Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 33 ─ Sonntag, den 11. August 1929. S. 1 – 2.
Sayda ist eine der ältesten Städte Sachsens. Aber über seinem Ursprung und den ersten Jahrhunderten schwebt ein Dunkel, tief und undurchdringlich. Wer hat es zuerst gewagt, mitten im Walde auf der Höhe von 680 Metern sich ein Heim zu gründen? Waren die ersten Ansiedler Deutsche oder Slaven? Kamen sie von Norden, als Slaven vor der Uebermacht der Deutschen zurückweichend, oder von Süden, böhmische, aber deutsche Herrschaft ausbreitend? Ist die Burg Sayda oder die Stadt zuerst gegründet? Auf diese und ähnliche Fragen hat man keine andere Antwort als Vermutungen. Spärlich nur fließen die Quellen für Saydas Vergangenheit und gar vieles, was Aufschluß geben könnte, ist durch viele Brände vernichtet worden. Sicher ist, daß bereits im Jahre 1196 Sayda, oder wie es damals hieß, Źavidowe (ź wie s gesprochen) d. i. Ort des Zavid, ein ansehnlicher Ort war und eine Kirche hatte. Es gehörte damals dem Grafen von Bilin und Kämmerer des Königs von Böhmen, Slawko von Riesenburg, der in demselben Jahre das Kloster Ossegg stiftete. Er übergab dem Kloster das Patronatsrecht und den Zehnten von Zoll und Gericht in Sayda und ordnete an, daß auf seine Kosten der Wald jenseits des Klosters gerodet werde und die Hälfte der Einkünfte der dort gegründeten Dörfer der Kirche zu Ossegg zufließen solle. Sayda war damals schon befestigte Stadt. Um 1250 kam Sayda in den Besitz des Markgrafen Heinrich des Erlauchten. Es war damals zugleich mit Frauenstein einem markgräflichen Beamten unterstellt, der sich von Siden oder von der Syde nannte. 1299 verkaufte es Helena von Landsberg an König Wenzel II. von Böhmen und verwendete das dafür erhaltene Geld zum Seelenheile ihres Sohnes Friedrich des Stammlers. Bald darauf, wahrscheinlich 1307, kam es an Sachsen, an Markgraf Friedrich den Freidigen, zurück, und dieser verpfändete es 1324 an Otto von Bergowe. Von dieser Familie ging es 1350 durch Verkauf an die Brüder Slavko und Borso von Riesenburg über. Sie überließen es 1352 dem Burggrafen von Meißen, Meinher IV. und seinen Vettern Meinher V. und Berthold. Von diesen ist es an die Familie von Schönberg gekommen und seitdem ununterbrochen im Besitze dieses adeligen Geschlechts, das sich im Laufe der Zeit große Verdienste um die Stadt erworben hat, verblieben, bis eine neue Zeit zur Ablösung der Herrschaftsrechte führte. ─ In die ersten Jahrhunderte seines Bestehens fällt auch Saydas Blütezeit. An der wichtigen Straße nach Böhmen gelegen, hatte Sayda als Zollstätte, als Handels- und Stapelplatz seine große Bedeutung. Besonders blühte der Salzhandel und seit Entdeckung und Erschließung der Freiberger Silbererze der Silberhandel. U. a. ließen sich viele Juden in Sayda nieder. Noch heute erinnern die Namen Jüdenborn und Jüdenkirchhof an jene ferne Vergangenheit. Man nimmt an, daß sie 1465 von hier vrtrieben worden seien, weil sie angeblich den am 31. März 1465 entstandenen Brand verursacht hätten; man habe ihnen den Aufbau ihrer Häuser nicht wieder gestattet. Stadtbriefe geben auch einen interessanten Einblick in das Leben des 15. Jahrhunderts. Es wurde der Stadt das Recht verbürgt, innerhalb einer Meile allein Bier zu brauen und zu schenken und Salzmarkt und Wochenmärkte zu halten, ferner Zins und Geschoß zu erheben, die Gastung zu setzen, Brückenzoll zur Unterhaltung der Brücken zu erheben, das Innungswesen zu regeln, Erlaubnis zum Bauen und zum Handeltreiben zu erteilen. Verboten wurde, nachts mit brennenden Spänen (statt Laternen) auf die Gasse zu gehen, bei den Wassertrögen zu waschen, damit das Wasser nicht verunreinigt werde; allein zu hüten, d. h. sein Vieh nicht durch den Stadthirten auf dem bestimmten Platze, der Vieh treibe hüten zu lassen; verboten war auch, lange Messer zu tragen. Gleichzeitig mit dem Handel blüht auch das Handwerk und das Innungswesen. Mehrere von den Innungen bestehen noch heute, wenn auch in veränderter Gestalt. Jeder Innung standen zwei Meister vor, die vom Rate ernannt wurden: jede führte auch ihr eigenes Siegel. Vierteljährlich hielten die Innungen eine Versammlung oder wie sie früher hieß, Morgensprache. Gespeist wurde entweder Rindfleisch mit Gemüse wie Reis mit Rosinen oder Gräupchen, Schweinefleisch mit Sauerkraut, gebratenes Kalbfleisch mit Pflaumen, oder Schöpsenfleisch mit Gemüse; getrunken wurde Bier und Branntwein. In den Jahren des Kriegs und der Teuerung, wie 1806 und 1807, waren die Mahlzeiten noch einfacher, man begnügte sich mit Butter, Brot und Käse. Niedrig waren damals die Fleischpreise. 1 Pfund Rindfleisch kostete 2 Groschen, in teurer Zeit bis 3½ Groschen, 1829 sogar nur 1¾ Groschen, Kalbfleisch 1¼ bis 1½ Groschen, Schöpsenfleisch 1 Groschen 8 Pfennige, Schweinefleisch 2¾ bis 3 Groschen. Die Kanne Butter kostete 10 Groschen, 1814 war allerdings der Preis auf 1 Taler gestiegen. Verhältnismäßig teuer waren Gewürze und Gemüse, 1 Pfund Reis kam 3½ bis 4½ Groschen, Gräupchen 5 Groschen, 1 Metze gebackene Pflaumen 14 Groschen, 1 Zitrone 2¼ bis 3 Groschen, 1 Muskatnuß 1½ bis 2 Groschen, Zucker zum Süßmachen der Pflaumen und Preißelbeeren war jedenfalls zu teuer, man verwendete Sirup, das Pfund zu 3 bis 4 Groschen. Eine Innung scheint damals ziemlich stark gewesen zu sein, denn es wurden bei einer Mahlzeit gewöhnlich 30 bis 40 Pfund Fleisch, von Kalbfleisch bis 48 Pfund, und 9 bis 14 Brote verzehrt.
