Unser Erzgebirge in schwerer Not (3).

Ein Städtebild aus dem dreißigjährigen Kriege.

Von A. Holzhaus – Marienberg.

(Schluß.)

Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 11. Jg. Nr. 10 v. September 1891, S. 91 – 93.

Vom 10. August 1641 meldet sodann der Chronist: „Die Geistlichen in Kirchen und Schulen sind wegen ihrer Besoldung auf’s Rathhaus gekommen, wozu auch die Bürgerschaft erfordert und ihnen vorgehalten worden, welche zur Antwort gaben: Man sollte die Reste einbringen und in Kurfürstlichen Zehenden anhalten, denn weil so viel Reste, könnten sie sich zur Zeit noch nicht verstehen, Anlagen zu machen.” Trotz der Geldnot wurde aber den 18. Mai 1643 auf der Kirche „eine neue Spindel, darauf der Knopf und die Fahn, uffn Kirchthurm gesetzet, in dem Knopf ist ein Schächtlein mit einem Blatt, auf welchem Herrn Jeremias Metzlers Namen gestanden.” Und endlich wird noch berichtet: „den 24. Juni ist auch der neue Taufstein gesetzt worden und sind von ao. 1614 an in dem vorigen 3161 Kinder getauft worden, bis dieser gesetzt wurde. Den 25. Juni wurde er mit einer Predigt von dem Pfarrer geweihet.”

Wahrlich – unter den damaligen traurigen Verhältnissen erhebende Beispiele von Gemeinsinn und Opferfreudigkeit. Geht hin, – – und thuet desgleichen! – –

Mit dem Anfange des Jahres 1635 sollte der 1. Teil des großen Kriegsdramas zum Schluß gelangen, indem durch den am 30. Mai 1635 geschlossenen Prager Frieden zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten von Sachsen ein Freundschafts-, Trutz- und Schutzbündnis zu Stande kam, wodurch unser Land für die Zukunft wenigstens von den Drangsalen, wie sie die kaiserlichen Heere verursacht hatten, befreit werden sollte. Durch gedachten Frieden war aber auch leider Sachsen der erklärte Feind der Schweden geworden, welche darüber in grenzenlose Wut gerieten und, in jeder Hinsicht verwildert und entmenscht, vor Begierde brannten, den vermeinten Treubruch an den sächsischen Unterthanen auf’s Furchtbarste zu rächen. Ihre Habsucht, im Bunde mit blutgieriger Rachsucht, verübte fortan 10 Jahre hindurch Gräuelthaten, gegen deren Schilderung sich das Gefühl sträubt und die unser armes, zerrüttetes Vaterland doch noch erdulden mußte.

Nicht nur die Wohnungen Tausender wurden zerstört, sondern mit ihnen auch das Leben zahlloser Menschen. Noch barmherzig verfuhren diejenigen schwedischen Soldaten, welche den fußfällig flehenden Landmann, das händeringende Weib, das schuldlose Kind einfach niederstießen; das bloße Morden war aber diesen Teufeln in Menschengestalt zu wenig. Bald verbrannten sie die nackten Körper mit angebranntem Stroh, bald schlugen sie hölzerne Pflöcke zwischen die Nägel an Händen und Füßen, bald schnitten sie die Fußsohlen kreuzweise auf und streuten Salz und Gerstenkörner hinein, bald kreuzigten sie die Kinder oder nagelten sie an den Thorwegen mit den Händen und Füßen an – und schossen darnach, wie nach einer Scheibe, bald gossen sie den niedergeworfenen Menschen Düngerjauche in den Hals und knieten auf den Leib, um diesen „Schwedentrunk” wieder herauszutreiben, oder hingen an den Füßen die also Getränkten auf.

