Von Osnabrück bis Schwarzenberg

Mit 40 PS. ins Weihnachtsland.

Erzgebirgische Heimatblätter. Nr. 2 – Sonntag, den 9. Januar 1938. S. 2 – 3.

Bild: Wie ein Knusperhäuschen aus Märchenlanden. Erzgebirgischer Weihnachtsberg auf der „Feierohmd”-Ausstellung in Schwarzenberg.

In den Weihnachtstagen ist die Ausstellung in Schwarzenberg das Ziel unzähliger Besucher geworden und es ist unmöglich, in der Presse all die Eindrücke zu schildern, die man vom Erzgebirge gewonnen hat. Unsere Leser finden heute aber nachfolgend einige Zeilen aus der „Osnabrücker Zeitung”, die kurz vor der Eröffnung der Ausstellung die Weihnachtsstadt im Erzgebirge aufgesucht hat. Auch die in der heutigen Heimatblatt-Ausgabe untergebrachten Bildstöcke hat uns die Zeitung freundlichst zur Verfügung gestellt. Wir machen uns deshalb gern zum Dolmetsch dessen, was die Schriftleiter dieser Zeitung über ihren Besuch im Erzgebirge schreiben, obwohl dieser Bericht noch aus der Vorweihnachtszeit stammt. Wir lesen: „Ein Märchenwunder wird Wirklichkeit in der Bergwelt des Erzgebirges. Jetzt sind wieder die heimlichen, vorweihnachtlichen Tage, wo die Kinder mit heißen Backen und glänzenden Augen vor den blanken Spiegelscheiben des Weihnachtsmannes Gabenfülle bestaunen, und sich in ihren Herzen Wünsche von unvorstellbaren Ausmaßen regen – kindliche Wünsche sozusagen, gewünscht im Vertrauen auf die unbegrenzten Möglichkeiten des lieben, guten Nikolaus. Nichts aber ist zu dieser Zeit ansteckender als Wünschen. Und so nimmt es gar nicht wunder, wenn selbst wir „vernünftigen Erwachsenen” aller Vernunft zum Trotz nicht minder kindliche Regungen nach dem Wunder des Weihnachtslandes verspüren. Die bösen Nußknackerkerle aus dem Weihnachtsmärchen fallen uns ein und alle unsere Gedanken können wir an ein tief verschneites, friedliches Knusperhaus im weiten, weiten Weihnachtswald hängen. Ja, dieser Wald ist leider so weit, wie der Kindheit Erinnerungen reichen … Wer sich träumend ihnen ergibt, möchte wohl über die „komischen jungen Leute” gelacht haben, die sich aus dem Nordwesten des Reiches im Auto, dem so unromantischen Gefährt unserer Zeit, aufmachten, den Weihnachtswald und das Weihnachtsland zu suchen. Toren würde er sie nennen, die doch wenigstens Anspruch auf das „Schimpfwort” Idealisten hätten. Sie fuhren die Straßen nach Süden und fanden nichts als Regen, Nebel und novemberliches Grau in den Flecken, Dörfern und Märkten, durch die sie kamen. Aber eines Tages ragte vor ihnen eine große Stadt auf, mit Schornsteinen und düsteren Häusermauern. Eine rechte Stätte der Arbeit war es, wo die Webstühle surrten und Automobile in langen Reihen zum erstenmal den Schmutz der Straße erblickten. Chemnitz war sie geheißen. Hier lachten die Menschen nicht mehr über die „Toren”. Sie zeigten ihnen den Weg zum Land ihrer Wünsche. Er führte hoch und immer höher hinauf, und an seiner Schwelle schickte Frau Holle den Weihnachtssuchern einen fröhlichen Reigen ihrer Kinder entgegen: es schneite und schneite. Das Autodach bekam eine richtige Haube; die Leute unter ihm wischten an den Scheiben und schauten verwundert in ein Land, dessen Berge und Täler in festlichem Weiß prangten, dessen Häuser und Bäume aus einer Schneelast freundlich herübergrüßten. Da stiegen sie aus, ballten den Schnee und lachten, denn sie wußten, daß sie das Weihnachtsland gefunden hatten. Die Menschen nannten es zwar Erzgebirge – aber für sie war es das Reich des Weihnachtsmannes; und sie fuhren weiter, sein Schloß zu suchen. Hoch auf dem Berge, in einem Flecken Schwarzenberg genannt, fanden sie es. Weithin strahlte eine riesige Pyramide (so wie man sie oben auf den Weihnachtsbaum setzt) mit tausend Lichtern, glitzernd im Schnee, und wies den Weg. Er brachte sie zu einer Schule. Gibt es ein schöneres Schloß für den Weihnachtsmann? Wo wohnte er besser als in den Herzen der Kinder und in ihren Arbeitsräumen?

