 17 Jahre alt war), 2. Auflage 1685, 3. Auflage 1741.
- Buchholzisch-Thumische Brand- und Trostpredigt 1702.
- Die Reichmacher, christliche Bergpredigt in der Bergkapelle zu St. Annaberg gehalten. Leipzig 1703.
- Matthesianischer Schwanengesang (auf Matthesius, den Joachimsthaler Bergpfarrer, bezüglich).
- Historia montis S. Catharinae sub. Aegmine fagi oder hist. Beschreibung des St. Katharinenbergs in Buchholz von 1496-1732.
Wie hoch Meltzer von seinen Gemeindegliedern und seiner Familie geliebt und geehrt wurde, davon legen die schlichten, treuherzigen Verse Zeugnis ab, die ihm sein Schwiegersohn und Amtsnachfolger M. Johann Christian Spindler (+ 1758) im Buchholzer Totenregister widmete:
„Schlaf demnach, theurer Mann, im kühlen Schooß der Erden!
Geh’ ausgespannter Geist, zum Lohn der Lehrer ein!
Dein Gott befreit dich von allen Angstbeschwerden,
Und ich nach Gottes Rath soll dein Successor sein.
Laß zu, daß wir dein Haupt noch in dem Grabe küssen,
Denn du hast hier der Kirch’ mit großem Nutz gedient;
Buchholz will auf die Gruft gerechte Thräen gießen,
Dieweil dein Ruhm üb’rall ganz unverwelklich grünt.
Dir aber schreib’ ich noch auf deine Todtenbahre,
Mein Vater, dieses Wort aus lautrer Kindespflicht:
Hier ruht ein Gottesmann, der fünfundvierzig Jahre
Das aufgetrag’ne Werk des Herrn hat ausgericht. –”
Wenn alle Besitzer von Meltzers Chronik dies Werk um seines Verfassers willen, dessen Leben hier erzählt wurde, nun doppelt hüten wollten und das Gedächtnis des Gerechten in Segen bleiben ließen, dann wäre der Zweck dieser Zeilen erreicht.