Der Münzfund in Neustädtel.

Dr. Siegfried Sieber, Aue

Heimatblätter. Beilage des Erzgebirgischen Volksfreunds. Nr. 1, Sonntag 14. Oktober 1923, S. 1 – 2

Im Juli 1923 wurde im Hofe eines Hauses am Markt zu Neustädtel bei Bauarbeiten eine Kiste mit Silbermünzen gefunden. Die vermorschte Holzkiste enthielt etwa zwei Pfund zusammengebackene, durch Grünspan entstellte Münzen, von denen mir einige zur Bestimmung übergeben wurden. Leider ist der größte Teil des eigenartigen Fundes sehr bald in die Hände zahlreicher Liebhaber und Sammler gekommen, ohne daß er vorher in seiner Gesamtheit geprüft worden wäre. Die geschichtliche Würdigung der Münzen und damit natürlich ihr Sammelwert hätte dadurch sicher nur gewonnen. Es sei darum allen Heimatfreunden die Bitte ans Herz gelegt, bei allen Funden und Beobachtungen, die sich auf unseren Bezirk Schwarzenberg beziehen, seien es Dinge der Natur, der Kunst, der Geschichte, nunmehr die durch unsere Heimatblätter gegebene Möglichkeit der Veröffentlichung, Besprechung oder sonstigen Fühlungnahme zu benutzen, damit nichts unbeachtet bleibe oder verloren gehe.

Die von mir untersuchten, zum größten Teil vom staatlichen Münzkabinett in Dresden nachgeprüften Münzen ergeben folgendes Bild des Fundes:

Sehr viele der dünnen Silberblättchen zeigen zwar eine sehr gute Prägung, geben aber einen schlechten Klang und erweisen sich als Legierungen von geringem Silbergehalt. Manche sind beschnitten oder gar zerbrochen. Kurzum, es zeigt sich, daß hier teilweise minderwertiges Geld vorliegt, das freilich mit tadellosen staatliche Wappen und fürstlichen Namen prunkt. Wir kennen heute minderwertiges Papiergeld aus eigener bitterer Erfahrung der letzten Jahre. Ganz ähnlich sind die Zeitläufte damals gewesen, als jene Silbermünzen geprägt wurden. Es war die Notzeit des dreißigjährigen Krieges, in welcher die sogenannten Kipper und Wipper ihr unsauberes Wesen trieben. Schon vor dem großen Kriege hatte es viel Betrüger in den zahlreichen deutschen Münzstätten gegeben. Manche Stadt brachte minderwertiges Geld heraus, mancher kleine Reichsfürst verpachtete seine Münze an unredliche Leute. Solche unregelmäßigen Prägestellen nannte man Hakenmünzen. Viel schlimmer aber ward die Falschmünzerei mit dem ersten Kriegsjahr 1618. Als erste deutsche Fürsten begannen die Braunschweiger ihre Münzen dem Gehalt nach zu verschlechtern. Sehr schnell folgten andere. Überall entstanden neue Münzstätten, ein tolles Geldmachen begann. Natürlich stiegen sehr schnell alle Preise. Aber zunächst schwamm man ja im Geld. Ohne Arbeit konnte man durch Geldmachen und Geldhandel leicht reich werden. Man lungerte umher, schacherte, übervorteilte, zahlte mit schlechtem Gelde seine Schulden oder kaufte sich Grundstücke. Denn alle, die Gehalt, Gold und Lohn empfingen, konnten damit nicht mehr auskommen und verkauften deshalb, was sie übrig hatten. Zuerst merkten Geistliche und Lehrer die Not. Noch schlimmer wars mit den Studenten, die von Stipendien leben wollten, deren Wert täglich sank. Die Universitäten verödeten. Aber auch Kapitalisten, die von ihren Zinsen lebten, gerieten in Not. Was half es, daß sie zum Gericht liefen und den Schuldner verklagten, der ihnen statt ihres guten Geldes, das sie einst hergeliehen, jetzt entwertete Münzen brachte. Kurzum, die beginnende Not, die wir ja aus ganz gleicher Erfahrung kennen, erregte jetzt einen Sturm der Entrüstung. Schriften erschienen, von den Kanzeln ward gepredigt, vom Volke gespottet und gehöhnt: Wer auf der Geldwage betrügerisch wog oder das Geld beschnitt, hieß Kipper, wer gutes Geld von der Wage herabwarf (herunterwippte) ward Kipper gescholten. Und künftig hießen die Jahre 1621 – 1623 die Zeit der Kipper und Wipper.

