Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 41, 10. Oktober 1926, S. 4
Gleich schlechte finanzielle Verhältnisse, wie sie sich nach dem Weltkrieg gezeigt haben und sich teilweise auch jetzt noch zeigen, scheinen vor 100 Jahren als Folge der Befreiungskriege geherrscht zu haben. Nicht allein die Bürger, sondern auch die Kirchgemeinde war so verarmt, daß sie die geringe Summe von 90 Talern für die Reparatur der Orgel aus eigenen Mitteln nicht aufbringen konnte und die Hilfe der Stadtgemeinde in Anspruch nehmen mußte. Denn, wie die Chronik unter dem 25. August 1828 berichtet, es fühlte sich Magister Christian Gottfried Oehme, weiland Pastor zu Scheibenberg, veranlaßt, zu erklären: „Schon seit längerer Zeit sey die hiesige Orgel in ganz schlechten Umständen, und bedürfe, wenn nicht befürchtet werden solle, daß solche ganz verstumme, eine sehr bedeutende Reparatur. Wenn aber nun das hiesige Kirchenvermögen nicht in den Umständen sich befinde, daß die Reparatur aus solchem bestritten werden könne, vielmehr hier wohl die Gemeinde die Kosten übertragen müße, auch die Reparatur selbst keinen Aufschub mehr leide, so wolle er bitten, deshalb das nöthige einzuleiten, damit die Orgel noch vor Eintritt des Winters in Stand gesetzt werde.“
Der Rat der Stadt erkannte die Dringlichkeit der Reparatur wie auch die Not der Kirche an und verfügte, „daß zuvörderst mit den Viertelsmeistern und Commun Repräsentanten Rücksprache, mit den Gerichten zu Oberscheibe communicirt, und dann der Bürgerschaft der nöthige Vortrag gemacht werden solle.“ Inzwischen war von dem „sehr geschätzten und billigen Orgelbauer Daniel August Zachert aus Thum“ ein Kostenanschlag beigezogen worden, in dem sich Zachert verbindlich machte, „bei Edlen und Wohlweisen Stadt Rath wie auch bei der Kirchfahrt zu Scheibenberg, das Werk rein und gut herzustellen für Neunzig Thaler zwölf Groschen.“
Senatoren, Viertelsmeister und Kommunrepräsentanten erachteten die Reparatur der Orgel für sehr nötig, schützten jedoch vor, „daß dermalen die Aufbringung der Kosten durch Umlagen wegen der bereits angelegten Commun Quatembern sehr schwer fallen dürfte und daher es wohl vorzuziehen seyn dürfte, den nöthigen Betrag zu erborgen in der Hoffnung, daß künftiges Jahr die Umlagen besser einzubringen seyn dürften als dermalen“. Obgleich der Zachert’sche Kostenanschlag als billig anerkannt wurde, wurde trotzdem noch mit dem Grünhainer Orgelbaumeister Steinmüller Rücksprache genommen. Doch dieser stellte die Möglichkeit einer Reparatur überhaupt in Frage und bezifferte die Kosten auf mindestens 500 Thaler. Unter diesen Umständen wurde der Auftrag dem Thumer Orgelbauer erteilt. Dieser muß aber wirklich ein tüchtiger und fleißiger, dabei aber auch billiger Meister gewesen sein, denn der Rat resolvierte, „eine freiwillige Sammlung zu veranstalten, um Herrn Zachert nur einigermaasen zu entschädigen, da derselbe bey seinem niedrigen Accord zu geringe belohnt worden“. Die dem Meister gezollte Anerkennung spricht am besten aus der unter dem 1. Januar 1829 an die Einwohnerschaft gerichteten Bittschrift:
„Nachdem wir mehrere Wochen lang bey unsern kirchlichen Feyerlichkeiten die Begleitung der Orgel entbehren müßen, so hatten wir heute die Freude, ihren Ton rein und verstärkt wieder zu vernehmen, und gewiß jeder wird dankend die Bemühungen erkennen, mit welchen Herr Zachert das Orgelwerk aus seiner Zerrüttung erhoben, und uns wieder gegeben, und dadurch einen höchst bedeutenden Kostenaufwand erspart. Jeder wird aber auch einsehen, daß die durch den Accord bestimmte Vergütung der 17wöchentlichen Anstrengung und Arbeit nicht angemeßen ist. Um daher gegen den höchst uneigennützigen Künstler nicht undankbar zu seyn, haben mehrere den Wunsch geäußert, ihren Dank durch einen freywilligen Beytrag zu erkennen zu geben, weshalb sich Herr Güther-Beschauer Jähnig erboten, die Einsammlung dieser Beyträge zu übernehmen, und es werden daher sämmtliche Gemeinde-Mitglieder ersucht, nach ihren Kräften gegen Herrn Zachert dankbar sich zu erweisen.“
Die Sammlung ergab in Scheibenberg 28 Taler 6 Groschen 4 Pfennige, in Oberscheibe 2 Taler 1 Groschen. Meister Zachert mag darüber erfreut gewesen zu sein, denn er versprach, „künftiges Frühjahr wieder anher zu kommen und bey guter Witterung die Orgel nochmals unentgeldlich gehörig durchzustimmen“. —
Die Orgel ist heute noch dieselbe wie vor 100 Jahren, doch sind im Laufe der Zeit wesentliche Verbesserungen vorgenommen worden. Die letzte große Reparatur, die mehrere Monate Zeit in Anspruch nahm, erfolgte im Jahre 1895 durch den Orgelbauer Gottlieb Schorr und dessen Sohn Robert Schorr, welch letzterer das Orgelbauerhandwerk heute noch hier ausübt. Während des Weltkrieges fielen die messingenen Orgelpfeifen, die nur im großen Mittelteil der Orgel sichtbar waren, der Metallbeschlagnahme zum Opfer. Doch sofort nach Beendigung des Krieges — 1919 — wurden nicht nur diese Pfeifen durch neue ersetzt, sondern es wurden auch die kleinen und größeren Felder links und rechts des Mittelteils mit sichtbaren, metallenen Pfeifen ausgestattet und die Zahl der vorhandenen Pfeifen um die Hälfte vermehrt. Interessant ist zweifellos ein Blick in solch ein Wunderwerk. Wie Zwerge und Riesen — von 0,25 m bis 6,00 m lang — stehen die Pfeifen wohlgeordnet beieinander, jederzeit bereit, ihre wohllautenden Stimmen zu machtvollen Akkorden zu vereinen zur Ehre des göttlichen Meisters, zur Erbauung der Gemeinde.