Das Schwarzwasser

A. Döhler, Beierfeld.

Der großen, unversiegbaren Brunnenstube des Fichtelberggebietes verdankt das Schwarzwasser gleich manch anderem heimatlichen Flusse das Dasein. Westwärts, ins Böhmerland hinein, nimmt es seinen ersten Lauf, dorthin, wo in schweigender Einsamkeit Moorwiesen sich breiten und stille Hochlandshütten ragen, wo noch kein Klang der aufgeregten Zeit seinen kurzen Kindertraum stört. Schon von Anfang folgt ihm der Wald als sein steter Begleiter und treuer Freund. Aber nicht lange währt es, da wandelt sich das schlichte Gebirgskind zum trotzigen Kämpfer. Freilich, Jahrtausende hat es bedurft, ehe das Schwarzwasser die wuchtigen Granitmassen durchbrochen, die ihm den Weg versperrten; bald in stürmischen Anprall, bald in unaufhörlicher Minierarbeit hat es die Hindernisse beseitigt, die seinen Lauf zu hemmen versuchten. In engem, tiefeingerissenem Tale, das noch allenthalben die Spuren des Kampfes zeigt, rauscht es dahin. Das schäumt und gichtet, wenn es über die gewaltigen Felsblöcke hinwegsetzt, die in seinem Bette liegen geblieben sind; nur selten ist es ihm vergönnt, ein wenig auszuruhen. Da nicken Farnwedel über der dunklen Flut, und Forellen treiben in dem kühlen, frischen Wasser ihr Spiel. Schon aber zwingt der Mensch die junge, ungebändigte Kraft in seinen Dienst. Mühlen und industrielle Anlagen machen sich die Wasserfülle und das starke Gefälle zunutze. In früheren Zeiten, als noch der Bergbau im Kammgebiet blühte, wurde der Plattener Bergwerksgraben angelegt, der, unterhalb Gottesgab abzweigend, die Plattener Gruben mit Wasser versorgte. Prächtige Talblicke öffnen sich dem Auge des Wanderers in reizvoller Abwechslung. Verwitterte, graue Felsen, die dem Ansturm Trotz boten, ragen auf; trümmerübersäte, steile Höhen, von wüchsigem Nadelwald und üppig wucherndem Beerengesträuch bestanden, ziehen sich talwärts empor. So ist dieses Stück wohl das ursprünglichste und schönste des ganzen Flußlaufes.

In der Nähe der Grenze weitet sich das Tal. Wittigsthal mit seinem ausgedehnten Eisenwerke breitet sich auf dem linken Ufer aus, das weiterhin jäh zum Fastenberge emporsteigt, auf dem vor Jahrhunderten glaubenstreue Exulanten Johanngeorgenstadt gründeten. In das Dröhnen der Eisenhämmer klingt vom Grenzbahnhof her das Pfeifen und Schnauben der Lokomotiven. Der große Weltverkehr macht sich auch in dieser abgelegenen, um Anschluß an die größeren Linien des sächsischen Verkehrsnetzes zu erlangen; in entgegengesetzter Richtung laufen die Schienen über die Kammhöhe hinweg in den böhmischen Kessel, in die Karlsbader Ebene hinab. Schon von altersher vermittelte eine wichtige Paßstraße den Zugang vom Reiche zu den Ostlanden hinüber. Was könnte sie uns nicht alles erzählen von den Kaufleuten, die mit ihren Warenzügen hier durchkamen, von den Salzfuhrleuten, die von Halle das unentbehrlichste aller Gewürze herbeischafften, von böser, wilder Kriegszeit, da Freund und Feind um Schlachtenglück würfelten und Not und Bedrängnis mit sich brachten, von den vielen vornehmen Herrschaften, die hier übernachteten, wenn sie „ins Karlsbad” fuhren, um da Genesung von ihren Leiden zu suchen, von frohgestimmten Wanderern, die in den Bergen und Tälern des Waldgebirges Naturgenuß, und Erholung fanden! Auch wir gehören zu diesen. Darum lassen wir das Züglein ruhig abfahren und wandern auf Schusters Rappen weiter! Denn nur, was man erwandert, besitzt man.