Bis zum Jahre 1639 hatte unser Gebirge noch wenig von den Schrecken des Schwedenkrieges gekostet, war aber schon durch Berichte über die im Niederlande verübten Plünderungen und Gräuel in die höchste Angst versetzt worden. So hatte ein schwedischer Oberst Döbitz die Stadt Leisnig mit 30000 rth. gebrandschatzt und als diese Summe nicht bezahlt werden konnte, den Bürgermeister Anton Clauß als Geisel mit nach Torgau genommen und hier den Unschuldigen wie einen Hund an einen Packwagen angeschlossen, sodaß der Arme nach wenig Tagen den Qualen erlag. Den 26. Februar 1639 nahete sich das schwedische Unheil auch der Stadt Marienberg, denn der Chronist teilt Folgendes mit: „Ein schwedischer Cornet kam mit seinen Reutern und begehrte alsobald vor die Schwedischen 2000 rth., so ihnen vor 2 Jahren seien Rest geblieben, davon uns aber nichts wissend. Ist schwer hergegangen und hat der halbe Theil an Geld, Pferden, Speisen, Schuhen, Stiefeln und Tuchen an 500 rth. zusammengelaufen, und 500 rth. alsdann Rest geblieben, haben’s aber doch bezahlen müssen, daher auch Stücke verpfändet worden, so den Stipendiaten und dem Armenkasten zuständig, weil sonst kein ander Mittel gewesen.”

Im Februar 1639 floh Alles, was fliehen konnte, in die Städte Freiberg, Annaberg und Marienberg; die Landgeistlichen schafften ihre Frauen und Kinder wenigstens dahin in Sicherheit, um bei wirklicher Gefahr schneller mit dem Reste der Kirchkinder in die Wälder flüchten zu können. Die Nähe der großen Waldungen ist damals für das Gebirge die Rettung aus tausend Todesgefahren gewesen. Vom Februar ab streiften bereits schwedische Banden überall im Gebirge umher, und wurde damals auch von nur 3 schwedischen Reitern das Schloß Lauterstein angezündet und in Asche gelegt.

Am 12. April, es war Charfreitag, kamen etwa 500 solcher schwedischer Brandstifter, nachdem sie Zöblitz geplündert und angezündet, sowie dessen Bewohner in jeder Weise mißhandelt hatten, auch nach Marienberg. Es heißt hierüber: „dieselbigen kamen vor das Annabergische Thor, wollten dasselbe aufhauen, gaben auch Feuer darauf. Da man sie aber mit Gottes Hilfe durch hinausgeworfene Steine abgetrieben, mußten sie weichen. Sie zündeten aber das Schießhaus an und die Hillig’sche Scheune, da denn die Bürgerschaft in sehr großer Gefahr war.” Am 1. Osterfeiertage kehrten die Erbitterten in noch größerer Anzahl zurück, aber ein gleicher Steinhagel lehrte ihre verwundeten Köpfe, daß die Bürger hier fest, wie ihre Steine wären. Einige Tage darauf wurde erneuter Sturm dadurch glücklich abgewehrt, daß die Bürger anstatt der Steine – Brot hinauswarfen.

Glücklich sollte das sich fast täglich in Angst und Schrecken gesetzte Marienberg am 10. August desselben Jahres wegkommen, als der schwedische Oberst Hocke mit 250 Reitern und 200 Infanteristen Einlaß in die Stadt verlangte. Zagend öffnete man die Thore und drohend ziehen die Schweden ein. Es fehlte Brot und Bier so ganz in der armen Stadt, und diese wilden Gäste verlangten doch soviel und drohten die Stadt auf’s Äußerste zu quälen. Sie verteilen sich bereits in die Häuser, wo Jungfrauen und Kinder sich verkrochen haben und angst- und hungerbleich der Bürger die Räuber empfängt, die unter gräßlichen Verwünschungen Geld, Brot und Bier und was nicht Alles, fordern, da – – ruft plötzlich die Trompete, die Soldaten stürzen auf den Markt vor, dieser füllt sich mit sächsischen Dragonern, ein wütendes Gemetzel beginnt, die Schweden ergeben sich, Einzelne entfliehen, der Oberst mit mehreren Officieren und Frauen wird gefangen genommen, und gegen 6000 rth. Werth erbeutet. Der sächsische Oberst Stritzky hatte der Stadt Rettung gebracht.

Auch das Jahr 1641 brachte noch mancherlei Leiden. „Es war am 1. Januar – schreibt Donat, – als man in der Kirche war. Da kamen unter der Predigt einige Reuter, brachten die Post, daß der Oberst Lang mit einem Regiment Dragonern allhier Quartier haben sollte. Da denn ein groß‘ Schrecken entstunde, und folgte bald zu Mittag der helle Haufen, kostete die Stadt viel, lag da bis den 19 dito, da er gegen Abend aufbrach und ließ derselbe die Stadtmauern, wo sie niedrig, verpallisadiren, die Thore auch all versperren, bis auf das Freibergische Thor und ließ starke Wache halten.”

