Zur Geschichte des Schlosses und der Stadt Hartenstein.

Von E. Geißler.

Der deutsche Kaiser Rudolf von Habsburg stellte am 20. März 1280 eine Urkunde aus, in welcher er einen Burggrafen von Meißen mit dem Wildbanne in der Grafschaft Hartenstein belehnte. Es gab also um diese Zeit eine Grafschaft oder, was dasselbe ist, eine Herrschaft Hartenstein, welche unter dem Kaiser stand, also ein Reichslehen war. Später, angeblich seit 1323, nannten sich die Burggrafen von Meißen stets auch Grafen von Hartenstein; sie waren vom Kaiser mit der Grafschaft belehnt worden. Woher hatte aber diese Grafschaft ihren Namen? Wir antworten darauf: vom Schlosse Hartenstein. Eine Urkunde aus dem Jahre 1297 ist von einem der Burggrafen auf dem Hartenstein unterzeichnet; es steht aber fest, daß schon vorher Meißner Burggrafen auf dem Schlosse gewohnt haben. Von einer Stadt Hartenstein kann damals noch gar nicht die Rede sein; noch in Dokumenten aus viel späterer Zeit ist immer nur das Schloß Hartenstein erwähnt; auch wissen wir, daß die Burggrafen, die auf dem Hartenstein wohnten, in dem 1½ Stunden entfernten Lößnitz begraben wurden.

Im Jahre 1406 verkaufte der letzte dieser Burggrafen, — er fiel 20 Jahre später bei Aussig im Kampfe gegen die Hussiten, — die Grafschaft Hartenstein an das Haus Schönburg. Der über diesen Kauf angefertigte Kaufbrief ist uns erhalten geblieben. Wir erfahren daraus, daß der Kaufpreis der Grafschaft 8000 Gülden betrug, „gute, alte Rheinische Gülden, gut an Golde, schwer genug am Gewichte, die zu den Gezeiten gäng und gebe sind”. Weiter erfahren wir, welche Ortschaften zu der Herrschaft gehört haben. Können wir auch nach den Angaben die genauen Grenzen des Besitztumes nicht feststellen, so bekommen wir doch ungefähr einen Begriff von dem Umfange der Grafschaft. Neben Orten wie Lößnitz, Stein, Thierfeld, Beutha, Mülsen werden auch Ortschaften wie Elterlein, Crottendorf, Schlettau, Mittweida, Wiesenthal als zur Grafschaft gehörig genannt. Gegen Ende der Urkunde heißt es, daß Heinrich die Grafschaft nach 8 Jahren zurückkaufen will. Heinrich war aber nach 8 Jahren nicht in der Lage, sein auf Wiederkauf verkauftes Besitztum wieder einlösen zu können, und die Grafschaft Hartenstein verblieb nach mancherlei Streitigkeiten und Auseinandersetzungen, die wir hier nicht weiter ausführen wollen, dem Hause Schönburg. Die Herren von Schönburg besaßen damals schon Lichtenstein und Glauchau, ferner Crimmitschau, Stadt und Kloster Geringswalde, hatten in Böhmen Besitzungen; sie wurden durch ihre neue Erwerbung eines der mächtigsten Adelsgeschlechter unseres Vaterlandes. Im Jahre 1559 aber mußten sie an den damaligen Kurfürsten von Sachsen, dem klugen Staatswirte Vater August, auf dessen Verlangen hin den östlichen Teil der Grafschaft, die sogenannte obere Grafschaft Hartenstein, verkaufen. Fast ¾ der Herrschaft, Orte wie Elterlein, Scheibenberg, Geyer, Neu-Wiesenthal, Crottendorf, Pöhla, Mittweida etc. nebst den zugehörigen Waldungen, Hammerwerken, Kalkbrüchen und Bächen gingen an Sachsen verloren. 1702, als sich die 4 Söhne des Grafen Otto Ludwig, — derselbe war 2 Jahre vorher in den Reichsgrafenstand erhoben worden, — in das Erbe ihres Vaters teilten, fand dadurch, daß bei dieser Erbverteilung die Herrschaft Stein gegründet wurde, wiederum eine Gebietsabtretung statt. Im Jahre 1786 endlich geschah es, daß der Herr von Hartenstein ohne Kinder starb, und die niedere Grafschaft Hartenstein ging an den Herrn von Waldenburg über. In der Person des Grafen Otto Karl Friedrich, der auch die Herrschaft Stein geerbt hatte, wurde die Linie Schönburg-Waldenburg 1790 in den Reichsfürstenstand erhoben. Otto Karl Friedrich brachte einen großen Teil des Schönburgischen Besitzes wieder zusammen, aber schon durch seine Söhne bildeten sich 3 neue Linien. Die Linie Schönburg-Hartenstein stiftete Fürst Alfred. Dieser, der als k. k. österreichischer Gesandter meistens von Hartenstein abwesend war, starb 1840 in Wien und hinterließ, da er unverheirathet geblieben war, keine Leibeserben; sein Besitztum wurde zunächst von seinen Brüdern gemeinsam verwaltet; 1844 aber wurde Fürst Eduard, der bisher den böhmischen Ast gebildet hatte und der zum Katholizismus übertrat, als Chef der Linie Schönburg-Hartenstein von Sachsen und Österreich anerkannt. Auf ihn folgte 1872 sein Sohn aus 2. Ehe, Fürst Alexander, der heute noch der Linie vorsteht.

