Von Regierungsbaudirektor v. Glaßer, Annaberg.
Erzgebirgisches Sonntagsblatt 120. Jahrgang, Nr. 47, 21. November 1926, S. 1
Am Nordwestrand der Reitzenhainer Hochebene, die östlich von Kühnhaide beginnt und westlich von Satzung endet, erhebt sich nahe Satzung der Hirtstein, wohl auch Hirschstein genannt.
Nicht in steilem Anstiege, sondern auf sanft emporstrebenden Wegen werden seine hervorlugenden Gneisklippen erreicht. Ein im Jahre 1865 für die Landestriangulation errichteter Markstein, 890,8 Meter über Normalnull gelegen, krönt sie. Die Rundsicht ist beglückend. Unermeßliche Wälder, saubere Dörfer liegen nahe zu Füßen. Teils Bergeswellen, die sich ineinander und übereinander schieben, teils jäh aus der Landschaft hervorragende Bergstöcke, wie Pöhl- und Scheibenberg, schließen den Horizont.
Nur so haben frühere Zeiten den Hirtstein gekannt. –
Da kam Ausgang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts Chaussee-Inspektor Schurig aus Annaberg und fand unterhalb der Gneisklippen ein für Straßenbauzwecke ganz hervorragendes Gestein, das als ellipsenförmiger Stock von 100 Metern Länge und 15 Metern Breite oberflächlich erkennbar war. Es war festester Naphalinbasalt. Mutungsverträge wurden geschlossen. Das Steinebrechen begann. Hart war die Arbeit. Aber nach und nach wurde der Stock durchschnitten. Und nach und nach offenbarte sich ein seltenes Naturdenkmal; es offenbarte sich eine erstarrte Basaltquelle. An der Ostseite wurde der Kern erschlossen, von dem aus überschäumend einst flüssiger Basalt den überlagernden Gneis beiseite schob, ihn an den Berührungsstellen verglaste und beim Erstarren in horizontaler Lagerung 10 Meter lange und sechseckige Säulen von seltener Schönheit absonderte.
Berühmte Geologen und Naturforscher fanden sich ein. Sie haben das Naturdenkmal studiert.
So hat Dr. phil. Geinitz, der am 28. Januar 1900 als Geheimer Hofrat und Professor der Technischen Hochschule Dresden gestorben ist, bereits 1885 auf das hervorragende Gebilde der Basaltquelle hingewiesen und die bereits damals vom Staate als maßgebend erachteten Richtlinien aufgestellt, wie bei den Steinbruchsarbeiten auf die Interessen der Wissenschaft und auf die Erhaltung wertvoller Teile der Basaltkuppe Rücksicht zu nehmen sei.
Der Leipziger Geologe und Professor Dr. phil. Credner, der bis zu seinem am 21. Juli 1913 erfolgten Tode als Geheimer Oberbergrat die geologische Landesanstalt leitete, sprach 1905 folgendes Gutachten:
„Im Hirtstein ist eine Anzahl interessanter geologischer Erscheinungen in vorzüglicher Form zur Ausführung gelangt, in selten anzutreffender Weise vereint und in außergewöhnlichem Maße bloßgelegt zu überschauen. Im Gegensatz zu den ebenfalls aus Basalt bestehenden Pöhlberg, Scheibenberg und Bärenstein, welche schollenförmige Reste alter basaltischer Lavaströme repräsentieren, stellt der Hirtstein eine sogenannte Quellkuppe, einen alten vulkanischen Basaltkegel vor, dessen innerer Bau durch die Steinbruchsarbeiten dem Auge des Beschauers klargelegt ist. Er erblickt eine Absonderung des Basaltes in Säulen in wunderbarer Regelmäßigkeit und Länge. Diese Prismen besitzen nun hier nicht, wie bei der Mehrzahl der übrigen erzgebirgischen Basalte, vertikale, sondern fast horizontale Lage und strahlen radial in gesetzmäßiger Anordnung von der Achse der Vulkankuppe allseitig nach außen. Ich kenne weder im Erzgebirge noch in der an Basalten reichen Lausitz noch im übrigen Norddeutschland ein Vorkommen von ähnlicher Schönheit.“
Neue Freunde des Hirtsteins erstanden. Der Hirtstein wurde nicht mehr wegen seiner Rundsicht allein geschätzt. Der Blick in das einstige Werden der Natur, der mit dem sachgemäßen Bruchbetrieb täglich köstlicher geworden war, machte ihn berühmt.
Und in dieser Erkenntnis ist von dem rührigen Erzgebirgszweigverein Satzung unmittelbar neben den Klippen des Hirtsteins ein stattliches Unterkunftshaus errichtet worden, das seiner Vollendung entgegengeht. Möchte es die Besucher des Hirtsteins mehren! Möchten aber auch die Besucher des Hirtsteins während der jährlichen, nur kurze Zeit währenden Bruchperiode Vorsicht und Zurückhaltung beim Betreten des Bruchgeländes üben und möchten sie die Vorteile erkennen, daß eine Staatsbehörde, das Straßen- und Wasser-Bauamt Annaberg, bricht, und zwar nicht nach Maßgabe der Wirtschaft allein, sondern auch nach Maßgabe der Wissenschaft, keineswegs aber um planlos zu zerstören, wie gewissenlose Verleumdner der Presse vor Wochen zugetragen haben.