Eine dreitägige Wanderung ins böhmische Mittelgebirge (2)

Geschildert von Hermann Löscher (Zwönitz).

(Schluß.)

Wir wanderten nach Süden zu durch Chodolitz und links im Beginne des Dorfes Klappai über den Hasenburger Hof nach der Ruine Hasenburg. Bei unserer ganzen Wanderung hatten wir den mächtigen, aus der Ebene steil aufsteigenden Basaltkegel (417 m) schon vor uns gesehen. Die alte Burg hat sich in einer Länge von 221 m auf dem ganzen Kamme ausgedehnt. Jetzt trifft man zuerst auf unbedeutende Burgthorreste und oben auf die noch gut erhaltenen beiden riesigen Türme. Der erste Turm gleich am Eingang ist rund, von Basalt gebaut, 25 m hoch und der schwarze Turm genannt, der andere auf der Kuppe erbaute Turm ist von Sandstein, 30 m hoch und heißt der weiße Turm. Der Überlieferung nach sollen die Brüder Kostialow 754 hier eine hölzerne Burg Klapay erbaut haben, die aber sehr bald bei einem Einfall der Meißner zerstört worden sei. Dann baute 874 ein Wladike Lew eine steinerne Burg; dies Raubritternest zerstörte ein Herzog von Prag. Wiederaufgebaut kam sie an verschiedene Besitzer, bis endlich 1336 die Hasenburger, dasGeschlecht, das oft mit gewaltiger Hand in die Geschichte Böhmens eingriff, sie erwarben. 1431 zerstörten sie die Hussiten, 1558 kam sie an das Haus von Lobkowitz. Nach neuesten Forschungen ist sie wahrscheinlich 1241 von Saul, dem Sohne Heinrichs von Zittau angelegt worden. Im Jahre 1888 hat man die Türme ausgebessert, um dem Zahne der Zeit, der sich selbst an diese riesigen, erzharten Basaltmauern macht, zu wehren. Bei unserem Nahen flogen aus dem schwarzen Turme Hunderte von kreischenden Dohlen auf, die den Berggipfel unaufhörlich umkreisten.

Wir hatten eine herrliche Abendaussicht. Da lag es vor uns das ganze vielgestaltige Mittelgebirge mit dem Elb- und Egerthale und noch einmal grüßten wir scheidend die Höhen, die wir in der Tageswanderung bestiegen. Beim Auf- und Abstieg bewunderten wir die herrlichen Basaltgebilde, die hier besonders an der Westseite in mächtigen Säulen zu Tage treten. In frischer Abendkühle zogen wir die Straße nach Trebnitz zurück, deutsche Lieder singend, die auch hier im Czechischen recht gut klangen. Nach 9 Uhr langten wir wieder im Deutschen Hause an, wo Dr. Titta uns bewillkommnete. Wir nahmen unser Abendbrot in dem mit Kastanien bewachsenen Garten ein, wo wir eine große Zahl Deutscher aus der Stadt und Umgegend antrafen, die teils Kegel spielten, teils in der schönen Turnhalle die Körperkraft stählten. Als es kühler wurde, schloß sich die Tafelrunde im Zimmer, und hier verlebten wir etliche schöne Stunden. Besonders interessant war es uns, daß Dr. Titta uns in zuvorkommendster Weise über die deutschen Verhältnisse aufklärte. Dazwischen erklangen deutsche Lieder und ein köstliches, leichtes, böhmisches Bier netzte den Gaumen. Es war 1 Uhr geworden, als wir uns endlich mit dankbarem Handschlag trennten, um unsere Ruhestatt aufzusuchen.

Sonnig und schön brach der dritte Tag an. Um 7 Uhr sagten wir dem lieblichen Trebnitz ade. Nur ungern verließen wir das „Dornröschen des böhmischen Mittelgebirges”, wie A. Ohorn1) das Modelthal nennt. Kostial und Hasenburg gaben uns lang das Geleite, und immer wieder schauten wir rückwärts in das herrliche Landschaftsbild. Unser Weg führte uns an riesigen Feldern vorbei durch Sullowitz in 1½ Stunde nach Lobositz. Eine vor der Stadt angebrachte Tafel macht auf die hier am 1. Oktober 1756 gelieferte Schlacht aufmerksam, in der Friedrich der Große von Sachsen kommend die Oesterreicher besiegte, wobei besonders das Dorf Sullowitz schwer zu leiden hatte.

1) Wir weisen an dieser Stelle besonders auf den Absatz „Im böhmischen Paradiese” hin, den der genannte Verfasser in der vorzüglich geleiteten Zeitschrift „Aus deutschen Bergen” 1895, No. 4 – 6 veröffentlicht hat.

