Die Geschichte der Orgel der Martin-Luther-Kirche in Annaberg-Kleinrückerswalde.

Von Paul Bach.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 120. Jahrgang, Nr. 48, 28. November 1926, S. 6

Die Kirche in Annaberg-Kleinrückerswalde ist wohl um 1200 entstanden und gilt als eine der ältesten Kirchen des oberen Erzgebirges. Sie mag anfangs ein einfaches Gebäude gewesen sein, daß sich im Jahre 1414 ein Neubau nötig machte, wobei die Grundmauern aber stehen geblieben sein mögen. Die letzte gründliche Erneuerung des Inneren der Kirche erfolgte im Jahre 1897 und sie ist, wie noch heute ersichtlich, eine liebe, freundliche Stätte der Andacht.

Ob die Kirche früher im Besitz einer Orgel gewesen ist, ist aus den früheren Aufzeichnungen nicht zu erfahren. Nach Angabe Stehles scheint die erste Orgel 1703 angeschafft worden zu sein. Auch Spieß schreibt in seinem Buche: Die Hospitalkirche und ihre beiden Filialen: „Ueber die Schullehrer, die zugleich Küster und seit 1703, wo eine Orgel angeschafft wurde, auch Organisten waren, ist bis in das 18. Jahrhundert wenig bekannt.“ Andere Angaben sagen: „1703 erhielt die Kirche eine neue Orgel, und zwar auf Unkosten der Gemeinde und einiger guten Freunde.“ Dieselbe war über hundert Jahre in Gebrauch. Sie wurde aber 1820 gänzlich unbrauchbar. Ein böhmischer Orgelbauer wurde 1822 zu Rate gezogen und mit der Reparatur beauftragt. Aber mit diesem mußte man eine schlimme Erfahrung machen. Er ließ sich 40 Taler Vorschuß auszahlen und verschwand, ohne seine Arbeit vollendet zu haben. Ungefähr ein Jahr lang, also bis 1823, gebrauchte man die unfertige Orgel, bis sie gänzlich versagte. Bei den Gottesdiensten mußte 3 Monate lang das Orgelspiel wegfallen und ohne Orgel gesungen werden. Bis Ostern 1824 wurde die Orgel durch den Orgelbauer Frank aus Buchholz wieder gebrauchsfähig, und zwar für denselben Preis wie der Böhme, fertiggestellt. Er verschaffte der Orgel nach vollständiger Verbesserung einen reinen, scharfen und harten Klang. Nach fast zwei Jahrzehnten, 1841, versagte die Orgel wieder und wurde bis zum 12. August 1842 vom Orgelbauer Grube vorgerichtet und hergestellt. Am 14. August konnte sie zum ersten Mal wieder gespielt werden. Um die Kosten zu decken, wurde am 1. Weihnachtsfeuertag 1841 eine Kollekte gesammelt und die oberste Kirchenbehörde bewilligte aus dem Kirchenärar die Hälfte der Kosten, nämlich 60 Taler. Diese Orgel diente der Kirche bis zum Jahre 1882.

In den siebziger Jahren wird in den Akten eine bestehende Orgelbaukasse erwähnt. Im Jahre 1874 (10.6.) wurde der Kirche ein Betrag vom Gemeinderate zur Orgelbaukasse überwiesen. Diese Kasse wurde erst durch einen Teil der Einlagen bei Taufen, Trauungen und Begräbnissen, dann durch die ganzen Einlagen, sowie jährlich durch zwei Kirchenkollekten gestärkt. Weiter wurde 1882 eine Haussammlung veranstaltet und in Bierlokalen Sammelbüchsen zum Orgelbauzweck aufgestellt. Die alte Orgel versagte öfters wieder den Dienst, darum beschloß der Kirchenvorstand im Juli 1882 eine andere Orgel zu beschaffen. Da die vorhandenen Mittel zu einer neuen Orgel nicht reichten, kaufte der Kirchenvorstand die gebrauchte Orgel aus der St. Nikolaikirche zu Chemnitz für 1200 Mark, die ein Alter von 22 Jahren hatte und für die vergrößerte Nikolaikirche nicht mehr ausreichte. Die Orgelbaukasse betrug zur Zeit 630 Mark. Um den Restbetrag und die Kosten für die sich nötig machende Chorerweiterung in der Kirche zu decken, wurde eine Anleihe von 750 Mark aufgenommen. Die Orgel wurde vom 18. bis 21. Juli 1882 in St. Nikolai-Chemnitz abgetragen, und zwar vom Orgelbauer Guido Schäf aus Freiberg (verstorben im Mai 1911), und von ihm und dem Tischlermeister Carl Schäf aus Grünhainichen (beide sind Verwandte von Carl Schäf in Annaberg) vom 24. Juli bis August 1882 in der Kirche zu Kleinrückerswalde aufgestellt. Bildhauer Friedel in Annaberg schnitzte den Aufsatz des Gehäuses. Am 20. August konnte die Orgelweihe stattfinden.

