Erzgebirgische Sagen

Wir wollen uns jetzt nicht über den Wert der Sagen, jener anmutigen Kinder der Volkspoesie aussprechen, sondern wir werden dies vielmehr in einer späteren Nummer thun; aber die Bitte wollen wir hier den Vereinsgenossen wiederholen, alle Sagenstoffe in ihren Kreisen gewissenhaft zu sammeln, wozu besonders die Winterabende geeignet sind. Wenn auch Grässe in seinem Sagenschatze von Sachsen und noch andere neuere Schriftsteller eine große Zahl erzgebirgischer Sagen veröffentlicht haben, so liegen gewiß noch viele derselben in älteren Chroniken verborgen und ebenso viele wurden noch nicht aufgeschrieben, sondern sie pflanzen sich blos von Mund zu Mund fort.

Mag unser Vereinsorgan einstweilen die Sammelstelle sein, an welcher die Vereinsmitglieder das in ungeschmückter Weise niederlegen, was ihnen von Sagen in alten Büchern vor die Augen trat, oder was sie aus dem Munde des Volkes aufzeichnen. Scheue sich Niemand, auch die kleinste Gabe einzusenden. Wir wollen mit zwei einfachen Sagen aus der Gegend von Eibenstock den Anfang machen und bitten, indem wir hiermit bloß die Anregung geben, um Nachfolge.

  1. Zwischen Eibenstock und dem dortigen Bahnhofe liegt in einem flach ausgebreiteten Wiesengrunde der „Mielahr“ oder „Windischteich“. Darin soll ein wunderbarer Fisch mit einem goldenen Reif leben, und um denselben zu fangen, hat man vor vielen Jahren den Teich ausgepumpt, aber den Fisch doch nicht gefunden. Von dem Fische aber erzählt man, daß denselben einst eine Prinzessin hineingesetzt haben soll.
  2. An der Plänerleite zwischen Blauenthal und dem Zimmersacher liegt ein zerklüfteter Granitfels, welchen man wegen seiner Form die „Steinwand“ nennt. Weiter oben, nach dem Zimmersacher zu, aber quillt der „Goldbrunnen“, aus welchem man einst Gold gewaschen hat. In der Steinwand jedoch öffnete sich einst an einem gewissen Festtage, zu der Stunde, da in Eibenstock die Litanei gesungen wurde, eine Höhle, und wenn Jemand durch das Thor derselben hineingegangen wäre, hätte er daselbst große Schätze gefunden.

Köhler

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 1. Jg. Nr. 1 v. 15. Januar 1881, S. 10 – 11