Mehr von den Innungsgebräuchen anzuführen, kann unterbleiben, da sie im wesentlichen dieselben waren, wie anderwärts. Mag auch vieles von den genau innezuhaltenden Vorschriften uns nach unsrer Denkungsweise kleinlich, engherzig und als Formelwesen erscheinen, wie daß das Verhalten der Innungsglieder in Worten und Geberden genau geregelt war.
Sicher haben die Innungen in jenen alten Zeiten eine große Bedeutung gehabt, nicht zum mindesten dadurch, daß sie das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärkten und Einigkeit erhielten. Verboten war es nach dem Bäckerinnungsbriefe, bei den Morgensprachen die Gewehre mit in die Stube zu nehmen, sie mußten vor der Türe abgelegt werden, damit nicht etwaiger Zwiespalt zu Tätlichkeiten ausarte; und wenn zwei sich gezankt oder beleidigt hatten, so wurde, wie das Innungsbuch erzählt, durch die Innung der Friede wieder hergestellt. Einmütig und stark werden die Innungen auch dann hervorgetreten sein, wenn es galt, die anstürmenden Feinde von den Mauern abzuwehren. Aus dem Bedürfnisse des Zusammenschlusses zur Abwehr drohender Feinde ist auch die Schützengilde hervorgegangen, die seit Jahrhunderten bestanden hat. Zeitweilig war sie eingegangen, aber immer wieder lebte sie auf. Sichere Kunde hat man von ihr aus den Jahren unmittelbar vor Beginn des 30jährigen Krieges.
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So die Bilder aus der Vergangenheit Saydas. Wie viel ist es unterdessen anders geworden! Die neue Zeit hat ihre Kreise gezogen und hunderterlei gewandelt. So wurde Sayda auch für viele infolge seiner schönen Lage Erholungsplatz.
Das immer lebhafter auftretende Bedürfnis, fernab dem Hasten und Treiben der Großstadt, losgelöst von der auftreibenden Tätigkeit im Amt und Beruf, einige Wochen wirklicher, beschaulicher Ruhe zu genießen, führt alljährlich Tausende in die Täler und auf die Höhen unseres Erzgebirges. Aber auch hier gibt es durch Massenansammlungen schon Plätze, an denen der Erholungssuchende vergeblich das suchen wird, was ihm neben reiner Höhenluft und belebendem und erfrischendem Ozon dringend nötig ist: vollkommene Ruhe und Stille. In der Sommerfrische Sayda ist allen Besuchern das Vorstehende gewährleistet. Hier in dem sauberen, 1350 Einwohner zählenden Städtchen (680 m) findet man behagliches Unterkommen. Den Wanderlustigen schaffen lohnende Halb- und Ganztags-Ausflüge nach dem Gebirgskamm oder in die umliegenden Täler Abwechslung und Genuß. Weithin kann das Auge schweifen und sich erfreuen an den herrlichen Rundblicken nach dem Kamm des Erzgebirges, von dem sich wirkungsvoll das Schwartenberghaus und die Ruine Frauenstein abheben. Aber auch nach der Freiberger Gegend, nach dem Flöhatal, dem Pöhl-, Fichtel- und Keilberge, nach Augustusburg usw. zu bieten sich reizende Bilder. All das zusammen gestaltet einen Aufenthalt zu einem genuß- und für die der Stärkung Bedürftigen auch erfolgreichen.
Zu den Orten, die mit den Annehmlichkeiten einer Sommerfrische die Möglichkeit zur Ausübung des Wintersports verbinden, gehört ebenfalls Sayda. Seine Höhenlage (680 Meter) bietet auch bei schneearmen Wintern Gewähr für das Vorhandensein einer genügenden Schneedecke für Skifahrer.