Kurz nacheinander nimmt das Schwarzwasser zwei der klaren Gebirgsbäche auf, wie sie nur noch in den höhergelegenen Teilen des Gebirges anzutreffen sind. Nach Norden zu setzt es seinen Lauf fort, zwischen steilaufstarrenden Felsen und hochragenden Bergwänden, die Nadelwald in alten und jungen Beständen krönt. Selten nur weitet sich das Tal etwas, um Ansiedlungen Raum zu bieten. Erlen beschatten den rasch dahineilenden Fluß; duftige Wiesen, von Baumgruppen durchsetzt, fassen die Ufer ein. Zuweilen hat die Enge nur noch Platz für Bahnkörper und Straße, die seine Windungen meist getreulich mitnehmen. Die Ausläufer des Eibenstöcker Granitgebietes rücken dicht an die Ufer heran; bei Erlabrunn türmen sich steil die Felswände empor und zwingen den Fluß, auf eine kürzere Strecke nach Osten umzubiegen. Erst bei Breitenhof vermag er die alte Richtung wieder aufzunehmen. Im Schatten wandern wir gemächlich auf wohlgepflegter Straße dahin. Wenn auch die Ortschaften in größerer Entfernung voneinander liegen, so erinnern uns doch mancherlei Erscheinungen und Namen daran, daß hier schon von altersher Menschen gelebt und ihre Spuren hinterlassen haben. In den Wäldern dampften einst die Kohlenmeiler im Dienst der Eisenhämmer und Schmelzhütten; Bergknappen schürften nach Eisenerz, und das Kreischen der Sägen scholl durchs Waldtal. Die Hämmer sind eingegangen oder haben sich in Maschinenfabriken, Eisengießereien und Holzstoffabriken umgewandelt. Gewaltige Stapel entrindeter Baumstämme harren der Verarbeitung. Zum Glück wird das landschaftliche Bild durch die industriellen Anlagen selten ernstlich beeinträchtigt. Ist´s nicht, als hätte Eichendorff hier sein Lied gesungen: Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben? Erlabrunn, Antonsthal, Erla! Schließt nicht jeder dieser Namne unvergeßliche Eindrücke in sich? Immer schroffer werden die Talwände, immer enger rücken sie aneinander. Glimmerschiefer tritt an Stelle des Granit. Doch nun öffnet sich das Tal. Das Herrenhaus des alten Erlaer Hammers grüßt uns in Stattlichkeit und Würde. Der Blick wird nicht mehr gehemmt, trotzdem dieTalsohle schmal bleibt. Dichter wird die Besiedlung. Schwarzenberg auf steilem Felsrücken mit seinem altersgrauen Schlosse, dessen fester Rundturm trutzig ins Land schaut, steigt vor uns auf. Einst schützte die Burg auf schroffer Felsenhöhe die Gegend, wo deutscher Fleiß aus der Wildnis Menschenland schuf. Im Bogen umzieht das Schwarzwasser den Schloßberg, um dann zwischen den sagenumwitterten, mit lichtem Laubwald bestandenen Felserhebungen des Otten- und Totensteins rauschend dahinzuströmen. Eine Perle unseres Heimatgaues ist dieses Städtchen, umrahmt vom Kranze bewaldeter Höhen, das sich auch bei allen Drang neuzeitlicher Entwicklung den Hauch altfränkischen Behagens gewahrt hat. Eigenartig ist, daß das Schwarzwasser nun wiederum die Richtung eines Schwesterflusses, der Mittweida, die ihr hier zueilt, beibehält. Es biegt nach Nordwesten um und weicht von dieser Richtung nun auch nicht mehr ab. Diesem Talabschnitt hat die Neuzeit im besonderen ihr Gepräge aufgedrückt. Fabriken und Straßenzüge füllen die Talsohle. In der Nähe des Bahnhofes Schwarzenberg erhebt sich das Elektrizitätswerk „Obererzgebirg”, desen Stromleitungen nach allen Seiten hin ausstrahlen. Gegenüber schimmern die blanken Fensterreihen des stattlichen Bezirksstiftes ins Tal hinaus. Allüberall begegnet uns die Industrie in umfangreichen Werksanlagen. An verschiedenen Stellen sickert nur noch ein dünner Wasserfaden zwischen den Steinen dahin, da vielfach Betriebsgräben die Flut ableiten. Links und rechts ziehen sich gewerbfleißige Orte in den Seitentälern hinauf. Dazwischen breiten sich Felder auf den Hängen aus. Erst unterhalb des Bahnhofes Lauter nimmt das Tal wieder seinen eigenartigen, fast wilden Gebirgscharakter an. Stellenweise ist nur Platz für den Bahnkörper und einen schmalen Talweg. Nadel- und Laubwald überkleiden die schroff ansteigenden Bergwände, aus denen Steinquadern und Felsenzinnen fast senkrecht emporragen. An der „Hakenkrümme”, wo die Felsen bis an das Ufer herantreten, macht der Fluß eine gewaltige Schleife, und wer vom „Alpinen Steig”, der sich an der linken Seite hinwindet, niederblickt, der hat eins der großartigsten und fesselndsten Landschaftsbilder vor sich. Hier speist er das wunderschöne, von der Stadt Aue in großzügiger Weise geschaffene Schwimmbad. Doch gleich darauf tritt das Schwarzwasser in den Auer Talkessel ein. Das Blaufarbenwerk Niederpfannenstiel beherrscht seinen Eingang. Am Ortsteil Zelle vorüber, der mit seinen schlichten Häuschen an die Anfänge der Stadt erinnert, eilt das Schwarzwasser der Mulde zu, die vom Vogtlande her durchs Erzgebirge ins Niederland strömt.

Quelle: Heimatblätter Nr. 5. – Sonntag, den 18. Mai 1924, S. 1 – 2.