Das Tageblatt „Annaberger Wochenblatt“ berichtet hierüber in Nr. 197 des Jahres 1882 folgendes:

„Gestern fand in unserem Gotteshause die Einweihung der neuerkauften Orgel statt. Dieselbe ist 1859 von Göthel (Christian Friedrich, Orgelbauer) in Porstendorf erbaut und hat bis jetzt in der St. Nikolaikirche zu Chemnitz gestanden. Man beabsichtigt, dort eine größere Kirche zu bauen, für welche dieses kleine Orgelwerk nicht ausreichen wird, daher bot man es zum Verkauf aus. Bei vorgenommener Prüfung erwies es sich als gut gebaut, preiswürdig und für unsere Kirche ausreichend, sommit erwarb es der Kirchenvorstaqnd. Orgelbauer Schäf aus Freiberg übernahm Abbruch und Wiederaufbau und hat alles Nötige in höchst akkurater Weise ausgeführt. Um den erforderlichen Platz zu gewinnen, war das Orgelchor vergrößert worden. Dadurch sah man sich genötigt, auch die Brüstung der Empore und das Holzwerk auf dem Altarplatz mit neuem Anstrich zu versehen, um das Ganze mit dem neuverzierten Orgelgehäuse in Einklang zu bingen. In diesem neuen Schmuck bot unser Kirchlein einen freundlichen Anblick. Nachdem ein Lied und die Eingangsliturgie ohne Orgel gesungen worden, schloß sich an die erste Verlesung die Weiherede, welche der Ortspfarrer P. Füssel über das Psalmwort: „Singet dem Herrn ein neues Lied!“ hielt, worauf die Orgel zum ersten Male erklang mit dem Choral: „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr!“ Freudig stimmte die zahlreich versammelte Gemeinde in die langersehnten Klänge ein. Die Orgel ist gefällig ausgestattet, hat einen kräftigen Ton und hier für volle Klangwirkung einen günstigeren Standort als früher. Sie entspricht völlig den gehegten Erwartungen. Eher als wir gedacht, ist es möglich geworden, diesem lang gefühlten Bedürfnis abzuhelfen. Ein bedeutendes Geschenk des hohen Landeskonstistoriums und einige größeren Beiträge des Herrn Fabrikbesitzers W. Wimmer haben dazu wesentlich mit geholfen. Möge nun die Kirchgemeinde die Hoffnung des Kirchenvorstandes erfüllen, daß nämlich alles, was noch nötig ist, möglichst durch freiwillige Geschenke aufgebracht werde. Eine Gabe von 45 Mark von einem älteren Gemeindegliede war ein Gutes verheißender Anfang.“

Die Kosten für Transport, Aufstellung usw. betrugen nach Angaben der Kirchenrechnungen in Summa 525 Mark. Nach Bedarf wurde die Nachsicht der Orgel von Schäf und später von der Firma Gebrüder Jehmlich in Dresden ausgeführt. Die Orgelbaukasse wurde am 31. Dezember 1889 abgeschlossen und aufgehoben. Der Kassenbestand von 12,37 Mark aber wurde dem erst einige Jahre alten Verschönerungsfomds zugewiesen.

Das Gehäuse der Orgel ist im Uebergangsstil gebaut, oben durch ein kleines Schnitzwerk, das Sinnbild der Tonkunst darstellend, geziert und matt vergoldet. Allgemeinen künstlerischen oder kunstgeschichtlichen Wert hat das Gehäuse nicht. Inschriften oder Sinnsprüche trägt es auch nicht.

Die Disposition dieser Orgel ist folgende:

Manual: 1. Prinzipal 8′ (Fuß); 2. Gedeckt 8′; 3. Quintatön 8′; 4. Oktave 4′; 5. Gedeckt 4′; 6. Qunite 3′; 7. Oktave 2′; 8. Mixtur 3fach. — Pedal: 9. Subbaß 16′. — Nebenzug: Calcatenzug.

Sämtliche Stimmen sind durch unabstellbare Koppelung verbunden.

Der Tonumfang des Manuals: 49, des Pedals: 25 Tasten. Das Manual hat schwarze Unter- und weiße Obertasten. Die Gesamtzahl der Pfeifen beträgt 515, Prospektpfeifen sind in 3 Feldern 45 vorhanden. Die Manualklaviatur und das Pedal sind unmittelbar am Orgelgehäuse angelegt. Die Blickrichtung des Organisten während des Spiels ist nach der Orgel. — Es sind 2 Faltenbälge vorhanden zur Betätigung durch Menschenkraft, die sich auf dem Kirchboden befinden. — Die Orgel steht im Chorraum, dem Altar gegenüberliegend.

Bei dem inneren Umbau der Kirche im Jahre 1897 wurde die Orgel nochmals vom Orgelbauer Guido Schäf abgetragen und wieder aufgestellt, neu intoniert, gestimmt usw.

(Schluß folgt.)