Die Stadt Lobositz (4.300 Einw.) macht einen sehr freundlichen und geschäftigen Eindruck. Es mangelte uns an Zeit, die Sehenswürdigkeiten näher in Augenschein zu nehmen, darum begaben wir uns, nachdem wir einen Blick in die Wenzelskirche gethan, an den Strand der Elbe herunter, wo wir in der Restauration „zur Ueberfuhr” des Fürsten Schwarzenberg, mit ursprünglich hübschen Gartenanlagen und Aussichtspunkten, jetzt aber verwildert, eine kurze Rast machten. Kurz vor 9 Uhr kam das Schiff von Leitmeritz. Wir bestiegen es zu einer, wenn auch nicht langen, so doch überaus wechselreichen und interessante Thalfahrt. Die Elbe macht bis Aussig viele Wendungen, sie zwängt sich ordentlich durch die rechts und links bis ans Ufer herantretenden Felsen hindurch. Die Höhen links sind die östlichen Ausläufer des Mittelgebirges, die zur Rechten gehören dem Elbgebirge an. Es würde zu weit führen, wollten wir alle Ortschaften und Basalt- und Klingsteinberge, die man auf der Fahrt berührt, namhaft machen. Nur auf etliches sei hingewiesen. Einen besonders schönen Anblick gewährt die Elbe bei Salesel. Rings von Felsen eingeschlossen, das Strombett erweiternd, liegt sie vor uns wie ein Alpensee, im Hintergrunde steigen Aarhorst und Matrai auf. Vor dem Matrai mündet nahe bei Wannow die Rittinaschlucht, hinter dem Lerchenberge die Prutschelschlucht. Diese bewaldeten, wilden Thäler thun dem Auge wohl, denn einen solchen Anblick hat man im Mittelgebirge entbehren müssen. Nicht lange mehr dauert es, und die Ruine Schreckenstein taucht am rechten Ufer auf. Vor meinem geistigen Auge stand das köstliche Bild Ludwig Richters, das die Dresdner Bildergalerie birgt. Ein anderer Reisegefährte hob die Ähnlichkeit mit dem Rheinthale zwischen Mainz und Coblenz hervor. Wir alle aber konnten uns nicht satt sehen an dieser schönstgelegenen und am vollständigsten erhaltenen Burgruine Böhmens, nur bedauernd, daß uns die Zeit fehlte, diese von Dichtern besungenen und von Malern verherrlichten Zeugen vergangener Tage zu besuchen. Ehe wir es gemerkt, waren wir in Aussig. Welch ein Treiben hier auf der Elbe! Hunderte von Zillen und Kähnen lagen da, um mit Braunkohlen beladen in die niederelbischen Gelände heimzukehren.

In Aussig hatten wir eine Stunde Zeit und begaben uns in die Stadt. Welch‘ ein Leben herrschte da! Die vor 50 Jahren noch unansehnliche Stadt hat sich zu einer der bedeutendsten Industriestädte Österreichs entwickelt. Ihr Verkehr übertrifft sogar den von Triest weit. Die Stadt macht einen sehr wohlhabenden und großstädtischen Eindruck, der der deutschen Stadtverwaltung zur hohen Ehre gereicht. Aussig ist zugleich für diesen Teil Nordböhmens der Mittelpunkt in nationaler und touristischer Hinsicht. Wir benutzten den kurzen Aufenthalt zu einem Gang durch die Stadt und zur Besichtigung der Stadtkirche, die einen unvergleichlichen Kunstschatz birgt. Es ist das Madonnenbild von Carlo Dolce († 1686) auf Kupfer gemalt. Als vor einer Reihe von Jahren ein Brand in der Kirche entstand, rutschten die Leute auf dem Bauch durch Glut und Rauch, um das Kleinod zu retten. Seitdem ist das kleine Bild in einem feuerfesten in die Mauer des Presbyteriums eingelassenen Schrank geborgen. Der Kirchner öffnet die Eisenthüre gern zur Besichtigung. Uns allen wird der Eindruck dieses Kunstwerkes unvergeßlich bleiben. Mit welcher Feinheit, mit welcher liebenden Hingebung bis ins Kleinste malten diese italienischen Meister! Welche Naturwahrheit erzielen sie dadurch, geeint mit der ungetrübtesten Schönheit! Wie schmierig kommen Einem dagegen die Werke unsers Realismus vor, bei denen die Farbenkleckse und Farbenberge ein Studium verlangen, bis man ein häßliches Menschengesicht darunter heraus findet. In welch geweihte reine Stimmung hatte uns das kleine Bild versetzt!

