Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 44, 31. Oktober 1926, S. 7
Nach Tagebuchblättern des Meisters und auf Grund mündlicher Angaben seines Enkels zusammengestellt und wiedererzählt von Kantor Max Ullmann, Mauersberg im Erzgebirge.
In dieser Abhandlung soll von einem Handwerker, dem Grünhainer Orgelbaumeister Christian Gottlob Steinmüller, der längst vergessen ist, die Rede sein. Ein Mann, der 52 Jahre sein ehrsames Handwerk mit viel Erfolg betrieben hat und vor 100 Jahren im Erzgebirge weit und breit bekannt und berühmt war, hat es verdient, daß er der Vergessenheit entrissen wird.
Am 25. September 1792 erblickte im Pfarrhause zu Arnoldsgrün i. Vogtl. Christian Gottlob Steinmüller das Licht der Welt. Sein Vater war der Magister Pfarrer Johann Gottlob Steinmüller. Durch große Sparsamkeit war es ihm möglich, 10 Kinder zu erziehen und teils studieren zu lassen. (4 Söhne studierten Theologie und 1 Sohn Medizin). 2 Söhne wurden, da sie sehr geschickt und musikalisch waren, Orgelbauer.
Christian Gottlob war der 3. Sohn dieser Pfarrersfamilie. Der berühmte Orgelbaumeister Johann Gottlob Trampeli in Adorf i. Vogtl. nahm am 15. Januar 1806 ihn als Lehrling an. Daß Trampeli in der Orgelbaukunst damals eine der ersten Größen war, das bezeugt sein Titel: „Universitäts- und Rats-Orgelbaumeister zu Leipzig“. Bei diesem ausgezeichneten Meister erlernte Steinmüller von 1806—1812 die Orgelbaukunst. Er ist ein eifriger und gewissenhafter Lehrling gewesen; denn in seinem von den nachgelassenen Erben des weil. Herrn Trampeli Zeugnis wird urkundlich berichtet, daß „Christian Gottlob Steinmüller seine 6 Lehrjahre beendigt und überstanden habe, während dieser Zeit treu und ehrlichz, auch in Erlernung dieser Kunst dergestalt wißbegierig und fleißig sich bezeiget habe, daß Trampeli mit ihm wohl zufrieden gewesen sei“. Die frau Sophie Caroline Friedericke verw. Trampeli und ihre Töchter und Söhne wünschten diesem treuen und in seinem Fach so geschickten Orgelbauer, weil er „zur Erweiterung seiner Kenntnisse in dieser Kunst sich verändern wolle und sein Fortkommen anderwärts zu suchen gesonnen war, für seine Zukunft alles mögliche Glück“.
Sein Lehrherr Trampeli hatte kurz vor seinem Tode die für die Nikolaikirche in Grünhain bestimmte neue Orgel „verakkordiert“ und Steinmüller mußte sie mit bauen helfen. Da nun sein Meister während des Baues starb, so führte der junge Orgelbauer im Auftrag der Trampelschen Erben den Bau selbständig zu Ende. Im Jahre 1812 wurde er mit der Orgel fertig. Es war sein Gesellenstück und für die damalige Zeit ein Meisterwerk. Die 1. Steinmüllersche Orgel wurde von Sachkennern vielfach geprüft und für sehr gut befunden. Der Verfasser dieser Arbeit hatte selbst noch Gelegenheit, auf dieser Orgel, nachdem sie bereits ein Alter von 100 Jahren hatte, zu spielen. Sie war ein Prachtwerk und ist als mittlere Orgel (25 klingende Stimmen = 25 verschiedene Musikinstrumente) im Erzgebirge eine Seltenheit gewesen. Leider hatte sie durch ihr Alter schadhafte Stimmen bekommen, die im Jahre 1912 unbedingt erneuert werden mußten. Der Orgelbaumeister Georg Schuster in Zittau richtete die Steinmüllersche Orgel zeitgemäß wieder her. Viele Stimmen, die noch gut waren, sind beibehalten worden. Heute noch sind das Gehäuse und viele Holzstimmen Zeugen aus der Orgelbauwerkstatt Steinmüllers.
Als Steinmüllers 1. Orgel im Jahre 1812 nach ihrer Fertigstellung von Sachkennern gelobt und als seltenes Meisterwerk gepriesen wurde, da bekamen einflußreiche Männer von Grünhain Achtung vor dem jungen Orgelbauer. Sie brachten es so weit, daß die Stadtbehörde ihn ersuchte, er möchte doch am Orte bleiben. Dies hatte der jugendliche Orgelbauer, er war erst 19 Jahre, zwar nicht in Absicht. Er blieb jedoch vorerst auf Anraten seines Vaters. Ein guter Freund von ihm ließ ohne sein Wissen die Eröffnung seiner Orgelbauanstalt in Grünhain in die Leipziger Zeitung einrücken und das hatte den Erfolg, daß er schon nach wenigen Tagen einige Orgelreparaturen anderwärts auszuführen hatte. Sein Ruf und sein Name wurde nicht nur im Erzgebirge, sondern in ganz Sachsen bekannt.
