Nicht Balberg sondern nur Belberg

Der bekannte Heimat-Historiker, Herr Dr. phil. Max Wünschmann (Annaberg), hat uns die folgenden Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt, die gewiß viele unserer Leser interessieren werden. Da die Bezeichnung „Balberg“ irrtümlicherweise noch sehr viel gebraucht wird, hat Herr Dr. Wünschmann mit der Untersuchung der in Frage kommenden Ursprungsmotive gewiß eine Arbeit getan, die im Interesse der Heimat-Geschichte als wertvoll zu bezeichnen und zu begrüßen ist. Wenn der Verfasser im Verlaufe der Abhandlung auch gelegentlich alte in der Sprache vielleicht etwas unklare Chroniken zitiert, bleibt diese Arbeit in ihrem einfachen Stil dennoch recht volkstümlich.

Die Schriftleitung.

Der mindestens in das letzte Viertel des 17. Jahrhunderts zurückreichende Lesefehler Herrschaft Balberg für die früheste, noch spätmittelalterliche Bezeichnung unseres engsten Heimatkreises in der Annaberger und Obererzgebirgischen Heimatgeschichtsschreibung muß ein für allemal verschwinden. Er tritt zum 2. Male, seine Quelle verratend, auf in des hochverdienten Daniel Richter leider im 2. Teile stecken gebliebenen und jäh im Texte abgebrochener bei zum Teil noch völligem Fehlen des handschriftlichen Schlusses nicht abschließbarer „Umständlicher, aus zuverlässigen Nachrichten zusammengetragenen Chronica der im Meißnischen Ober-Ertz-Gebürge gelegenen Königl. Sächßischen freien Berg Stadt St. Annaberg nebst beygefügten Urkunden, erschienen in St. Annaberg bei August Valentin Friesen (1746), Teil I, S. 367“ als Abdruck eines fremden Lesefehlers, behaftet mit neuen Druckfehlern, die überhaupt einen äußerst kritischen Gebrauch der mitgeteilten Urkunden fordern.

Dort heißt es an einer Stelle, wo die Notiz von den meisten unserer Heimatforscher bis auf Leo Bönhoff 1911 nicht gesucht oder doch übersehen worden ist, nach Richtigstellung der gröbsten Druckfehler auf Grund der Originalurkunde: „Das hiesige Königl. Churfl. Sächß. Mühlen-Amt ist ohne Zweiffel aus der alten Herrschaft Balbergk entstanden. Die aber zu dem Balbergk gehörigen Dörffer sind mehr als 100 Jahr zuvor ungebaut gewesen (vor der Gründung Annabergs am 21. September 1496), welches ein bey Petrus Beckler (Richter hier fälschlich Becker) in seinem illustri stemmate Ruthencio (Reuß-Plauensche Stammtafel, Schleiz 1684) pag. 106 sqq befindliches Diploma (der Vertrag von Arnshaugk vom 7. September 1428) bezeuget, darinnen die hierher gehörigen Worte also lauten: „Wir (Kurfürst Friedrich II., der Sanftmütige) sollen auch den genannten Ern Heinrich (I. von Reuß-Plauen), an solcher Gerechtigkeit, als er meint zu haben, zu der Graffschafft zum Hartenstein, Ihren Lehengüttern darzu gehörenden, als die dem von Schönburg versetzt (verpfändet) ist, und auch nemlichen Wildenfelß, und an solchen Lehen, die er von unsern Herren, den Bischoffen zu Meißen und Naumburgk, soll haben, nicht irren, noch hindern, in keineweise;L und auch den Balbergk (d.h. Bielbergk) mit funffte halben Dorffe, mit namen Fronau, das Dörffel (d.h. Dörffel, ins Amt Grünhayn gehörig), Rügkerswalde, Gersdorff (d.h. Geyersdorf, Tammerck halb (d.h. Tannenberg, von ihm die auf dem rechten Ufer der Zschopau gelegene Hälfte) auch gehörende zu der Graffschaft zum Hartenstein (Unklarheit, bzw. Irrtum der Urkunde, verwechselt mit dem Allodial-, bzw. Eigenbezirke der Grafen von Hartenstein, die die Grafschaft Hartenstein und die Herrschaft Belberg in ihrer Hand vereinigt hatten), als das versetzt ist, usw.“

Richter hat also den Fehler Balberg von Peter Beckler übernommen. Dieser empfing, wie Christian Lehmann, der Erzvater der umfassenden Obererzgebirgischen Heimatkunde, der seine Umsicht und die Weite seiner geistigen Interessen an Paul Jenisius geschult hatte, seine Urkundenabschrift von Anton Weck, dem am 10. Januar 1623 in unserem Annaberg geborenen, späteren kurfürstlich sächsischen Archivar. Peter Beckler bot 1684 in seiner Reußischen Stammtafel entweder eine Lese- oder Schreibfehler Anton Wecks oder las in dessen richtiger Abschrift falsch statt Belberg eben Balberg. 1680 war Anton Wecks Dresdener Chronik erschienen, an der er mehr als 30 Jahre gearbeitet hatte. Sie war von epochemachender Bedeutung nicht nur für die sächsische Geschichtsschreibung, insofern sie grundsätzlich auf archivalischen Quellen aufgebaut ist und der historischen Kritik zuerst zu ihrem Rechte verholfen hat.

