Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 39, 26. September 1926, S. 6
(1. Fortsetzung)
Zwei größere Feuersbrünste sind mir noch im Gedächtnis geblieben. Das eine Mal brannten zur Mittagszeit auf der oberen Scherbank mehrere Häuser ab und das andere Mal brannte am 21. November 1855 in den späten Abendstunden das abseits der großen Kirchgasse gelegene „Nestler’sche Tanz- und Gasthaus“ vollständig nieder. Bei diesem Feuer hatte ich mich, um alles gut übersehen zu können, vielleicht zu weit vorgedrängt. Die Folge war, daß ich kleiner siebenjähriger Bub von einem Feuerwehrmann mit kräftigen Händen gepackt und in die lange Wasserzubringer-Kette eingereiht wurde. Das Wasser wurde in Hanfeimern gefaßt, die dann von Hand zu Hand schnell bis zur Spritze weitegegeben werden mußten. Aber, du lieber Himmel! die Eimer waren sehr durchlässig. Wenn diese an der Spritze anlangten, war nur noch wenig oder gar kein Wasser mehr darin.
Der Winter war bei den Annaberger Jungens immer willkommen. Da wurden die meist mit Stahl belegten Schlitten hervorgeholt und auf den bergig gelegenen Gassen, wie den Sommerleiten, Kirchgassen u. a., entwickelte sich — wie wohl noch heut — ein fröhliches Leben und Treiben. Der Warnungsruf der Schlittenfahrer: Aus! Aus! erscholl bis in die Nacht hinein. Freilich mußte man sich vor den aus den Seitenstraßen kommenden Geschirren in acht nehmen und — vor der Polizei, die, da das Fahren auf den Gassen auch damals eigentlich verboten war, dann und wann, um ihr Ansehen zu wahren, einen Schlitten wegnahm, der dann mit einem Taler (!) wieder ausgelöst werden konnte. Glücklicherweise kam dies nicht gar so oft vor. Die Polizei drückte manchmal ein Auge zu, und das war recht so. Außerdem rissen ja auch die Jungens aus, so bald sich die Polizei sehen ließ.
Als ich so 10 Jahre alt war, fuhr man viel mit Schlittschuhen, die allerdings bez. ihres Gebrauchswertes noch viel zu wünschen übrig ließen. Da meine Eltern kein Interesse zeigten, mir solche zu kaufen, ich aber doch auch fahren wollte, suchte ich meine kleinen Holzpantoffeln vor, schnitt die auf der unteren Holzfläche befindlichen Absätze ab und steckte so die Pantoffeln fest an die Stiefeln. Der an der Farbegasse nach der Kartengasse zu abfallende kleine Berg (fr. Ranftsbergel, jetzige Mandelberg) war mein Versuchsfeld. In der Mitte dieses Berges wurde, um etwas Abwechslung in die Fahrt zu bringen, ein „Schneehübel“ aufgeworfen und fest gemacht. Darüber mußte man im Fluge setzen. Auch mir gelang es mit meinen Holzpantoffeln, wenn auch erst nach vielen Mühen. Zuletzt fuhr ich mit den Schlittschuhfahrenden um die Wette den Berg sausend hinunter, übersprang den „Huckel“ und endete immer mit einem elegant ausgeführten Telemarkschwung. Einen Vorteil hatte ich aber für mich — ich zog unten am Berg meine Holzpantoffeln ab und konnte so schnell den Berg wieder hinaufkommen.
In den letztvergangenen Jahrzehnten hat sich das Ruscheln und das Schlittschuhlaufen zum Sport ausgebildet, dem mit dem größten Vergnügen Erwachsene huldigen, zumal wenn solche ideale Ruschel- und Schlittschuhbahnen, wie die vom Pöhlberge herab, geschaffen worden sind.