Die Herren von Schönburg hätten sich sehr gerne von der sächsischen Oberherrschaft, unter die sie mit der Zeit gekommen waren, befreit, gab es doch eine Zeit, wo sie es offen versuchten, indem sie ihre wichtigsten Besitzungen als böhmische Reichsafterlehen erklärten und sich unter den Schutz Österreichs stellten. Aber die sächsische Regierung hat es verstanden, ihre Rechte den Herren von Schönburg gegenüber zu behaupten und zuletzt den jetzigen Zustand herbeizuführen, wonach alle Orte der Schönburgischen Rezeßherrschaften unmittelbar unter der sächsischen Staatsgewalt stehen. Da die Gerichtsbarkeit dem Hause Schönburg verschiedene Einkünfte brachte, so wurde ihnen vom Lande eine einmalige Entschädigung von 1½ Millionen Mark dafür gewährt. Die Umwandlung der fürstlich Schönburgischen Gerichtsämter in Königlich Sächsische geschah im Jahre 1878.

Wenden wir uns nun nach diesen notwendigen Auseinandersetzungen zum Schloß Hartenstein. Es läßt sich schwer angeben, wann es erbaut worden ist und woher sein Name rührt. Es lassen sich mit Leichtigkeit verschiedene Erklärungen des Wortes finden; am wahrscheinlichsten scheint uns die Erklärung zu sein, wonach Hartenstein soviel wie „Waldstein” bedeutet. Das althochdeutsche Wort „Hart” kommt noch heute in der Bedeutung von Wald häufig vor. Wie wir jetzt noch erraten können, war das Schloß, welches als Festung angesehen wurde und auch Schloßhauptleute gehabt hat, rings von Mauer und Graben umgeben und von größerem Umfange als jetzt. Der zwingerartige Vorthorbau war vor allem stark befestigt und wurde öfters erneuert. Das 2. Thor, welches zu den eigentlichen Burggebäuden führte, konnte durch ein Fallgitter verschlossen werden. Im Jahre 1572 wurde das Schloß unter Hugo II. zum großen Teile umgebaut. Dieser Hugo II., dessen Namen wir noch öfters erwähnen müssen, war ein sehr frommer Herr, vor allem war er ein begeisterter Anhänger Dr. Martin Luthers und seiner Lehre. Zu Hugos Lebzeiten vermehrten sich in Sachsen die Anhänger des Schweizer Reformators Calvin außerordentlich. Als sich nun die Calvinistischen Lehren auch in die Grafschaft Hartenstein einschlichen, äußerte Hugo seinem Hofprediger Zechendorf gegenüber: „Sehet da”, mit diesen Worten zog Hugo seinen Petschaftring vom Finger, „wir Herren von Schönburg führen in unserem Wappen weiß und rot. Weiß erinnert mich an das reine Wort Gottes; rot aber an das Blut Christi. Ehe ich nun schädliche, vergiftete Lehre annehmen wollte, eher wollte ich mich von diesem hohen Hause herunter stürzen lassen.” — Diese Frömmigkeit Hugos, wie auch die Rücksicht auf seine kranke Gemahlin trieb ihn dazu, eine alte Rüstkammer in eine Kapelle umzuwandeln und sie für den evangelischen Gottesdienst einrichten zu lassen. Diese Kapelle wurde ungefähr 100 Jahre später unter Otto Ludwig weiter ausgebaut und nach dessen Gemahlin Sophienkapelle getauft. Hofprediger war der jedesmalige Pastor von Hartenstein, der zugleich Pfarrer in Thierfeld war und auch in Thierfeld wohnte; außerdem konnte auf Verlangen der 2. Geistliche an der Stadtkirche, der Diakonus, zur Abhaltung der gottesdienstlichen Handlungen herangezogen werden. — In der Kapelle werden jetzt katholische Gottesdienste abgehalten.

Aus dem Jahre 1605 wird berichtet, daß auf dem Schlosse ein Fischhaus unter der Kapelle, eine steinerne Brücke, ein Pferdestallgewölbe erbaut wurden und daß die Pferdeschwemme bei dem Fischhause errichtet wurde. Größere bauliche Veränderungen wurden erst in unserem Jahrhundert unter dem baulustigen Fürsten Alfred an dem Schlosse vorgenommen. Er ließ einige alte Gebäude abbrechen, — Überreste davon stehen heute noch; — einige von Grund aus umbauen. Auf jeden Fall war Fürst Alfred, als er starb, mit dem Umbaue des Schlosses noch nicht fertig. Nach seinem Tode wurde wegen Baufälligkeit der Säulengang, der von dem äußeren nach dem inneren Schloßhofe führte, niedergerissen; auch erhielt der Turm seine jetzige Gestalt. Durch die Bauten aus den verschiedenen Zeiten hat das Schloß den einheitlichen Charakter verloren. Trotzdem ist der Gesamteindruck, den das Bauwerk macht, kein ungünstiger, und das Schloß auf waldumrauschter Anhöhe verleiht dem Bilde der Stadt Hartenstein einen stimmungsvollen Hintergrund.