In der Erinnerung an den Emporenschmuck der St. Annenkirche seiner Vaterstadt ließ Anton Weck die Kirche des Dresdener Bartholomäihospitals an den Brüstungen ihrer Emporen 1663 mit Bildern aus der biblischen Geschichte schmücken. Den Schreibfehler Anton Wecks oder den Lesefehler Peter Becklers übernahm Johann Christian Lünig, wohl der schriftstellerisch furchtbarste Stadtschreiber von Leipzig, in sein noch heute als eine Fundgrube staatsrechtlichen Wissens geachtetes, 24 Folianten umfassendes, in den Urkundenmitteilungen gleichfalls leider buchstäblich nicht immer zuverlässiges Hauptwerk, das 1710 – 1722 erschienen unter dem Titel: „Teutsches Reichsarchiv“, pars specialis contin, II, S. 208.

„Herr Antonius Weck“, schreibt Daniel Richter I, 367 f. weiter, „gab weyland Herrn M. Christian Lehmann den Bericht, daß Marggraf (für die Aussprache interessante Schreibweise des 17. und 18. Jahrhunderts) Friedrich (der Streitbare) von Meißen, diese Orte dem Hartensteinischen Herrn um 14.000 Schock breite Groschen anno 1411 abgekaufft habe, und hätte damahls zum Balbergk gehöret 1. Frohnau, 2. Geyersdorff mit Witzdorff, 3. Rückerswalde (Kleinrückerswalde), (der Parochialort, das Kirchdorf mit der einzigen Pfarrkirche der Herrschaft Belberg), dahin die gantze Herrschafft zur Kirche gehen müssen, 4. der Sauwald und 5. die große Mühle (die Herrenmühle).“ Dieses Zitat stützt die Annahme, daß die Verlesung des Namens bereits auf Anton Weck zurückgeht als den Vermitteler der Abschriften sowohl für Peter Beckler als auch für Christian Lehmann. Die letzte Mitteilung bezieht sich auf den die Herrschaft Belberg betreffenden Verpfändungsvertrag des Meißner Burggrafen Heinrich I., aber nicht aus dem Hause Reuß-Plauen, sondern aus dem Herrengeschlechte der Meinheringer mit dem markgräflichen Brüdern Friedrich dem Streitbaren und Wilhelm II. dem Reichen für „900 gute alte Rynische gulden“ vom 7. März 1411.

Der von Daniel Richter nach Anton Weck und Christian Lehmann gegebene Auszug deckt sich nicht ganz mit der Originalurkunde, erweckt die Sehnsucht nach der Vorlage und bedarf noch mancher Aufhellung. Die Herrschaft Balberg geht nun auch in die erdkundliche Literatur, in die Literatur der Landeskunde über. August Schumann schreibt im 1817 erschienenen 4. Bande seines seit 1814 begonnenen „Vollständigen Staats-, Post- und Zeitungs-Lexikons von Sachsen“ (Zwickau, Gebrüder Schumann) S. 663 Palberg und Albert Schiffner, der Mitarbeiter und spätere Fortsetzer seit dem 6. Bande in Teil VIII (1821) S. 449, Teil XI (1824) S. 577, Teil XIII (1826) S. 273, Teil XIV (1827) S. 147 und 241 und Teil XVIII (1833) S. 490 nach den alten Autoritäten der sächsischen Landesgeschichte auch das falsche Balberg. Auch in seinen beiden für die sächsische Landeskunde heute noch unentbehrlichen Hauptwerken behält Albert Schiffner Balberg bewußt bei: in seinem leider unabgeschlossen gebliebenen, nach Erscheinen des 2. Bandes nicht mehr fortgesetzten „Handbuche der Geographie, Statistik und Topographie des Königreichs Sachsen“; 1. Lieferung: Der Zwickauer Kreisdirektionsbezirk, Leipzig, Friedrich Fleischer 1839, S. 258, 272 unten, 274 oben, 306 und 315 Anmerkung und in seiner Beschreibung von Sachsen und der Ernestinischen, Reußischen und schwarzburgischen Lande, Stuttgart, J. Scheible 1840, S. 276 und 281.

(Fortsetzung)

Quelle: Tageblatt Annaberger Wochenblatt (T.A.W.) Nr. 290 v. 12.12.1924