Um durch die Schilderung der weiteren Drangsale nicht zu ermüden, soll hier von den Ängsten und Nöten abgesehen werden, wie sie auch noch in den folgenden Jahren unser Gebirge und insbesondere die Stadt Marienberg trafen. Nur bemerkt soll sein, daß bis zum Jahre 1646 all‘ die geschilderten Leiden sich mehr oder weniger wiederholten, daß sich noch zu verschiedenen Malen die Wälder mit Geflüchteten füllten und daß die Zahl der Gequälten nur deshalb abnahm, weil Hunger und Pest die Qualen beendet hatten. Zum Jahre 1644 bemerkt der Chronist unter anderm: „Es kommen neue Völker zu Marienberg an, als des Pfalzgrafen und Dörffel’schen Regiment und 1 Escadron Rolischen, wurde auf 5000 Pferde geschätzet, und war großer Jammer und Noth in der Stadt wegen der großen Einquartierung, maßen auch in den wüsten Häusern Volk liegen müssen und sind da gelegen bis den 14. Januar 1645 und ist elendiglich zugegangen. Die Häuser wurden zu Wachfeuern eingerissen und die Soldatenkrankheit nahm manchen mit, welches noch ärger ward, da es waren wurde. Bei währender Einquartierung war kein Brot, Bier, Salz, noch Holz zu bekommen.

Selbst noch nach dem 1645 zwischen Schweden und Sachsen geschlossenen Waffenstillstande hatte gerade unser Gebirge, besonders in den Grenzorten, durch feindliche Einfälle viel zu leiden, und wurden namentlich in Seiffen, Sayda, Dittersbach, Neuhausen, Ansprung, Grünthal und Schloß Purschenstein mancherlei Gräuel verübt.

Wie es am Ende des Krieges in Sachsen und fast in jedem Orte desselben aussah, schildert ein Zeitgenosse jenes Elends in folgender ergreifender Weise: „Ihr wisset, wie über Euch fliegende Drachen, zerreißende Bären und Löwen gekommen sind, die Eure Städte ausgebrannt, Eure Ernten, Ochsen und Schafe vor Euren Augen verzehrt, viel Tausend Bürger und Bauern zu Tode gemartert und so barbarisch gehaust haben, daß aller Menschen Sinne es nicht begreifen können. Wie jämmerlich stehen Eure Städte und Flecken; da liegen sie verbrannt, zerstört, daß weder Dach, Gesperr, Thüren oder Fenster zu sehen sind. Man wandert oft 10 Meilen und sieht nicht einen Menschen, nicht ein Vieh, nicht einen Sperling. In allen Dörfern sind die Häuser voller Leichname, Mann, Weib, Kinder, Gesinde, Pferde, Schweine, Kühe und Ochsen, neben und unter einander von Pest und Hunger erwürgt, voller Maden und Würmer, und von Wölfen, Hunden und Krähen zerfressen, weil Niemand ist, der sie begraben hat. Ihr wisset, wie Lebendige sich unter einander in Kellern und Winkeln zerrissen, todtgeschlagen und gegessen haben; daß Eltern ihre todten Kinder und Kinder ihre todten Eltern gegessen, daß Viele um einen todten Hund oder Katze gebettelt und das Aas aus den Schindergruben genommen und verzehret haben.” Unser Sachsen allein verlor in dem unheilvollen Kriege 1 Million Bewohner. In einem sächsischen Dorfe waren nur noch der Pfarrer und eine Frau am Leben, und als auch jener an der Pest starb, grub ihm diese das Grab. Zucht und Ordnung waren vom deutschen Boden gewichen. Kinder zogen elternlos umher und schrien um Brot, dabei verwilderten sie immer mehr und lebten von Betteln und Stehlen.

Doch genug mit Schilderungen des Jammers! Endlich machte der in Münster und Osnabrück geschlossene Friede dem Elende ein Ende. Wie tief erschütternd mag es gewesen sein, als an der in Marienberg gehaltenen Friedensfeier von hohem Kirchturme herab über die unglückliche, halb verwüstete Stadt und die verödeten Gefilde der Umgegend die Töne des von den Musikern geblasenen Chorals dahin klangen:

„Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr‘
Und Dank für seine Gnade,
Darum, daß nun und nimmermehr
Uns rühren kann kein Schade.
Ein Wohlgefall’n Gott an uns hat,
Nun ist groß‘ Fried‘ ohn‘ Unterlaß,
All‘ Fehd‘ hat nun ein Ende!” – –