Genesungsstationen im Erzgebirge.

Es ist schon bekannt geworden, daß Dr. Schwabe in Leipzig für Angehörige der dortigen Ortskrankenkasse, welche nach längerer Krankheit im Begriffe sind, wieder zu genesen, unter 49 Angeboten zwei schöne Güter ausgesucht, dieselben als Genesungsstationen eingerichtet und nun dem Vorstande der Krankenkasse zur Verwaltung und Benutzung übergeben hat. Es war uns in den letzten Tagen Gelegenheit gegeben, diese Güter zu besuchen, und wir sind von dem Gesehenen so befriedigt, daß wir es für unsere Pflicht halten, über dieselben einiges mitzuteilen. Das Gut am Gleesberge, welches rund 500 m hoch gelegen ist, ist am bequemsten vom Bahnhof Oberschlema oder auch vom Bahnhof Neustädtel aus zu erreichen. Das Gut liegt fast in gleicher Höhe mit der gegenüber liegenden Stadt Schneeberg und ist auf der einen Seite mit schönen Fluren, auf der anderen mit schöner Bewaldung umgeben, die sich über den ganzen Gleesberg bis ins Auerthal hinzieht. Durch den Wald ziehen sich hübsche Spazierwege, auf denen die Höhe bequem zu erreichen und an deren Seiten bequeme Ruhebänke errichtet sind, von denen aus sich liebliche Blicke auf Schneeberg und die dahinter liegenden Höhen, auf die Fluren von Neustädtel und besonders auf das liebliche Thal von Schlema mit seinen Höhen nach Osten hin eröffnen. Den Gipfel des Berges aber krönt ein vom Erzgebirgsverein dort errichteter Aussichtsturm, von dem aus der Blick bis zu den höchsten Höhen des Gebirges vordringen und einen großen Teil unseres Vaterlandes überschauen kann. Die Gebäude des Gutes sind sämmtlich massiv erbaut und machen schon von außen einen sehr freundlichen Eindruck. Im Innern hat manches verändert werden müssen, um mehrere große Räume, wie einen Speisesaal und ein Gesellschaftszimmer zu gewinnen. Die Schlafzimmer liegen im Erdgeschoß, sowie im ersten Stock. Sämmtliche Räume sind hell tapeziert und sehr freundlich. Das Gut soll Station für weibliche Genesende werden und kann 30 Personen aufnehmen. Die Gegenstände in den Zimmern sind musterhaft und fest gearbeitet, die Betten sind von vorzüglicher Beschaffenheit, und auch für die kleinsten Bedürfnisse der Bewohner ist mit rührender Aufmerksamkeit gesorgt. Das Leben der Bewohner regelt eine feste Hausordnung. Täglich werden fünf Mahlzeiten in dem dafür bestimmten Raume eingenommen, von Abends 9 bis früh 7 Uhr, nach Befinden auch von Mittags 1 – 3 Uhr sollen sich die Rekonvaleszenten in den Schlafzimmern, die übrige Zeit des Tages in den Gesellschaftsräumen und noch besser in freier Luft aufhalten. Die Verpflegung der Genesenden hat der frühere Besitzer, der jetzige Pächter des Gutes übernommen, und es ist dafür gesorgt, daß die Kost von vorzüglicher Beschaffenheit ist. Fleisch wird täglich geliefert. — Das Rittergut Förstel, das in 20 Minuten von Raschau zu erreichen ist, liegt ebenfalls etwa 500 m hoch, und da es umgeben ist von schönen Wiesen und würzigem Fichtenwald, auch von einem wasserreichen Bache bespült wird und ebenfalls Blicke auf sanfte Anhöhen eröffnet, überdies auch dem Rauch und Ruß der Fabriken fern liegt, so möchten wir seine Lage fast noch hübscher finden, als das Gut am Gleesberge, das uns von früherer Zeit der recht lieb geworden war. So weit ab von dem Getriebe der Welt, in würziger Höhenluft müssen Leib und Seele der Großstadtmenschen gesunden. Das schloßartige Wohngebäude enthält ebenfalls Wohn- und Gesellschaftszimmer und 16 Schlafzimmer, deren Einrichtung ganz ähnlich ist wie in dem Gute am Gleesberge. Während aber diese Station für weibliche Genesende, ist Förstel für Männer bestimmt, von denen 30 zugleich anwesend sein können, doch kann und soll diese Zahl allmählich auf 60 gesteigert werden. Beide Stationen sind auch für den Winteraufenthalt bestimmt. Aerztliche Ueberwachung wird den Stationen von Schneeberg, bezw. von Raschau aus zuteil. Beiden Stationen steht je eine Albertinerin vor, welche die Oberaufsicht führt und die Verpflegung in Krankheitsfällen übernimmt. Falls sich aus der Verwaltung der Stationen ein Ueberschuß ergiebt, so fällt dieser der Leipziger Ortskrankenkasse zu, während ein etwa eintretender Fehlbetrag von dem hochherzigen Stifter, Dr. Schwabe getragen wird. Die Erwartungen, welche man an die Einrichtung dieser beiden Heimstätten knüpft, sind nicht unberechtigte, und wir zweifeln nicht daran, daß andere Groß- und Industriestädte dem Vorgehen von Leipzig werden bald folgen müssen.

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 9. Jg. Nr. 11 u. 12, v. November und Dezember 1889, S. 119 – 120.