Zusammenhänge zwischen der Bevölkerung des Obererzgebirges und Oberharzes.

Ueber „Zusammenhänge zwischen den Bevölkerungen des Obererzgebirges und des Oberharzes” berichtet Dr. Emil Bochmann in einer lesenswerten, dem diesjährigen Programm des königl. Gymnasiums zu Dresden-Neustadt beigegebenen Abhandlung, deren wesentlichen Teil wir nachstehend das Wichtigste entnehmen.

Bekannt und gut beglaubigt ist die Ueberlieferung, daß im 12. Jahrhundert in unserem Sachsen zunächst der Freiberger Bergbau durch den Zuzug Goslaer Bergleute aus dem Harz begründet worden sei. Nach seinen ursprünglichen Bewohnern, sächsischen Bergleuten aus dem Harz, heißt heute noch ein Teil von Freiberg die „Sächsstadt”. Bochmann stellt die merkwürdige Thatsache fest, daß umgekehrt im 16. Jahrhundert Bewohner unseres Landes, Bergleute aus dem Obererzgebirge und namentlich aus dem westlichen desselben, der Gegend von Freiberg, Annaberg und Schneeberg, nach dem Oberharz gezogen sind und dort Anlaß zur Gründung namentlich der Bergstädte Andreasberg, Clausthal, Zellerfeld, Wildemann, Lautenthal und Altenau gegeben haben. Zwar war schon im 13. Jahrhundert, von Goslar aus dahin verpflanzt, auch auf dem Oberharz um das Monasterium Cellae her der Bergbau in Flor gekommen, aber dieser verfiel bald wieder, wie das Kloster selbst, bis bald kaum noch eine Spur davon in dem wieder verödenden Lande sich zeigte. Erst im Zeitalter der Reformation lockten reiche Silberanbrüche in der Gegend des heutigen Andreasberg und anderswo eine bergbaulustige Bevölkerung wieder herbei, nur konnte diese nicht aus der Nähe kommen, nicht aus Goslar, das vielmehr selbst des Zuzuges bedurfte und zudem mit den im Oberharz gebietenden Fürsten verfehdet war, und nicht aus dem Mansfeldischen, sondern man mußte sie anderswo suchen. Daß man sich zu diesem Zweck nach dem Erzgebirge gewendet, daß von dort her die ohnedies stets wanderlustigen und auf jedes „neue Geschrei” hin leicht beweglichen Bergknappen zugeströmt seien, das wird, soweit es nicht urkundlich bezeugt ist, durch folgendes bewiesen:

Zunächst handelte es sich bei der Errichtung des neuen Bergwerks auf dem Oberharz um Stollenbau, auf welchen sich damals eigentlich nur „Meißnische Bergleute” aus dem oberen Gebirge, die deshalb auch in aller Welt gesucht waren, verstanden. Die Chroniken von Freiberg, Schneeberg, Annaberg etc. wissen zu erzählen, wie Bergleute aus diesen Gegenden nach allen Teilen Europas gekommen seien und dorthin ihr Bergrecht mitgebracht hätten, ja selbst in Calcutta, im fernen Indien finden wir solche und kaum 40 Jahre nach der Entdeckung Amerikas im Dienste der Welser auf dem fernen San Domingo. Die Sendung einzelner hervorragender Bergverständiger, Bergmeister etc. aus dem Erzgebirge nach dem Harz wird ausdrücklich bezeugt, und es versteht sich ganz von selbst, daß diese nicht allein kamen, sondern zur Ausführung der ihnen übertragenen Arbeiten Bergleute in größerer Zahl mit sich führen. Diese ließen dann wieder, wie es heute noch Sitte der Auswanderer ist, dafern es ihnen anders in der neuen Heimat gefiel und daselbst wohlging, ihre Angehörigen und Freunde nachkommen, und so entstand in dem Jahrhundert von 1520 – 1620 etwa eine größere Kolonie von aus dem Meißnischen eingewanderten Bewohnern und damit eine Sprachinsel mit oberdeutscher Mundart mitten in dem sonst niederdeutsch sprechenden Gebiet. Diese oberdeutsche Mundart aber ist die des Erzgebirges, und zwar des westlichen Teiles desselben, und das ist der Hauptbeweis für die Herkunft der ursprünglichen Bewohner jener Harzstädte aus unserem Erzgebirge.

Natürlich können wir an dieser Stelle nicht dem Gange der gründlichen Untersuchung Bochmann´s folgen, wir müssen diejenigen, welche sich für die Dialektforschung interessieren und hierüber eingehender sich zu unterrichten wünschen, auf die Abhandlung selbst verweisen, nur sei uns gestattet zu bemerken, daß nach dem in derselben Mitgeteilten die Aehnlichkeit des Oberharzischen und Obererzgebirgischen in der That ganz außerordentlich groß und gemeinsame Abstammung unabweisbar ist.

Zum Schluß macht Bochmann auf das überaus häufige Vorkommen derselben Grubennamen im Oberharz und Erzgebirge aufmerksam und weist nach, daß mindestens die große Hälfte der im Oberharz vorkommenden Namen den älteren Bergwerken des Erzgebirges entnommen sei. Da es sich bei der Namengebung namentlich auch um solche von guter Vorbedeutung handelte, so sind Namen besonders häufig, die als Benennungen solcher Zechen, welche im Erzgebirge reiche Ausbeute gebracht hatten, bekannt waren, wie z. B. der Name der stolzesten Schneeberger Zeche, „St. Georg”, deren ausgebrachtes Silber auf 40 Tonnen Goldes, d. i. 4 000 000 Thaler, geschätzt wurde, auch im Harz vorkommt, ebenso die „St. Anna”, die in Schneeberg schon 1478 gewaltig „schüttete” und 1528 von allen Gruben die größte Ausbeute gab, u. s. w.

Von besonderem Interesse in der Abhandlung ist uns der vom Verfasser gemachte Versuch gewesen, die Namen der Zechen nach ihrer Entstehung und Bedeutung zu erklären. Nur die wenigsten knüpfen an die ursprüngliche Benennung des Ortes an, wo sie entstanden, oder an bestimmte Eigentümlichkeiten der Zeche selbst und der bei ihrer Eröffnung maßgebenden Umstände. Die meisten erklären sich aus dem, dem Bergmannsstande, namentlich in früheren Jahrhunderte, vor anderen eigenen frommen Glauben an die göttliche Allmacht, zum Teil aber auch aus seinem Aberglauben. Frommer Glaube war maßgebend bei den überaus zahlreichen Benennungen der Gruben nach Heiligen u. s. w., der Aberglauben in Namen, wie „Wilder Mann”, „Wilde Frau”, „Einhorn”, „Löwe”, „Wolf”, „Rabe”, „Molch”, „Hase”, „Goldener Esel” u. s. w. Riesen und Einhörnern schrieb man die Kraft zu, gewisse Bergsäfte, namentlich das Quecksilber, zu edelem Erze zu verdichten. Der Molch sollte seinen Winterschlaf in der Nähe geheimer Schätze halten. Wolf und Rabe galten als „weisende” Tiere. Der Hase schien als fruchtbarstes Tier von guter Vorbedeutung zu sein. Im „goldenen Esel” hat man wohl gar eine Erinnerung an das Märchen vom „Eselein streck Dich” zu erblicken.

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 9. Jg. Nr. 5 v. Mai 1889, S. 43 – 44.