Aus dieser, zugleich durch Kriegsnot und Schlachtenlärm verworrenen Zeit, in der viele fleißige Leute ihr Geld verloren, leichtsinnige in Samt und Seide stolzierten, Landesfürsten ihr eigenes schlechtes Geld bei der Steuerzahlung zurückwiesen, Städte wie Leipzig zahlungsunfähig wurden, aus dieser Zeit, da Böhmen mit Gewalt wieder katholisch gemacht wurde, Tilly durch Deutschland zog, Wallensteins Aufstieg sich vorbereitete, aus dieser Zeit stammen unsere Münzen. Einige davon sind richtige Kippermünzen. Eine zerbrochene Kippermünze ist so schlecht erhalten, daß sie weiter nicht bestimmt werden konnte. Eine Anzahl gut geprägter Kippermünzen im Wert von 12 Kreuzern aus den Jahren 1620 und 1621 stammen aus der Grafschaft Hohnstein in Thüringen, die damals dem Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel gehörte. Sie zeigen als Wappen einen im Mittelalter und auf manchen Wappen bis in die neueste Zeit als Schildhalter beliebten wilden Mann, mit Laub als Kopfputz und Lendenschurz sowie einem mächtigen Baumstamm als Keule. Besser ist die Münze des Julius Ernst von Braunschweig-Lüneburg (Neues Haus Braunschweig); ein D. S. bezeichnet sie als Doppelschilling. Aus Sachsen-Altenburg stammt eine zwischen 1620 und 1622 geprägte, Engelsgroschen genannte Kippermünze, die von den ernestinischen Brüdern Johann Philipp und Friedrich Wilhelm geprägt und unter Kaiser Ferdinands II. Regierung ausgegeben worden ist. Solche Engelsgroschen waren zuerst in Annaberg geprägt worden. Sie zeigen das wettinische Wappen von einem Engel gehalten. Vom Grafen Simon VII. zu Lippe stammt ein Groschen aus dem Jahre 1620. Einen anhaltischen Groschen aus dem gleichen Jahre zieren die Namen der fünf Brüder Christian, August, Rudolf, Ludwig und Johann Kasimir (1/24 Taler). Der erst 1620 zum Reichsfürsten erhobene Ernst III. von Holstein und Schauenburg (Linie Pinneberg) ließ einen Groschen prägen mit der Umschrift: Ernestus Dei Gratia Princeps et Comes Holsatiae Schauenburgi (Ernst von Gottes Gnaden, Fürst und Graf von Holstein-Schauenburg). Dann findet sich ein Dreikreuzerstück der Wild- und Rheingrafen zu Dhaun (später Fürsten Salm). Die zwei Grafen Wolfgang Friedrich und Johann Konrad stehen damals noch unter Vormundschaft. Ihr Wappen ist übrigens am Rathaus zu Lößnitz zu sehen. Denn die aus dem Jahre 1606 stammende Rathauspforte trägt im Aufsatz des Lößnitzer Stadtwappens das Wappen der Herren von Schönburg (als Herren der Stadt), vereinigt mit dem Dhaunschen Wappen, da Hugo von Schönburg (gestorben 1606) mit Katharina, der Tochter des Wild- und Rheingrafen, vermählt war.