Die Kriegsjahre 1813/14 hemmten alle öffentlichen Bauten. Auch unsern jungen Orgelbauer traf das hart. Als er z. B. die neue Orgel in Wolkenstein i. Erzgeb. akkordierte und den Akkord dieses Werkes abschließen wollte, rückten gerade feindliche ungarische Truppen in diese Stadt ein. Wenn auch die Ratsherren sofort aus der Versammlung gehen mußten, so wurde doch der Abschluß durch den damaligen Pastor Taubner fertiggestellt. Dieser Orgelbau blieb jedoch bis 1817 liegen, so daß die Orgel erst 1818 völlig fertig übergeben werden konnte. Die Einweihung dieses Instrumentes war sehr feierlich; denn ein ausgezeichneter Orgelspieler und Orgelkenner wußte während des Spielens alles so hervorzuheben, daß bei Musikkennern Tränen zu sehen waren. Im Tagebuch des Meisters finden sich dazu folgende Aufzeichnungen: „Ob ich nun schon dadurch, daß dieses Werk ganz gelungen war, einen großen Lohn fand, so wurde ich bei der Tafel noch mit 75 Talern Geschenk erfreut. Es fand sich auf dem Teller zugleich ein Papier, worauf stand: „Nicht als Geschenk, sondern als Entschädigung!“ Man hat damals in Wolkenstein nicht nur meinen Orgelbau in einem Büchelchen beschrieben, drucken lassen und mich darinnen anderen Gemeinden empfohlen, sondern auch mir gegenüber den Wunsch geäußert, daß ich in Wolkenstein bleiben möchte, für ein schönes Haus, ein hübsches Weib mit hübschem Geld nebst Bürgermeisteramt wäre gesorgt. Ich ging jedoch nach meinem lieben Grünhain zurück.“ Man darf folgern, daß unser Orgelbauer nicht nur sehr geschickt, sondern auch sehr begabt und beredt gewesen ist; denn sonst hätte man ihm in einer Stadt wie Wolkenstein nicht das Bürgermeisteramt angetragen.
Im Herbste 1818 heiratete er. Das Kirchenbuch meldet von damals: „Am 10. November 1818 wurde der ansässige Bürger und Orgelbauer Christian Gottlob Steinmüller, des Mag. Johann Gottlob Steinmüller, Pfarrers zu Arnoldsgrün, ehelicher Herr Sohn mit der Jungfrau Wilhelmine Friedericke, älteste ehel. Demoiselle Tochter des weil. Ernst Christian August Hilligers, Registrators und Kontrolleurs bei der Sportulkasse, öffentlich getraut.“
Seine Werkstatt hatte er in Grünhain in der Hospitalgasse errichtet, und zwar in dem Hause, das heute von der Familie Weigel bewohnt wird. Die Arbeitsräume lagen im Erdgeschoß des Hinterhauses. In einem Trockenraume bewahrte er klarjähriges und astfreies Holz auf, das er zur Herstellung von Orgelpfeifen verwendete. Jede Pfeife wurde mit Bimsstein abgeschliffen und äußerst sauber gearbeitet. Vermittels eines Walzwerkes stellte er auch die Zinnpfeifen her, die für jede Orgel gebraucht wurden. Die Gehäuse der Orgeln stellte er ebenfalls in seiner Werkstatt zusammen und versah vor allem die Fassaden (Vorderansicht und Prospekt) mit kunstvollen Verzierungen. Das Gehäuse der heutigen Grünhainer Orgel ist noch ein Zeuge seiner Kunst.
Im Laufe seiner 52jährigen Tätigkeit beschäftigte er 50 Gesellen, außerdem bildete er 3 Lehrlinge aus, die ebenfalls tüchtige Orgelbauer wurden. In seinem Tagebuche finden sich genaue Aufzeichnungen über die von ihm ausgeführten Orgelbauten und Reparaturen, aus denen hervorgeht, wie begehrt seine Kunst war.
So erbaute er im Laufe der Jahre 36 neue Orgeln in den mit einem *) gekennzeichneten Orten und übernahm Reparaturen bezw. Umbauten der vorhandenen Werke in zahlreichen anderen Kirchen. Seine Tätigkeit führte ihn nach: *) Grünhain (1812), *) Großzöbern i. Vogtl. (1813), *) Wolkenstein (1817/18), Lichtenstein (1818/19), Breitenbrunn (1818), Schönbrunn bei Wolkenstein (1818), Callnberg b. Waldenburg (1819), *) Gornsdorf (1819/20), *) Lößnitz i. E. (1821/22), *) Oelsnitz bei Lichtenstein (1823), Gelenau (1821), Reinsdorf, Schwarzenberg (1824), *) Drebach (1824/25), Markersbach (1826), Eythra bei Leipzig (1826), *) Seifersbach (1827), *) Hormersdorf (1827), *) Großrückerswalde (1827/28), *) Ursprung (1828/29), *) Pausa (1830), Mildenau (1830), *) Reinsberg (1831), *) Colmberg bei Lichtenstein (1832/34), *) Arnoldsgrün (1835/36), Schwarzbach (1836), *) Crimmitschau (1837/38), *) Griesbach bei Schneeberg (1839), *) Tierfeld (1840/41), *) Oelsnitz (1841/42), *) Waldenburg Sa. (1842/43), *) Mülsen St. Jacob (1844), * St. Egidien (1845), Zwönitz (1846), *) Auerbach bei Stollberg (1846/47), *) Pfannenstiel (1843), *) Raschau (1848), Glauchau (1850), Neustädtel (seit 1833 in Behandlung zum Stimmen und Ausbessern).
Die Raschauer Orgel 1848 war sein letztes neues Werk. In den folgenden Jahren führte er nur noch Stimmungen und Reparaturen aus. Einige Orgeln hatte er in „Bestellung“, d. h. jedes Jahr mußte er sie stimmen und im Bedarfsfalle ausbessern.