Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 42, 17. Oktober 1926, S. 1
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Bei herrlichem Frühlingswetter fand am 11. Mai 1858 die feierliche Eröffnung der obererzgebirgischen Staatsbahn – der jetzigen Linie Zwickau – Schwarzenberg – unter Beteiligung des Königs Johann, der Königin Amalie, des Kronprinzen Albert, der Kronprinzessin Carola und vieler hoher Stzaatswürdenträger statt.*) Die Abfahrt des Zuges von Zwickau erfolgte vormittags 3/4 10 Uhr, ihm war die „Lokomotive Nr. 10“ aus der Maschinenfabrik von Richard Hartmann in Chemnitz vorgespannt. Der Bericht nennt die Fahrt von Zwickau nach Schwarzenberg einen „Freudenzug“, der allerorts von Bevölkerung, Obrigkeit und Geistlichkeit unter Glockengeläut und mit Böllerschüssen begrüßt wurde. Um 1/4 1 Uhr erfolgte die Ankunft in Schwarzenberg; hier dieselben Ovationen: die Kommunalgarde war aufgestellt, Bergknappen musizierten und die Bahnhofsgebäude waren mit Fahnen und Guirlanden des Ereignisses würdig geschmückt. Eine Anzahl Ansprachen wurden gehalten. Auf dem Bahnhofe hatten Industrielle eine Ausstellung von Gewerbe- und Grubenprodukten veranstaltet, die den königlichen Herrschaften die Art der Waren der Schwarzenberger Industrie vor Augen führen sollte, die der Beförderung durch das neue Verkehrsmittel harrten. Hier ließ auch der König die anwesende Bevölkerung an sich vorbeidefilieren, um sie in dieser Weise besonders zu begrüßen. Um 2 Uhr fand in der Bahnhofshalle ein déjeuner dinatoire statt, bei dem der König eine Rede hielt, die unter begeistertem Beifall mit den Worten schloß: „Möge der heutige Tag der Aufbruch einer neuen glücklichen Aera für das teure Erzgebirge sein.“ –
Kurz vor 5 Uhr verließ der Festzug Schwarzenberg wieder und erreichte bald nach ½ 7 Uhr Zwickau. –
Dieser ersten obererzgebirgischen Eisenbahn sollten bald weitere folgen. Schon am 14. Februar 1855 hatten H. Roehling & Co. u. Gen. (das spätere, 27 prominente Männer und Firmen umfassende Eisenbahn-Comité) in Annaberg eine „Petition um eine direkte Eisenbahnverbindung zwischen Annaberg und Chemnitz“ an die Landesregierung gesandt, deren Anfang folgendermaßen lautete: „So weit die jetzt lebende Generation unseres Vaterlandes zurückzudenken vermag, tritt ihr das sächsische Obererzgebirge nur als Gegenstand des Mitleids vor die Augen, von welchem man am liebsten mit einer Gabe den Blick abwendet. Es ist überflüssig, das trübe Bild der Not in allen seinen Teilen immer neu zu entwerfen. – Von den 11 000 Menschen, welche die Quadratmeile im Gebirge trägt, muß gegenwärtig ein Fünftel wegen Mangel an dem Unentbehrlichen ernährt werden, zwei Fünftel fristen sich selbst am Hungertuche mühselig hin, und die übrigen zwei Fünftel, welche man mehr oder weniger besitzend nennt, und die bisher nur zu geben hatten, müssen teils auf sich selbst denken und zu geben aufhören, teils gehen sie mit dem Gedanken um, das, was sie noch besitzen, vor dem allmählichen Verluste zu sichern, und an ein von dem Orte des Elends möglichst weit entferntes Plätzchen zu retten.“ (Auf diese und ähnliche Klagen gehen die heute noch verbreiteten Ansichten vom „armen Erzgebirge“ zurück, die jedoch längst der Vergangenheit angehören. Die Red.)
Aber erst am 1. Februar 1866 konnte den Wünschen der Bevölkerung durch die Eröffnung der Bahnlinie Chemnitz – Annaberg Rechnung getragen werden; als Fortsetzung derselben gilt die 1872 in Betrieb genommene Linie Annaberg – Weipert, und das Bahnnetz um Annaberg wurde wesentlich vervollständigt durch den im Jahre 1888 eröffneten Schienenweg von Annaberg nach Schwarzenberg – drei Jahrzehnte nach der obengeschilderten Einweihungsfeier.
Außer den genannten Linien durchziehen, ihrer Eröffnungszeit nach, das Obererzgebirge folgende Eisenbahnlinien: 1859 Niederschlema – Schneeberg, 1875 Flöha – Reitzenhain mit Pockau – Olbernhau, Chemnitz – Aue – Adorf, 1883 Schwarzenberg – Johanngeorgenstadt, 1886 Wilischtal – Ehrenfriedersdorf, Thum – Herold, 1888 Schönfeld – Geyer, 1889 Buchholz – Schwarzenberg mit Zweigbahn Nach Obercrottendorf und Oberrittersgrün, Zwönitz – Stollberg, 1892 Wolkenstein – Jöhstadt, 1897 Wilzschhaus – Carlsfeld, Mulda – Sayda, Cranzahl – Oberwiesenthal. – Auf böhmischer Site sind folgende Linien zu erwähnen: 1872 Komotau – Weipert, 1875 Krima – Reitzenhain, 1899 Johanngeorgenstadt – Neudeck.
Die Linie Zwickau – Glauchau – Chemnitz – Flöha – Freiberg – Hainsberg – Dresden ist die Hauptlinie, an welche sich fast sämtliche erzgebirgische Eisenbahnen anschließen.
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Heute durchziehen außer den Eisenbahnlinien, die längst nicht mehr dem regen Verkehrsbedürfnis entsprechen, noch 18 Autobuslinien das dichtbevölkerte Obererzgebirge, die alle von Annaberg, seinem Zentrum, ausgehen und hier enden.