Doch es hieß die Schritte beflügeln. Denn um 11 Uhr 18 Minuten ging der Zug nach Komotau ab, wo wir ½2 Uhr anlangten. Die Fahrt über Türmitz, Teplitz, Dux, Brüx ist sehr interessant. Für uns war sie es doppelt, weil wir die Berge, die wir erstiegen, oder die wir auf unserer Wanderung von Süden aus gesehen, nun von Norden her schauten. In Komotau war kurzer Aufenthalt, und so begann der Zug ¾2 die Höhen des Erzgebirges, dessen Kamm wir vorher entlang gefahren, hinaufzuklettern. In Kupferberg stiegen wir aus, um nach Weipert zu Fuße zu wandern. Wir bestiegen den bekannten Kupferhübel, der vom Bahnhof aus leicht zu erreichen ist, ohne erst das Städtchen zu berühren. Es war schade, daß die Aussicht nicht so klar war als wir es uns gewünscht, um noch einmal die Punkte unserer Rundwanderung von der Höhe unseres Heimatgebirges aus grüßen zu können. Nach kurzer Erfrischung stiegen wir herab, um nach Schmiedeberg zu gehen. Da Wegweiser und Wegzeichnung so gut wie ganz fehlen, so achte man darauf, die Stadt Kupferberg links liegen zu lassen, um nicht den großen Umweg über Oberhals zu machen. Man hält sich rechts, überschreitet die Bahn und geht dann einen herrlichen Waldweg, der fast bis Schmiedeberg führt. Hier warfen wir einen kurzen Blick in die hübsche Kirche und gingen hinter derselben das Dorf schneidend den geraden Weg nach Weipert, der wiederum meist durch Wald führt. Diese Waldwege mit ihrem Schatten und köstlichen Harzduft, mit den lauschigen Bächen und ihren Thälern erfreuten uns doppelt, weil wir sie in Böhmen vermißt hatten. Rechtzeitig trafen wir in Weipert ein. Da der Weg uns an der früher genannten Weinstube wiederum vorüber führte, kehrten wir zu kurzer Rast ein und nahmen uns jeder eine Flasche Ruster mit auf den Weg. Es war uns ausdrücklich gesagt worden, daß geöffnete und angetrunkene Flaschen zollfrei seien. Als wir aber durch die deutsche Zollstätte hindurch gingen und aus unsern Weinvorräten durchaus kein Hehl machten, mußten wir einen Teil davon verzollen. Es war immer noch gut, daß die langen Gesichter, die wir machten, zollfrei waren, denn das wäre sonst eine schöne Rechnung geworden! Aber gerade dieser Abschluß in Böhmen, der mit unserer Rechnung nicht stimmte, machte uns hinterher viel Spaß. Er sei hierher gesetzt zur Warnung: exempla docent.

Und nun trug uns das Dampfroß eiligst der Heimat zu. In Annaberg harrte bereits der Zug nach Schönfeld, daselbst der nach Geyer, wo wir ½11 Uhr ankamen. Auf dem Markte stand unser Omnibus, der uns in köstlicher Mondnacht heimbrachte durch den Geyerschen Wald.

Ohne jeden Mißklang, begünstigt von schönem Wetter war unser Ausflug planmäßig verlaufen. So oft zwei von der kleinen Gesellschaft zusammen treffen, versenken sie sich in Reiseerinnerungen. — Warum ich das alles so ausführlich geschildert habe? Weil ich die stille Hoffnung hege, daß meine Zeilen anderen zum Führer dienen mögen. Uns hatte ein liebliches Bild von Trebnitz in einer Beschreibung des Modelthales zur Reise veranlaßt. Vielleicht helfen diese schlichten Worte dazu eine rege Verbindung zwischen dem Erzgebirge und dem Mittelgebirge zu Stande zu bringen. Diese beiden Stücke Erde ergänzen sich wunderbar. Darum auf, liebe Landsleute, ins Mittelgebirge; von allen Teilen unseres Erzgebirges ist es zu erreichen. Ein großes Stück begleitet uns unser Führer, der „Berlet”, weiterhin leitet uns der „Hantschel”. Glück auf zur Reise! Und das eine wollen wir nicht vergessen! Jeder Besuch, der dem bedrängten deutschen Boden an der Sprachgrenze abgestattet wird, ist eine Stärkung des Volksbewußtseins der dortigen Stammesbrüder, eine Unterstützung ihrer guten Sache im Kampfe gegen czechischen Übermut. Denn wir wollen nicht bloß mit singen, sondern auch den Sang in Thaten umsetzen, wenn des Dichters Stimme ruft:

„Stehet fest, ihr Brüder draußen,
Ob auch alles wankt und bricht,
Ob auch wild die Stürme brausen,
Deutsche Treue läßt Euch nicht.

Trennt uns auch die weite Ferne,
Knüpft uns doch ein einig Band,
Und es leuchten Gottes Sterne
Auch in Eurem schönen Land!”

(W. Börker.)

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 15. Jg. Nr. 9, v. September 1895, S. 117 – 120.