Das Innere des Schlosses birgt noch mancherlei von Bedeutung. Ein silberner, vergoldeter Kelch aus dem Ende des 15ten Jahrhunderts und ein 23 cm hohes, mit massivem Gold gefaßtes Krystallgefäß aus dem 16. Jahrhundert werden beide sehr gerühmt. Der Ahnensaal im nördlichen Schloßflügel enthält einen sehr reich verzierten Ofen aus dem Jahre 1551. Unter den Gemälden bemerkenswert, freilich künstlerisch ohne jegliche Bedeutung, ist eine Ansicht des Schlosses und der Stadt Hartenstein nebst Burg Stein aus dem 17. Jahrhundert; unter den Porträts entdecken wir die Bildnisse berühmter Männer, Joseph II., General Laudon, Marschall Moritz von Sachsen u. a. Ein treffliches Kunstwerk ist die Marmorbüste des Fürsten Alfred von Thorwaldsen. Früher befand sich im Schlosse eine äußerst prachtvoll ausgestattete, auf Pergament gedruckte Bibel, die noch bei Hans Lufft in Wittenberg gedruckt war.

Geschichtlich bekannt ist das Hartensteiner Schloß dadurch geworden, daß 1455 die beiden Prinzenräuber, die Ritter von Mosen und von Schönfels, den in ihrer Verwahrung befindlichen Prinzen Ernst auf dem Schlosse ablieferten, und daß der Prinz die erste Nacht nach seiner Befreiung hier zugebracht hat. Derartig hohe Gäste hat aber das Schloß noch öfters gesehen. 1666 weilte der Landgraf von Hessen daselbst, und der sächsische Kurfürst Johann Georg II. war hier zweimal bei seinem guten Freunde Otto Albrecht zu Besuch; das erste Mal 1672 mit großem Gefolge, mit 147 Personen und 143 Pferden.

Im Schlosse war ehemals auch das Gerichtsamt. Dieses Gerichtsamt war zunächst eine Art Kreisgericht; alle Orte der Grafschaft Hartenstein standen unter ihm. So finden wir, daß im Jahre 1532 zwei entflohene Mörder, Hans Wendler, der einen Bürger in Wiesenthal, und Balthasar Teubner, welcher einen Mann in Crottendorf getötet, zu Hartenstein in die Acht erklärt wurden. 1556 verglichen sich die Städte Scheibenberg und Elterlein mit den Dörfern Crottendorf, Mitweida, Neudorf, Scheibe und Pöhla vor dem Amte Hartenstein wegen des Brauens der Handwerker und des Salzschankes. Mit der Verkleinerung der Grafschaft verengte sich auch das Gebiet, welches das Gerichtsamt umfaßte. — Als besonders bemerkenswert führe ich an, daß das Hartensteiner Gerichtsamt auch eine Hexe verurteilt hat. Das Opfer des unsinnigen Hexenglaubens war eine Frau aus Lößnitz; sie wurde 1583 zu Hartenstein verbrannt. Eine Zeit lang viel zu schaffen machte dem Gerichte der berüchtigte Räuber und Mörder Nicol List. In der Johannisnacht 1696 schickte man eine Folge aus, um ihn in seinem Hause in Beutha festzunehmen. Der Verbrecher aber leistete heftigen Widerstand, schoß einen Landschöppen, namens Christoph Kneufler und einen Bürger aus Hartenstein, Gottfried Eckhardt, nieder und ergriff die Flucht. — Wir kommen später noch auf einige Fälle aus der Thätigkeit des Hartensteiner Gerichtsamtes zurück. Was uns nach unseren jetzigen Rechtsbegriffen oft auffällt, das sind die Verwendung der Strafgelder und die Einrichtung, wonach manches Vergehen durch gute Werke gesühnt werden konnte. Als z. B. 1613 Paul Günther aus Lößnitz seine Magd ohne Absicht erschossen hatte, mußte er 50 Gülden erlegen; dieses Geld wurde zur Ausbesserung der Wohnung des Diakonus in Hartenstein benutzt. Oder: 1614 hatte ein Mann aus Mülsen wegen Ehebruches mit einer ledigen Dirne 300 Gülden zu bezahlen; diese Summe wurde für den Turmbau der Hartensteiner Kirche verwandt; die Dirne hatte 100 Gülden zu erlegen, 80 Gülden erhielt die Kirche in Mülsen, und von den übrigen 20 Gülden wurde die Kirchhofsmauer in Thierfeld, an deren Stelle früher hölzerne Schranken waren, erbaut. — Das jetzige Amtsgerichtsgebäude, welches der Umbau eines ehemaligen fürstlichen Schafstalles ist, wurde im Jahre 1867 seiner Bestimmung übergeben.

(Schluß folgt.)

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 15. Jg. Nr. 7, v. Juli 1895, S. 90 – 93.