Bild: 130 Jahre alter Weihnachtsberg von Nestler-Cranzahl. (Aufn. Koch.)

Tannenduft und Lichterschein empfing die zaghaft Eintretenden. Ein riesiger Wunderbaum ragte durch die Stockwerke, vom Keller bis zum Dach reichend, vor ihnen auf, und drehte sich im bunten Kleid seiner Männchen, Lichtlein, Häuschen und Märchengestalten. Ein feines Klingen erfüllte den Raum: die Weihnachtsglocken aus Meißner Porzellan huben an, in ihrem wunderfeinen Glockenturm zu läuten. Die jungen Leute wandelten wie im Traum durch die Fülle weihnachtlichen Glanzes und des Staunens war kein Ende. Weihnachtsberge, zierliche verschneite Gehöfte, aus Holz geschnitzt, ganze Dörflein, wie sie ihnen an der Straße begegnet, erschienen aus Papier gefaltet in winterlicher Pracht, und lustig bemalte Kegelfiguren machten ihnen muntere Kulleraugen. Schwerlich hätte jemand die „Ahs” und „Ohs” des Entzückens zählen können, die sie ausstoßen. Und sie fragten nach dem Schöpfer dieser kunstvollen Dinge, nach dem Weihnachtsmann, zu dem sie gekommen wären, ihre Aufwartung zu machen. Da wies der bärtige Greis an ihrer Seite, der sie führte aus einem Fenster in die Runde der mondbeglänzten Schneelandschaft, in der die Lichter aus Hütten und Fabriken friedlich schimmerten. „Menschen dieses Gebirges sind der Weihnachtsmann, der dieses hier in Stunden der Muße, am „Feierabend”, schuf.” Die jungen Leute standen still und lauschten auf die Stimme des Alten, der erzählte von den „Heimlichen” unter den Gebirglern, die die Hölzer des Waldes in ihre Stuben tragen und aus ihnen im Schöpferdrang friedlicher Abendstunden, sich selbst zur Freude, mit dem Schnitzmesser diese Bastelideen fertigen. Meister ist ein jeder, woher er auch des Tages kommt: von der Werkbank der Fabriken oder aus dem Stollen des Bergwerks. Diesen Dingen gehört seine heimliche Liebe, die er wiederum unverfälscht in sie hineinträgt. Weil die jungen Leute ja Idealisten waren, verstanden sie den Alten nur zu gut, und es schien ihnen, als habe er mit seinen schlichten Worten an das wahre Wesen der echten Volkskunst gerührt, die hier in diesem deutschen Erdenwinkel eine mächtige Stätte gefunden hat. Und sie dachten bei sich: daß diese Volkskunst eine „heimliche” ist, gehört wohl zu ihrem besten Teil. Sie trotzdem in ihrer schöpferischen Einfachheit zu sehen – zum erstenmal so zu sehen, wie sie die „Feierohmd”-Ausstellung in Schwarzenberg zeigt – ist ein schönes Wunder, das in unseren betriebsamen Alltag hineinklingt wie ein glücklicher Ruf aus schimmerndem Weihnachtsland, und das zu suchen, sich wohl verlohnt.”