Von den Erholungsstätten und Gastwirtschaften habe ich nur wenige kennen gelernt. So erinnere ich mich aus meiner frühesten Jugendzeit gerne noch an „Gensels Garten“ (fr. Logengebäude), der in der Nähe des neuen Seminars lag. An Sonn- und Festtagen war diese Wirtschaft gut besucht, gab es doch dort immer guten Kaffee und Kuchen. Im Sommer saß man in dem schön gepflegten Garten. Die Rondells und Grasplätze waren mit großen farbigen Glaskugeln, in denen man sich spiegeln sehen konnte, geschmückt. Als ich vor einigen Jahren wieder vor dem Gebäude stand, in dem einstmals so fröhliches Leben herrschte, war ich betroffen, als ich nur noch eine Ruine vor mir sah. Es ist inzwischen, wie ich aus dem Erzgeb. Sonntagsblatt v. 1926, Nr. 15, ersehen habe, im Jahre 1923 abgebrochen worden. Es war einmal!
So vor 60 Jahren war auch die nach Buchholz zu am Bergabhange gelegene Gastwirtschaft „Am Emilienberg“ eine von Annaberg und Buchholz aus gut besuchte Wirtschaft. Eine bürgerliche und immer gut besuchte Gaststätte war in meinen Kinderjahren das inmitten der Sommerleiten gelegene „Ullrich’sche Schankhaus“. Hier fanden damals meist die Quartalversammlungen der Weber-Innung statt, zu denen ich öfters von einem Vetter mitgenommen wurde. Man trank aus hohen mit Zinndeckeln versehenen Gläsern. Die Gläser waren alle mit einer gut sichtbaren Nummer versehen. Am Büfett, das gewöhnlich Vater Ullrich bediente, war eine Tafel mit numerierten Feldern angebracht. Jedes Glas Bier, das hinausging, wurde auf dieser Tafel bei der betr. Nummer angekreidet. Da staunte ich kleiner Bub manchmal über die vielen weißen Striche, die bei mancher Nummer angebracht waren. Immer drei Striche gerade nebeneinander und einen Strich mitten durch und so ging es weiter. Seit Jahren ist auch diese Gaststätte eingegangen. Noch bedauerlicher ist es, daß das prächtig gelegene „Bahl’sche Etablissement“, das von den Einheimischen und von den Fremden wegen seines herrlichen Ausblicks auf Buchholz, das Sehmatal und das Gebirge gern ausgesucht wurde, verkauft und seit Jahren industriellen Zwecken dient. —
Jeder Fremde, der in eine Stadt kommt und hört, daß sich da ein Ratskeller befindet, wird seine Schritte gern dahin lenken. Und so ist auch der Annaberger „Ratskeller“ eine von den Einheimischen und Fremden gern besuchte Gaststätte.
Vor 60 Jahren, da der Pöhlberg mit seinen verborgenen Schönheiten noch nicht „entdeckt“ war, ging man mehr in die umliegenden Orte. Eine immer gern aufgesuchte Gaststätte war und ist noch die waldumrauschte, stille Bergwirtschaft „Markus Röhling“. Mit großem Interesse habe ich die von dem Medizinalrat Dr. Harms zum Spreckel in Annaberg über die Entstehung und Geschichte des Erzbergwerkes „Markus Röhling“, seinen Gründer und des Röhling’schen Geschlechtes herausgegebene interessante und an Urkunden reiche Abhandlung gelesen. Diese umfangreiche Schrift, die in der Bücherei des Vereins für die Geschichte Annabergs erschienen ist, sollte jeder Annaberger kennen. Auch die unterhalb der „Markus Röhling“-Wirtschaft gelegene Wirtschaft und trauliche Gaststätte „Zur Silberwäsche“, sowie die „Bäuerin“ in Frohnau erfreuten sich eines regen Besuches.
Ein Volksfest im wahrsten Sinne des Wortes ist von jeher die „Kät“. Dieses Fest, das ich in seiner ursprünglichen Weise, wie es vorm Friedhofe noch abgehalten wurde, schon kennen gelernt habe, ist zwar schon mehrmals beschrieben worden; ich möchte aber doch hierüber einiges bemerken.