Die Wehrkirchen im Erzgebirge.

Von G. Herrmann, Dresden.

Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 53. Jg. März 1933, S. 51 – 52.

Die Wehrkirchen gruppieren sich um die Städte Sayda und Marienberg und sind entstanden im 14. und zu Anfang des 15. Jahrhunderts, da der Hussite Sachsen und das Erzgebirge verwüstete und große politische Unsicherheit herrschte. Ihr Zweck war, eine Wehr zu sein, ein Stützpunkt im Kampfe gegen die Feinde und ein Zufluchtsort für die Einwohnerschaft in unruhigen, kriegerischen Zeiten.

Kirche innen
Blick in die Wehrkirche zu Lauterbach Aufnahme Eger-Zschopau

Deshalb ist bei allen Wehrkirchen bezeichnend: der vollständige Geschoßaufbau aus Blockwerk oder verschaltem Fachwerk mit richtig entwickeltem, durch Kopfbänder und Streben geschütztem Wehrgang, um von hier oben aus die Angriffe auf den massiven Unterbau mit Spießen und Steinwürfen abzuwehren. In den Wehrgang sind Ausluglöcher und Schießscharten eingeschnitten, und im Fußboden befinden sich durch Falltüren verdeckte Löcher, die als Ausgußlöcher für siedendes Pech benutzt werden konnten. Die ganze Kirche ist mit einer Ringmauer umgeben, die höher und fester als die gewöhnliche Einfriedung ist. Oft hat man auch den Kirchhof oder eine in der Nähe der Kirche liegende Höhe in die Wehranlage mit einbezogen.

Bis in unsere Zeit hinein sind im Erzgebirge 4 Wehrkirchen erhalten geblieben, nämlich 2 um Sayda herum, in Dörnthal und Mittelsaida, und 2 im Marienberger Umkreis, in Lauterbach und Großrückerswalde. Die 5. in Mauersberg hat man vor nicht zu langer Zeit abgebrochen. Früher gab es jedenfalls noch mehr solche Kirchen.

Die besterhaltene Wehrkirche ist die in Großrückerswalde, 1 Stunde von Marienberg. Hier ist die ursprüngliche Bauweise trotz mancher Veränderung am besten erhalten. Die Ausluglöcher, die Schießscharten, die vollständigen Wehrgänge sind heute noch unverändert zu sehen, und zwar nicht mit Schiefer umkleidet wie bei andern Wehrkirchen, sondern in ursprünglicher Weise in Holz, und die starken Balken werden noch manche Jahrhunderte überdauern. Die Kirche von Großrückerswalde iist auch die einzige Kirche im Erzgebirge, die noch mit Schindeln gedeckt ist. Sie ist einschiffig, hat Holzdecke und, wie alle andern Wehrkirchen, keinen Turm, sondern nur einen die Glocken beherbergenden Dachreiter. Auf einem der Gebälkehölzer befindet sich die Zahl 1470, wahrscheinlich das Jahr der Erbauung. Zwei interessante Gemälde sind im Innern an einer Emporenwand aus dem Jahre 1583 zu sehen und stellen das entsetzliche Auftreten „der Pestilenz” zu Großrückerswalde dar. Diese Gemälde sind für den Ort wichtig, da sie ihn nebst der Kirche auf das genauste wiedergeben.

Auf dem einen ist das Eindringen der Pest durch eine große Reihe von Racheengeln mit schwarzen Flügeln, Fackeln, Schwertern und Lanzen dargestellt. Sie umringen die Häuser und betreten dieselben, während weißgekleidete Engel den Opfern die Stirn bestreichen und ihnen das Abendmahl reichen. Das 2. Gemälde stellt das Bestatten der Opfer dar. Alles ist ungemein lebendig, großartig, zum Teil feierlich gedacht und vortrefflich gezeichnet.

Die 2. Wehrkirche liegt in Lauterbach. Sie dient nicht mehr gottesdienstlichen Zwecken. Die Gemeinde wollte 1907 eine schöne, große, moderne Kirche haben, so mußte das alte, im 15. Jahrhundert erbaute Kirchlein verschwinden. Dem Sächsischen Heimatschutz gelang es damals durch Aufbringung von 16.000 Mk., das Kirchlein zu erhalten, es wurde abgebrochen und neben dem Friedhof als Begräbniskapelle wieder aufgebaut. Und heute ist die Gemeinde froh, daß sie das Kirchlein noch hat. Der um die Kirche führende Wehrgang ist vollständig in Holz erhalten, nur hat man das alte Schindeldach durch Schiefer ersetzt.

Die beiden andern Wehrkirchen liegen bei der Stadt Sayda. Es sind dies Dörnthal und Mittelsaida. Bei letzterer ist die ursprüngliche Bauweise am wenigsten erhalten. Der Wehrgang ist nur noch an einer Seite vorhanden, die andere Seite ist bei einem Erweiterungsbau abgebrochen worden. Dabei hat man den stehengebliebenen Teil mit Schiefer verkleidet, so daß er viel von seiner Ursprünglichkeit verloren hat. Trotz allem bietet das Kirchlein einen schönen Anblick und ist auch so ein wertvolles Denkmal aus alter, schwerer Zeit.

Dasselbe ist auch von Dörnthal zu sagen. Wie eine Festung liegt das Kirchlein da. In schön geschwungenem Bogen zieht sich die hohe Befestigungsmauer hinauf, rings um das Kirchlein herum, es schützend und schirmend. Und die Kirche ist selbst Schutz und Wehr gewesen; der 2,30 m hohe und 60 cm überkragende hölzerne Wehrgang gibt Zeugnis davon. Besonders eindrucksvoll ist der Aufstieg zu dem Kirchlein. Durch einen von mächtigen Bäumen beschatteten Toreingang steigt man die Steintreppe hinauf und tritt durch einen kleinen Vorbau, an dem noch die Sonnenuhr geht, hinein in das Innere. Hier fühlt man sich geborgen, hier ist Einfachheit, Schönheit der Form, hier ruht stiller Frieden, der den Menschen andächtig stimmt.

Möchten die 4 Wehrkirchen im Erzgebirge noch recht lange in ihrem jetzigen Zustande erhalten bleiben, möchten sie uns aus alter, schwerer Zeit wertvolle Denkmäler sein, die wir unsern Nachkommen unverändert zu übergeben haben, damit auch sie weiterdenken und achten, was die Väter Großes schufen.