Aus den damals noch zum deutschen Reich gehörigen, teilweise von den Habsburgern beherrschten Niederlanden (heute Holland und Belgien) stammen folgende Münzen: Stadt Kampen in der Provinz Overyssel, ein Escalin, d. h. ein halber Gulden oder soviel wie 10 Stüber. Diese Münze trägt den Namen des Kaisers Matthias (1612 – 1619). In derselben Provinz liegt die Stadt Zwolln, deren schön geprägter Escalin unter Kaiser Rudolf II. (1576 – 1612) ausgegeben wurde. Schließlich stammt aus Brabant, wo damals Albert und Elisabeth (richtiger Isabella) herrschten, ein Escalin im Werte von 6 patards, der auf der Vorderseite einen Pfau, auf der Rückseite ein gekröntes Wappenschild zeigt. Die Erzherzöge, wie dies tüchtige Herrscherpaar in der Geschichte der Niederlande heißt, waren 1598 bis 1621 Statthalter für den im Kampfe mit den Niederländern stehenden König von Spanien. Albrecht war ein Bruder Kaiser Rudolfs II., Isabella die Tochter König Philipps II. von Spanien.

Der Dänenkönig Christian IV., der als eifriger Protestant und als Herzog von Schleswig-Holstein und zugleich Oberster des Kreises Niedersachsen in die deutschen Händel eingriff, den Heeren der Katholiken entgegentrat, aber von Tilly, dem Ligafeldherrn, bei Lutter am Barenberge nördlich von Goslar 1626 geschlagen und nach Dänemark zurückgetrieben wurde, ist mit einer Münze vertreten: 4 Skilling Danske (vier dänische Schillinge) 1616.

Die schönsten und größten Silbermünzen des Neustädteler Fundes sind einige Stücke zu 48 Kreuzern mit dem gut geprägten Bildnis Friedrichs V. von der Pfalz, den die protestantischen Böhmen zum König gewählt hatten, um der Herrschaft des streng katholischen Ferdinand II. zu entgehen, der aber 1620 in der Schlacht am Weißen Berge bei Prag sein Könireich (nebst Mähren, Schlesien und der Lausitz) wieder verlor und seiner kurzen Herrschaft halber den Spottnamen „der Winterkönig” erhielt. Die Münzen stammen also aus dem Jahre 1620.

Sicherlich hätte eine Untersuchung aller gefundenen Münzen viele Doppelstücke, namentlich kleine Groschenstücke ergeben. Schwerlich dürften aber Münzen aus der Zeit nach 1622 sich darunter befunden haben. Es ist also wahrscheinlich, daß diese Münzen um 1623 in Neustädtel vergraben worden sind. Da damals Sachsen von der Kriegsfurie noch verschont war, ist kaum anzunehmen, daß der Besitzer dieser Münzen sie aus Furcht vor Plünderung vergraben hat. Das Auftreten so vieler fremder, namentlich böhmischer und niederländischer (also habsburgischer) Münzen, läßt mich die Vermutung äußern, ein aus Böhmen vertriebener Protestant habe den Schatz vergraben, als er von Neustädtel weiterziehen mußte. Wie dem auch sei, und was für Tragödien sich vielleicht abgespielt haben, ob Mord, Raub, Diestahl, Falschmünzerei oder ähnliche Untaten mitgewirkt haben, uns den Schatz zu erhalten, wir wollen uns freuen, in diesem kleinen Spiegel ein Stück Geschichte lebendig machen zu können, Geschichte, aus der wir für unsere Geldwirtschaft leider nichts gelernt haben.

Durch die Güte des Inhabers der Fundstelle sind dem Museumsverein Aue 10 Stück dieser Silbermünzen für seine fortgesetzt erfreulich wachsenden Sammlungen überwiesen worden. Der Verein plant, das Sammeln von Münzen in unserm Bezirk, das bisher ohne Vorbilder und ohne geeignete Nachschlagewerke betrieben wurde, dadurch zu fördern, daß er als Sondergruppe des Museumsvereins die Münzsammler zusammenschließt. Anfragen deshalb nimmt Dr. Sieber, Aue, Kantstraße 7, I, entgegen.