Erzgebirgisches Sonntagsblatt 120. Jahrgang, Nr. 51, 19. Dezember 1926, S. 5
Ein dies ater für die meißnische freie Bergstadt St. Annaberg war der 27. April 1604. Kaum hatte die Glocke vom Rathausturm den Ablauf der ersten Nachmittagsstunde verkündet, als im oberen Teile der Wolkensteiner Gasse bei einem Uhrmacher, namens David Spindler („Sbinler“ nennen ihn einige Chronisten; er wohnte in einem der Gebäude 34—38 genannter Straße), ein Feuer ausbrach, welches von der Hausfrau durch übergekochte und in Brand geratene Butter verursacht worden war. Die vorangegangene trockene Witterung und ein frischer Nordwind begünstigten die rasche Verbreitung der Feuerbrunst umsomehr, als die Mehrzahl der Häuser nur leicht gebaut, kaum durch Holzgiebel voneinander getrennt und mit Schindeln bedacht waren. Bald stand die ganze Wolkensteiner Gasse in Flammen: das Feuer sprang über nach dem „kleinen Viertel“ (Badergassen, Scherbank) und gleichzeitig fing es auch im Münzer- und Fleischerviertel, ja sogar in Frohnau lichterloh zu brennen an. Jedermann war damals der Meinung und inneren Ueberzeugung, daß bei dem Unglücke fremde, gedungene Mordbrenner die Hand im Spiele hätten, um die durch den Segen des Bergbaues zu hoher Blüte gelangte junge Stadt der Vernichtung anheimfallen zu lassen und sich dann bei dem allgemeinen Wirrwarr selbst zu bereichern.
Das entfesselte Element wütete mit ungehemmter Kraft; kein Ton der Glocke rief zur Hilfe in dringender Not. Erst als das kupferne Dach der St. Annenkirche, übersät von glühendem Flugfeuer, das Gebälke des Kirchenbodens, darnach die Orgel, den Turmseiger und das Glockengestühl in Brand setzte — da erwachte der Türmer Paul Günter aus seinem tiefen Mittagsschlafe! Er versuchte noch zu „stürmen“, aber schon sangen die Glocken ihr eigenes Sterbelied und der Pflichtvergessene konnte nur noch an die Rettung des eigenen Lebens denken.
Inzwischen hatte die freigewordene Naturgewalt außer der Kirche, die Schule, das Rathaus, die Bergkirche, das Franziskanerkloster, die Hospitalkirche mit Hospital, das neue schöne Beihaus und 700 Wohnhäuser verzehrt und nach Verlauf von 12 Stunden standen nur noch 12 kleine Wohnhäuser „an der Stadtmauer“ vom Brande unversehrt da. Selbst die Vogelstange vor dem Wolkensteiner Tore (auf dem sog. „alten Exerzierplatz“) und einige Besitzungen in Frohnau lagen in Asche und Staub.
Der Türmer Paul Günter war nach Ehrenfriedersdorf geflohen, wurde aber dort in Haft genommen und in die Annaberger Fronfeste eingeliefert. Durch seine Dienstvernachlässigung hatte er namenloses Unglück über die Stadt gebracht. Es wurde ihm der Prozeß gemacht und durch das Urteil der Richter im Leipziger Schöppenstuhl ward er zu Landesverweisung auf ewig und Staupenschlag verdammt.
Aber vor Vollstreckung des Urteils mußte er am 26. Juni 1604 auf offenem Markte vor dem Rathause „Urfried“ schwören, in dem er beteuerte:
Demnach Ich, Paul Günter, weiland Thürmer allhier, an meiner mir befohlenen Wache, alß den verschienen 27. Aprilis zu Mittage, bey David Spinler, Uhrmacher, unversehen Feuer uffgangen, so daß durch meine Verwahrlosung, verschlaffen undt zuwieder der Thürmerordnung mit dem Glockenschlage nicht angemeldet, biß fast in die zwanzigk Häuser mit Brand angestecket, dardurch das Feuer oberhand genommen, daß endlichen die ganze Stadt in Staub und Asche gelegt und mir derwegen vom Schöppenstuhl zu Leipzig der Stauppesen sambt ewiger Landeßverweisung zuerkennet worden. Dem alle nach schwere und gelobe ich, so wahr usw., daß ich dieses Gefengnuß, undt alleß, was sich darunter zugetragen, an dem Churfürsten zu Sachßen und Burggraffen zu Magdeburgk, Herrn Christian den andern und Seiner Churfürstlichen Gnaden Herren Gebrüdern, so wohl allen ihrer Churfürstl. Gnaden Unterthanen, insonderheit aber an dem Rate undt Gerichten allhier undt denjenigen so hierzu Ursach geben, weder vor micht noch durch andere anthen (ahnden), eifern oder rechnen (rächen), sondern mich an ordentlichen Rechten begnügen lassen undt dieses gantze Churfürstenthumb ewig meiden undt leiblich nicht berühren will. So wahr, als etc.“ (Aus: „Das schwartze Buch“, Blatt 33.)